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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

schen Bauern, der ihm, trotz seines „kollektiven“ Charakters, als das Muster „allseitiger Entwicklung“<br />

erscheint. Aber eine solche Idealisierung der bäuerlichen „Allseitigkeit“ zeigt nur,<br />

daß er die Urgeschichte der Menschheit nicht kennt.<br />

Es gibt Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung, auf denen der Mensch weitaus größere<br />

Allseitigkeit besitzt als der russische Bauer. Der von der Jagd lebende Wilde kennt die Arbeitsteilung<br />

noch weniger als [598] Iwan Jermolajewitsch. Er hat keinen Zaren, in welchem<br />

für ihn die Politik konzentriert wäre. Er beschäftigt sich selbst mit Politik, er erklärt selbst<br />

den Krieg, schließt selbst Frieden und weiß, ganz im Gegensatz zu Iwan Jermolajewitsch,<br />

ausgezeichnet, „wo sich das feindliche Land befindet“. Und ebensowenig gibt es bei ihm den<br />

Popen, dem Iwan Jermolajewitsch die Führung der religiösen Geschäfte überläßt, wie er dem<br />

Postmeister die Führung der Postgeschäfte überläßt. Die Zauberer, die man in den Gemeinschaften<br />

der Naturvölker antrifft, sind durchaus nicht das gleiche wie die russischen Priester.<br />

Der primitive Mensch kennt seine Religion nicht schlechter als der Zauberer, er schwätzt<br />

hierüber nicht einen „für ihn selbst unglaublichen Unsinn“, und er wird nicht, wie der Dorfälteste<br />

Simeon Nikititsch, sagen: „Wir sind nicht so gescheit, da schauen Sie lieber in Ihre Bücher<br />

hinein.“ Er ist in allem „bewandert“, er weiß alles, was man in der Periode des Jägerlebens<br />

nur wissen kann. Überhaupt, wenn die russische bäuerliche Barbarei mit ihrer fehlenden<br />

Arbeitsteilung über der westlichen Zivilisation steht, so ist die primitive Lebensweise des<br />

Wilden noch besser als die russische Barbarei. Und wenn Gl. Uspenski beim Anblick der<br />

russischen Bauernweiber entzückt ausrufen konnte: „Was für ein Mordsweib ist doch unsere<br />

russische Frau, eine wahrhaft freie Seele!“ – so muß er jede rothäutige oder schwarzhäutige<br />

Matrone noch viel eher für ein „Mords“weib halten. Eine solche Matrone steht um einen ganzen<br />

Kopf über der russischen Bäuerin: Die Unterwürfigkeit gegenüber dem Manne ist ihr<br />

nicht nur unbekannt, nein, nicht selten übt sie über die Männer eine recht starke Herrschaft<br />

aus. Sie drückt allen rechtlichen Verhältnissen ihren Stempel auf, sie kennt kein anderes<br />

Recht als das Mutterrecht, nimmt an den Kriegszügen teil und vollbringt in den Kämpfen<br />

wahrhaft heroische Taten. Sagen Sie zu ihr nur einmal: „Schläge wirst du bekommen vom<br />

Mann, weil du ihm nichts recht machen kannst, und die Schwiegermutter wird dir zusetzen,<br />

daß du nicht mehr ein und aus weißt“ 1 , und sie wird Sie einfach nicht verstehen. Was für<br />

prächtige Kerle sind doch die primitiven Wilden, wahrhaft freie Seelen! Und würden wir<br />

nicht besser daran tun, wenn wir, statt die Erde zu pflügen, „intellektuelle“ Gemeinschaften<br />

von Wilden schaffen? Es würde ein bißchen schwer fallen, so zum Wilden zu werden, aber<br />

wenn man sich Mühe gibt, geht es schon, und solche Fälle waren schon da.<br />

Auvellac erzählt in seinem Buch „Les débuts de l’humanité“, in einer südamerikanischen Stadt<br />

habe ein rothäutiger Arzt gelebt und eine Zeitlang eine recht erfolgreiche Praxis ausgeübt. Eines<br />

Tages sei dieser [599] „Intellektuelle“ bei einem Spaziergang an den Waldessaum gekommen,<br />

und da habe er sich an die Freiheit seiner Mitbrüder erinnert, habe sich des Fracks, den er<br />

auf seinem roten Körper trug, und der übrigen Kleidungsstücke entledigt und sei splitternackt<br />

im Waldesdickicht verschwunden. Hie und da seien ihm später seine früheren Patienten und<br />

Patientinnen begegnet, aber er habe keine Rezepte mehr verschrieben und nicht die geringste<br />

Neigung gezeigt, sein „allseitiges Leben“ aufzugeben. Auvellac bemerkt hierzu, l’habit ne fait<br />

pas le moine [die Kutte macht noch nicht den Mönch], und die Richtigkeit dieser Bemerkung<br />

läßt hoffen, daß es unseren intellektuellen Gegnern der Arbeitsteilung doch wohl gelingen<br />

möchte, ohne große Anstrengungen zu Wilden zu werden. Man wird uns sagen, über ernste<br />

Gegenstände dürfe man nicht scherzen. Aber ist es denn überhaupt menschenmöglich, bei der<br />

Untersuchung solcher Theorien ernst zu bleiben? Übrigens aber, wenn Sie schon wollen, daß<br />

Ernst gewahrt bleibe, müssen wir sagen, daß sich Gl. Uspenski in allen seinen Betrachtungen<br />

1 [Eine Stelle aus dem Gedicht „Die Troika“ (1846) von Nekrassow.]<br />

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