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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

bedeutende Stellung eingenommen hat, viele Negervölker schmutzige Kleider an. 1 Auf der<br />

Insel Borneo ziehen manche Eingeborene, um ihre Trauer auszudrücken, die bei ihnen jetzt<br />

üblichen baumwollenen Kleider aus und legen Kleidung aus Baumrinde an, die früher bei<br />

ihnen bräuch-[57]lich war. 2 Manche mongolischen Stämme wenden ihre Kleidung zu dem<br />

gleichen Zwecke um. 3 In allen diesen Fällen dient zur Wiedergabe des Gefühls eine Handlung,<br />

die derjenigen entgegengesetzt ist, welche beim normalen Lauf des Lebens als natürlich<br />

notwendig, nützlich oder angenehm gilt.<br />

So gilt es im normalen Verlauf des Lebens für nützlich, schmutzige Wäsche gegen reine zu<br />

wechseln; aber im Falle der Trauer tritt die schmutzige Kleidung an die Stelle der sauberen.<br />

Die erwähnten Bewohner der Insel Borneo empfanden es als angenehm, ihre Kleidung aus<br />

Baumrinde mit der baumwollenen zu vertauschen; aber die Wirkung des Prinzips der Antithese<br />

führt sie zum Tragen von Kleidung aus Baumrinde in den Fällen, wo sie ihre Trauer<br />

ausdrücken wollen. Für die Mongolen wie für alle Menschen ist es ganz natürlich, daß sie<br />

ihre Kleidung mit der Außenseite nach außen tragen und nicht umgekehrt; aber gerade<br />

deshalb, weil das im gewöhnlichen Verlauf des Lebens natürlich ist, wenden sie die verkehrte<br />

Seite nach außen, wenn der gewöhnliche Lebenslauf durch irgendein trauriges Ereignis gestört<br />

wird. Und dann ist hier noch ein klareres Beispiel. Schweinfurth sagt, viele afrikanische<br />

Neger legen sich zum Ausdruck der Trauer einen Strick um den Hals. 4 Hier wird die Trauer<br />

durch ein Gefühl ausgedrückt, direkt entgegengesetzt jenem, das der Instinkt der Selbsterhaltung<br />

nahelegt. Und solche Fälle kann man sehr viele anführen.<br />

Deshalb bin ich überzeugt, daß ein überaus beträchtlicher Teil der Gewohnheiten ihre Entstehung<br />

dem Prinzip der Antithese verdankt.<br />

Wenn meine Überzeugung begründet ist, und sie scheint mir vollauf begründet, kann man<br />

annehmen, daß sich auch die Entwicklung unserer ästhetischen Geschmacksrichtungen teilweise<br />

unter dem Einfluß dieses Prinzips vollzieht. Wird eine solche Annahme durch die Tatsachen<br />

bestätigt? Ich glaube, ja.<br />

In Senegambien tragen die reichen Negerinnen Pantoffeln, so klein, daß der Fuß kaum hineinpaß,<br />

und deshalb zeichnen sich diese Damen durch einen unbeholfenen Gang aus. Aber<br />

dieser Gang gilt als sehr anziehend. 5<br />

Wie konnte dieser Gang anziehend werden?<br />

Um zu verstehen, muß man vorher bemerken, daß die armen und werktätigen Negerinnen<br />

besagte Pantoffeln nicht tragen und einen natür-[58]lichen Gang haben. Sie können nicht wie<br />

die reichen Koketten einhergehen, denn das brächte einen großen Zeitverlust mit sich; aber<br />

der unbeholfene Gang der reichen Frauen erscheint eben darum anziehend, weil ihnen die<br />

Zeit nicht kostbar ist, da sie von der Notwendigkeit zu arbeiten befreit sind. An und für sich<br />

hat ein solcher Gang nicht den geringsten Sinn und gewinnt Bedeutung nur auf Grund der<br />

Gegensätzlichkeit zu dem Gang der mit Arbeit belasteten (und folglich armen) Frauen.<br />

Die Wirkung des „Prinzips der Antithese“ ist hier offensichtlich. Aber beachten Sie, daß sie<br />

durch gesellschaftliche Ursachen hervorgerufen wird: durch ungleichen Besitz bei den Negern<br />

Senegambiens.<br />

1 [Du Chaillu,] „Voyage et aventures à l’Afrique équatoriale“. [Paris 1863,] p. 268.<br />

2 Ratzel, „Völkerkunde“, [1. Auflage,] Bd. I, Einleitung, S. 65.<br />

3 Ebenda, Bd. II, S. 347. [In der zweiten Auflage, 1894, lautet die entsprechende Stelle: „Trauer bedeutet es,<br />

wenn die Innenseite auswärts getragen wird.“ (S. 536.)]<br />

4 „Au cœur de l’Afrique“, t. I, p. 151. [Schweinfurth, „Im Herzen von Afrika“, Erster Teil, Leipzig 1874, S. 165.]<br />

5 L. J. B. Bérenger-Féraud, „Les peuplades de la Sénégambie“, Paris 1879, p. 11.<br />

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