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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

deren Interessen nicht für sich berechtigt, und die Regierung geht lediglich vom Kaiser aus,<br />

der sie als eine Hierarchie von Beamten oder Mandarinen betätigt...“ 1 Wegen des Fehlens<br />

jedweder Bedeutung der Persönlichkeit ist im Volke das Gefühl der eigenen Würde überhaupt<br />

nicht entwickelt. „Es glaubt nur geboren [585] zu sein, den Wagen der Macht der kaiserlichen<br />

Majestät zu ziehen. Die Last, die es zu Boden drückt, scheint ihm ein notwendiges<br />

Schicksal zu sein...“ 2 Der gleiche Hegel versteht sehr wohl, daß die Geschichte Chinas vornehmlich<br />

die Geschichte eines Agrarlandes ist.<br />

Die Ähnlichkeit mit China kann natürlich der nationalen Eigenliebe nicht schmeichelhaft sein<br />

und verspricht dem russischen Fortschritt keine glänzende Zukunft. Zum Glück sagt uns Gl.<br />

Uspenski selbst, daß unserer „kollektiven“ Lebensweise kein „langes Leben mehr beschieden<br />

ist“. Weiter unten werden wir sehen, auf welche Weise uns die Geschichte zu völlig anderen,<br />

europäischen Lebensformen führt.<br />

IX<br />

Nun wissen wir zur Genüge, welchen Charakter unsere bäuerliche Bevölkerung besitzt, solange<br />

sie wirklich bäuerlich bleibt. Die volkstümlerischen Belletristen sehen die Darstellung dieses<br />

Charakters als ihre Hauptaufgabe an, und wir haben bereits gesehen, wie sich in ihren Werken<br />

die Eigentümlichkeiten jenes Milieus spiegeln, dem sie selbst angehören. Aber der Charakter<br />

des dargestellten Milieus kann seinerseits nicht ohne Einfluß auf den Charakter der Kunstwerke<br />

bleiben. Untersuchen wir also, wie sich der Charakter der bäuerlichen Masse auf den Charakter<br />

der Belletristik unserer Volkstümler auswirkte. Müßten wir nicht befürchten, uns dem Vorwurf<br />

auszusetzen, paradox zu sein, würden wir diese Frage anders formulieren. Wir würden uns fragen:<br />

In welchem Sinne haben die heutigen „Bedingungen der landwirtschaftlichen Arbeit“ in<br />

Rußland auf den Charakter des künstlerischen Schaffens der volkstümlerischen Belletristen<br />

einen Einfluß ausgeübt? Uns scheint, die Betrachtungen Gl. Uspenskis über die „kollektive<br />

Lebensweise unserer Bauernschaft“ geben eine völlig bestimmte Antwort auf diese anscheinend<br />

seltsame Frage. In der Tat: Kann das Milieu, welches diese „unendlich große Menschenmasse“<br />

darstellt, in der „Millionen leben wie die übrigen, wobei jeder abgesondert von diesen<br />

übrigen die Empfindung hat und sich bewußt ist, daß er in jeder Hinsicht, wie das Rotauge, nur<br />

wenig wert ist und daß er nur im großen Haufen etwas bedeutet – kann dieses Milieu der großzügigen<br />

Entfaltung künstlerischer Darstellung großen Spielraum bieten“?<br />

Gl. Uspenski selbst sagt, „aus dieser Millionenmasse einen einzelnen abzusondern und zu<br />

versuchen, ihn zu verstehen, ist einfach unmöglich“, und man kann den „Dorfältesten Simeon<br />

Nikititsch nur in dem großen Haufen [586] der anderen Simeon Nikititschs verstehen“. Also<br />

läßt sich Simeon Nikititsch auch nur „in dem großen Haufen der anderen Simeon Nikititschs“<br />

darstellen. Und das ist für einen Künstler eine recht undankbare Aufgabe. Selbst Shakespeares<br />

Kunst hätte versagt vor einer bäuerlichen Masse, in der „Männer und Weiber, eines<br />

dicht neben dem andern, einer eng zusammen mit dem andern, mit ein und denselben unterschiedslosen<br />

Gedanken, Gewändern, mit ein und denselben unterschiedslosen Liedern“ usw.<br />

Für die künstlerische Darstellung eignet sich nur ein Milieu, in dem die menschliche Persönlichkeit<br />

bereits einen gewissen Grad der Gestaltung erreicht hat. Seinen wahren Triumph feiert<br />

das künstlerische Schaffen in der Darstellung von Persönlichkeiten, die an der großen<br />

Fortschrittsbewegung der Menschheit teilhaben, die Träger der großen Ideen der Welt sind.<br />

Nun versteht es sich von selbst, daß eine solche Persönlichkeit nicht der „Dorfälteste Simeon<br />

Nikititsch“ sein kann, dem sich seine ganze Umgebung nicht als Ausdruck seines eigenen,<br />

sondern eines außer ihm befindlichen, ihm völlig fremden Denkens und Wollens darstellt.<br />

1 [Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; Sämtl. Werke, Bd. 11, Stuttgart 1928, S. 174.]<br />

2 [Zit. Werk, ebenda, S. 191.]<br />

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