18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

stammen „Die Sitten der verlorenen Gasse“, „Großstadtarmut“, „Ein Winterabend“, „Das<br />

Wächterhäuschen“, „Der Droschkenkutscher“, „Untergang“ und andere Skizzen, die jetzt die<br />

ersten Bände seiner Werke füllen. Hier tritt nicht nur der Bauer auf, sondern auch der städtische<br />

Handwerker, das Kleinbeamtentum, die niedere Geistlichkeit und ähnliches armes Volk,<br />

das nichts anderes kennt als die ewige Sorge um das tägliche Brot. Er beschreibt diese ganze<br />

Armut, dieses ganze Milieu der „Erniedrigten und Beleidigten“ mit großem Humor, mit großer<br />

Kunst und mit dem tiefsten, aus dem Herzen kommenden Mitgefühl für menschlichen<br />

Kummer und menschliches Leid. In künstlerischer Hinsicht sind dies, ohne Zweifel, die besten<br />

seiner Werke.<br />

Aber „die Zeiten änderten sich“, und zugleich damit änderte sich auch der Charakter unserer<br />

Volkstümlerbewegung. Die Aufmerksamkeit der Intelligenz konzentrierte sich auf die Bauernschaft,<br />

in der sie den Stand sah, der von der Geschichte dazu berufen war, alle unsere gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse zu erneuern und umzugestalten. Überall war die Rede vom<br />

„Volkscharakter“, von den „Volksidealen“, wobei sowohl der „Charakter“ als auch die „Ideale“<br />

in den verlockendsten Farben dargestellt wurden. Von der allgemeinen Begeisterung mitgerissen,<br />

geht Gl. Uspenski ebenfalls „unters Volk“ – natürlich mit den friedlichsten literarischen<br />

Absichten – und macht den Bauern zum Haupthelden seiner Werke. Als sehr gut beobachtender<br />

und vernünftiger Mensch bemerkt er jedoch bald, daß die bei unserem Rasnotschinzen<br />

vorhandene Vorstellung vom „Volk“ durchaus nicht der Wirklichkeit entspricht. Er<br />

äußert hierüber viele schwere Zweifel, womit er sich heftige Angriffe seitens der rechtgläubigen<br />

Volkstümler zuzieht. Er ist der Ansicht, daß zum Beispiel die alte, von den Volkstümlern<br />

als Ideal hingestellte bäuerliche Lebensform durch den Einbruch der neuen Macht, nämlich<br />

des Geldes, einer raschen Auflösung entgegengehe. „Wer nicht schon ganz klapprig ist, wer<br />

nicht schon vor Not den ganzen Verstand verloren hat, wer durch irgendeinen Zufall dazu<br />

gekommen ist, über seine Lage nachzudenken, wer die Tragikomik der bäuerlichen Lebensweise<br />

nur einigermaßen begriffen hat“, sagt er bei der Beschreibung des bäuerlichen Lebens<br />

im Gouvernement Nowgorod, „der kann sein Heil einfach nur in einem Haufen Geld erblikken,<br />

einzig und allein in einem Haufen Geld; und er wird kein Mittel unversucht lassen, um<br />

nur zu recht viel Geld zu kommen.“ Bei der Beschreibung eines reichen Dorfes im Gouvernement<br />

Samara, das eine große Menge Ländereien und „wunderbar“ fruchtbaren Boden besaß,<br />

ruft er bestürzt aus: [567] „Und stellen Sie sich vor: inmitten dieser Wohlhabenheit vergeht<br />

kein Tag, wo man nicht auf eine Erscheinung, einen Auftritt oder ein Gespräch stößt, das<br />

nicht augenblicklich alle Ihre Einbildungen zerstört, alle Betrachtungen und Ansichten über<br />

das Leben des Dorfes, die Sie sich durch Lesen angeeignet haben, zerbricht – mit einem<br />

Wort, wo es einem nicht völlig unmöglich ist zu begreifen, wie unter diesen und jenen Bedingungen<br />

das vorkommen konnte, was man mit eigenen Augen sieht.“ Von da war nur noch<br />

ein kleiner Schritt zu der Schlußfolgerung, die für einen linientreuen Volkstümler empörend<br />

sein mußte, daß in der Dorfgemeinschaft nicht alles gerade gut sei, daß man nicht alle unerfreulichen<br />

Seiten im Leben des Volkes nur mit der Armut erklären könne und daß „tief auf<br />

dem Grunde der Verhältnisse auf dem Dorfe geistige Unvollkommenheiten vorhanden sind,<br />

dazu angetan, daß man die Aufmerksamkeit auf sie hinlenke“. Unser Autor hat zum Beispiel<br />

gesehen, daß die reichen Dorfgemeinden im Gouvernement Samara „einen arbeitenden gesunden<br />

Menschen in eine vollkommen hilflose Lage versetzen, ihn dazu bringen“ können,<br />

daß er ... hungernd mit den hungrigen Kindern dasteht und sagt: „Der Hauptgrund, mein Lieber,<br />

ist eben der: wir haben nichts zu essen!“ Er hat gesehen, daß „eine solche neue öffentliche<br />

Einrichtung auf dem Lande wie der ländliche Darlehenskassenverein durchaus nicht seinen<br />

bankmäßigen Geist verändert, nämlich den Geist einer Einrichtung, der es nicht um eine<br />

Verteilung der Güter der Bank im Sinne des gemeinschaftlichen Besitzes zu tun ist. Da die<br />

ländliche Bank dem mehr gibt, der viel hat, dem wenig, der wenig hat, und dem, der nichts<br />

hat, überhaupt keinen Kredit gewährt, führt sie ihre Operationen auf dem Lande in der glei-<br />

7

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!