erschien nennen menschenähnlichen
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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013 Auslands nur ganz oberflächlich, aus zweiter Hand, aus Übersetzungen. Hier sehen wir ebenfalls einen direkten Gegensatz zum „liberalen Idealisten“; dieser sprach fast alle europäischen Sprachen und kannte die Hauptwerke der Literatur des Auslands wie seine fünf Finger. III So ist unser Rasnotschinze im allgemeinen, so ist auch der Rasnotschinze als Schriftsteller. Bei unseren literarischen Volkstümlern, und sogar in der volkstümlerischen Belletristik, lassen sich alle dem Rasnotschinzen eigenen Vorzüge und Mängel leicht feststellen. Um sich davon zu überzeugen, nehmen Sie beispielshalber die Werke von Gl. Uspenski und vergleichen Sie diese mit den Werken Turgenews. Sie werden sofort sehen, daß diese beiden Schriftsteller zwei verschiedenen gesellschaftlichen Schichten angehören, daß sie unter völlig verschiedenen Bedingungen erzogen wurden, daß sie sich in ihrer künstlerischen Tätigkeit völlig verschiedene Aufgaben stellten. Turgenew zeigte nicht geringere Anteilnahme an allen brennenden gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit als Uspenski. Während Turgenew jedoch die „Adelsnester“ schilderte, ist [562] Uspenski ein Schriftsteller, der das Leben des Volkes darstellt. Turgenew behandelt die Erscheinungen als Künstler und fast nur als Künstler; selbst wenn er über ganz aktuelle Themen schreibt, interessiert er sich mehr für Ästhetik als für „Probleme“; Uspenski behandelt sie sehr häufig als Publizist. Turgenew lieferte uns, mit wenigen Ausnahmen, künstlerische Gestalten, und zwar nur Gestalten; wenn Uspenski Gestalten zeichnet, kommentiert er sie auch. Darin liegt sicherlich die schwache Seite Uspenskis wie auch fast aller anderen volkstümlerischen Belletristen, und man könnte uns darauf aufmerksam machen, es sei doch seltsam, die starken Seiten des einen Schriftstellers oder der einen Richtung den schwachen Seiten des anderen Schriftstellers oder der anderen Schule gegenüberzustellen. Aber woher kam diese schwache Seite der volkstümlerischen Belletristik? Sie kam namentlich daher, daß die gesellschaftlichen Interessen bei den volkstümlerischen Schriftstellern die literarischen Interessen überwogen. Vom rein literarischen, künstlerischen Standpunkt aus wäre es für eine gegebene Erzählung oder Skizze ein großer Gewinn gewesen, wenn der Verfasser seinen Gegenstand objektiver behandelt hätte. Das weiß wahrscheinlich der Verfasser selbst sehr wohl. Aber für ihn ist die Veranlassung, zur Feder zu greifen, nicht so sehr das Bedürfnis nach künstlerischem Schaffen als vielmehr der Wunsch, sich und anderen diese oder jene Seite unserer gesellschaftlichen Verhältnisse klarzumachen. Daher geht die kritische Betrachtung neben der künstlerischen Darstellung einher, und der Verfasser ist häufig viel weniger Künstler als Publizist. Nicht nur das, beachten Sie jene Werke der volkstümlerischen Belletristik, in denen der Künstler die Oberhand über den Publizisten gewinnt oder diesen sogar endgültig verdrängt; Sie werden darin weder solche scharf umrissenen, künstlerisch durchgearbeiteten Charaktere antreffen wie in den Werken „Ein Held unserer Zeit“, „Rudin“, „Am Vorabend“, „Väter und Söhne“ usw. Sie werden darin auch nicht die Schilderung der Leidenschaften, diese feine Darstellung der seelischen Regungen finden, die uns die Werke Dostojewskis oder Tolstois so reizvoll machen. In der Belletristik der Volkstümler finden wir keine Darstellung individueller Charaktere und seelischer Regungen von Persönlichkeiten, sondern die Schilderung der Gewohnheiten, Ansichten und namentlich des gesellschaftlichen Lebens der Masse. Sie sucht im Volk nicht den Menschen im allgemeinen, mit seinen Leidenschaften und seelischen Regungen, sondern den Repräsentanten einer bestimmten Gesellschaftsklasse, den Träger bestimmter gesellschaftlicher Ideale. Nicht scharfe künstlerische Charakterbilder schweben den volkstümlerischen Belletristen vor, sondern prosaische, wenn auch brennende Fragen der Volkswirtschaft. Die Beziehung des Bauern zum Boden bildet daher jetzt den Hauptgegenstand ihrer quasi-[563]künstlerischen Schilderungen. Es gibt Künstler, die Psychologen sind. Mit gewissen Vorbehalten könnte man die volkstümlerischen Belletristen als Künstler bezeichnen, die Soziologen sind. 4
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013 Aus dem Übergewicht gesellschaftlicher Interessen über rein literarische erklärt sich auch jene Vernachlässigung der künstlerischen Form, wie sie in den Werken der volkstümlerischen Belletristen so fühlbar in Erscheinung tritt. Als Beispiel dafür wollen wir wiederum die Werke Gl. Uspenskis nehmen. In ihnen kommen Szenen und sogar ganze Kapitel vor, die einem Künstler von allererstem Rang Ehre machen würden. Es gibt eine Menge solcher Szenen zum Beispiel in „Der Ruin“. Aber daneben kommen in dem gleichen Roman, „Der Ruin“, Szenen von zweitrangigem oder ganz und gar zweifelhaftem Wert vor. Manchmal wirkt die sympathischste, lebensvollste Gestalt in dem Roman „Der Ruin“, Michail Iwanowitsch, einfach lächerlich, wenn er in der Rolle eines Tschazki aus Kreisen der Fabrikarbeiter auftritt. Solche Dissonanzen gibt es viele auch in seinen anderen Werken. Man findet in ihnen keinen streng ausgearbeiteten Plan, die Teile sind nicht aufeinander abgestimmt und stehen zum Ganzen in keinem richtigen Verhältnis. Gleich manchen Philosophen der Antike bringt Gl. Uspenski „den Grazien keine Opfer dar“. Sein Sinnen und Trachten ist nicht darauf aus, seinen Werken eine künstlerische Form zu geben, sondern den gesellschaftlichen Sinn der von ihm dargestellten Erscheinungen zu erfassen und getreu wiederzugeben. Seine letzten Werke aber haben mit Belletristik nichts gemein. Es versteht sich von selbst, daß ein Autor, der auf die künstlerische Form seiner Werke so wenig Sorgfalt verwendet, sich noch weniger um die Sprache kümmern wird. In dieser Beziehung kann man unsere volkstümlerischen Belletristen nicht nur nicht mit Lermontow oder Turgenew, sondern nicht einmal mit W. Garschin oder M. Belinski vergleichen. Es gibt Kritiker, die sich für verpflichtet halten, alle Mängel der volkstümlerischen Belletristik besonders an den Pranger zu stellen und sich regelrecht darüber lustig zu machen. Ihre Ausfälle sind in vielem berechtigt, aber es ist vom Übel, daß sie erstens nur die Mängel sehen und nicht auch die Vorzüge, und zweitens, daß sie ihren Hauptmangel nicht bemerken, und zwar wegen ihres Standpunktes gar nicht bemerken können. Unsere volkstümlerische Literatur im allgemeinen und unsere volkstümlerische Belletristik im besonderen besitzt sehr große Vorzüge, die eng mit ihren Mängeln verbunden sind, wie es übrigens immer zu sein pflegt. Ein Feind alles Zierats und jeder Künstelei, mußte der Rasnotschinze die literarische Richtung der ganz genauen, naturgetreuen Wiedergabe schaffen, und er hat sie in Wirklichkeit auch geschaffen. In [564] dieser Hinsicht blieb er den besten Traditionen der russischen Literatur treu. Unsere volkstümlerische Belletristik ist durch und durch realistisch, und zwar realistisch nicht nach Art des modernen französischen Realismus: es ist ein gefühlswarmer, durchgeistigter Realismus. Und dieser Unterschied ist durchaus verständlich. Der französische Naturalismus oder wenigstens der Zolaismus dient als literarischer Ausdruck der sittlichen und geistigen Leere der französischen Bourgeoisie unserer Zeit, die vom „Geist“ der Weltgeschichte schon längst verlassen ist. 1 Das russische literarische Volkstümlertum bringt die Ansichten und Bestrebungen jener gesellschaftlichen Schicht zum Ausdruck, die drei Jahrzehnte lang die fortschrittlichste in Rußland gewesen ist. Darin besteht das hauptsächliche historische Verdienst dieser Richtung. Die russischen gesellschaftlichen Verhältnisse werden sich ändern (und sie ändern sich bereits), auf dem Schauplatz der russischen Geschichte werden neue, fortschrittlichere Schichten oder Klassen auftreten (und diese Zeit ist nicht mehr fern), und dann wird die volkstümlerische Belletristik, wie überhaupt die ganze volkstümlerische Literatur, in den Hintergrund treten und neuen Richtungen Platz machen. Aber ihre Vertreter werden stets sagen dürfen, daß auch, was sie geschrieben haben, nicht umsonst gewesen ist, daß auch sie seinerzeit verstanden haben, der Sache der russischen gesellschaftlichen Entwicklung zu dienen. 1 Im Jahre 1888, als dieser Artikel geschrieben wurde, existierten noch nicht jene Werke Zolas, die einen Wendepunkt in seinem Schaffen bedeuteten. 5
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Aus dem Übergewicht gesellschaftlicher Interessen über rein literarische erklärt sich auch<br />
jene Vernachlässigung der künstlerischen Form, wie sie in den Werken der volkstümlerischen<br />
Belletristen so fühlbar in Erscheinung tritt. Als Beispiel dafür wollen wir wiederum die Werke<br />
Gl. Uspenskis nehmen. In ihnen kommen Szenen und sogar ganze Kapitel vor, die einem<br />
Künstler von allererstem Rang Ehre machen würden. Es gibt eine Menge solcher Szenen zum<br />
Beispiel in „Der Ruin“. Aber daneben kommen in dem gleichen Roman, „Der Ruin“, Szenen<br />
von zweitrangigem oder ganz und gar zweifelhaftem Wert vor. Manchmal wirkt die sympathischste,<br />
lebensvollste Gestalt in dem Roman „Der Ruin“, Michail Iwanowitsch, einfach<br />
lächerlich, wenn er in der Rolle eines Tschazki aus Kreisen der Fabrikarbeiter auftritt. Solche<br />
Dissonanzen gibt es viele auch in seinen anderen Werken. Man findet in ihnen keinen streng<br />
ausgearbeiteten Plan, die Teile sind nicht aufeinander abgestimmt und stehen zum Ganzen in<br />
keinem richtigen Verhältnis. Gleich manchen Philosophen der Antike bringt Gl. Uspenski<br />
„den Grazien keine Opfer dar“. Sein Sinnen und Trachten ist nicht darauf aus, seinen Werken<br />
eine künstlerische Form zu geben, sondern den gesellschaftlichen Sinn der von ihm dargestellten<br />
Erscheinungen zu erfassen und getreu wiederzugeben. Seine letzten Werke aber haben<br />
mit Belletristik nichts gemein.<br />
Es versteht sich von selbst, daß ein Autor, der auf die künstlerische Form seiner Werke so<br />
wenig Sorgfalt verwendet, sich noch weniger um die Sprache kümmern wird. In dieser Beziehung<br />
kann man unsere volkstümlerischen Belletristen nicht nur nicht mit Lermontow oder<br />
Turgenew, sondern nicht einmal mit W. Garschin oder M. Belinski vergleichen.<br />
Es gibt Kritiker, die sich für verpflichtet halten, alle Mängel der volkstümlerischen Belletristik<br />
besonders an den Pranger zu stellen und sich regelrecht darüber lustig zu machen. Ihre<br />
Ausfälle sind in vielem berechtigt, aber es ist vom Übel, daß sie erstens nur die Mängel sehen<br />
und nicht auch die Vorzüge, und zweitens, daß sie ihren Hauptmangel nicht bemerken, und<br />
zwar wegen ihres Standpunktes gar nicht bemerken können.<br />
Unsere volkstümlerische Literatur im allgemeinen und unsere volkstümlerische Belletristik<br />
im besonderen besitzt sehr große Vorzüge, die eng mit ihren Mängeln verbunden sind, wie es<br />
übrigens immer zu sein pflegt. Ein Feind alles Zierats und jeder Künstelei, mußte der Rasnotschinze<br />
die literarische Richtung der ganz genauen, naturgetreuen Wiedergabe schaffen, und<br />
er hat sie in Wirklichkeit auch geschaffen. In [564] dieser Hinsicht blieb er den besten Traditionen<br />
der russischen Literatur treu. Unsere volkstümlerische Belletristik ist durch und durch<br />
realistisch, und zwar realistisch nicht nach Art des modernen französischen Realismus: es ist<br />
ein gefühlswarmer, durchgeistigter Realismus. Und dieser Unterschied ist durchaus verständlich.<br />
Der französische Naturalismus oder wenigstens der Zolaismus dient als literarischer<br />
Ausdruck der sittlichen und geistigen Leere der französischen Bourgeoisie unserer Zeit, die<br />
vom „Geist“ der Weltgeschichte schon längst verlassen ist. 1 Das russische literarische<br />
Volkstümlertum bringt die Ansichten und Bestrebungen jener gesellschaftlichen Schicht zum<br />
Ausdruck, die drei Jahrzehnte lang die fortschrittlichste in Rußland gewesen ist. Darin besteht<br />
das hauptsächliche historische Verdienst dieser Richtung. Die russischen gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse werden sich ändern (und sie ändern sich bereits), auf dem Schauplatz der russischen<br />
Geschichte werden neue, fortschrittlichere Schichten oder Klassen auftreten (und diese<br />
Zeit ist nicht mehr fern), und dann wird die volkstümlerische Belletristik, wie überhaupt die<br />
ganze volkstümlerische Literatur, in den Hintergrund treten und neuen Richtungen Platz machen.<br />
Aber ihre Vertreter werden stets sagen dürfen, daß auch, was sie geschrieben haben,<br />
nicht umsonst gewesen ist, daß auch sie seinerzeit verstanden haben, der Sache der russischen<br />
gesellschaftlichen Entwicklung zu dienen.<br />
1 Im Jahre 1888, als dieser Artikel geschrieben wurde, existierten noch nicht jene Werke Zolas, die einen Wendepunkt<br />
in seinem Schaffen bedeuteten.<br />
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