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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

che mit den Sektierern, er sammelt alle möglichen statistischen Unterlagen und Mitteilungen<br />

über die sanitäre Lage des Volkes – mit einem Wort, er dringt in alles ein und interessiert sich<br />

für alles. In unserer Literatur entsteht und erstarkt rasch die neue, volkstümlerische Richtung,<br />

deren Einfluß unter anderem auch in der Belletristik in Erscheinung tritt. Neben verschiedenen<br />

Spezialuntersuchungen erscheinen eine Menge Skizzen, Bühnenstücke, Novellen und<br />

Erzählungen aus dem Volksleben. Der Rasnotschinze liefert seinen Beitrag ebenso für die<br />

schöne Literatur, wie er ihn etwas später auch für die Malerei geliefert hat, wo seine Betätigung<br />

allerdings weniger tiefgreifend und befruchtend war.<br />

Da wir wissen, daß der Schriftsteller nicht nur der Repräsentant des gesellschaftlichen Milieus<br />

ist, aus dem er hervorgegangen ist, sondern auch sein Produkt; daß er die Sympathien<br />

und Antipathien, die Weltanschauung, die Gewohnheiten, die Ideen und sogar die Sprache<br />

dieses Milieus in die Literatur hineinträgt, so können wir mit Sicherheit sagen, daß unser<br />

Rasnotschinze auch in seiner Eigenschaft als Künstler jene charakteristischen Züge beibehalten<br />

mußte, die ihm als Rasnotschinze überhaupt eigen sind. [559]<br />

II<br />

Was sind das für Züge? Ein Vergleich wird sie uns am besten zeigen. Gleicht zum Beispiel<br />

unser Rasnotschinze dem alten „liberalen Idealisten“, den N. A. Nekrassow besungen hat?<br />

Dialektiker, berückend, ehrlich,<br />

Rein im Herzen, wie du bist,<br />

Denk ich deines Träumerblickes:<br />

Liberal-Idealist.<br />

Alles Wirkliche hat dich befangen,<br />

Nichts fand deine Sympathie,<br />

Lebtest vag dahin und sankst nur<br />

Vor der Schönheit auf die Knie. 1<br />

Mit diesem Liberalen hat unser Rasnotschinze nur gemein, daß er nicht minder „ehrlich, rein<br />

im Herzen“ ist. In allem übrigen ist er sein direktes Gegenteil. Sich von den Dingen um ihn<br />

herum „befangen“ lassen, „vag“ ins Blaue umherschweifen, ohne irgend etwas zu tun, kann<br />

er schon darum nicht, weil er kein Gutsherr, sondern ein Proletarier, sei es auch von adliger<br />

Herkunft, ist. Er muß sich sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen. Unser Rasnotschinze<br />

ist vor allem Spezialist: Chemiker, Mechaniker, Arzt, Veterinär usw. Allerdings,<br />

unter den heutigen Verhältnissen in Rußland fehlt ihm häufig, ja, fast immer „jeder Trieb zur<br />

Wirklichkeit“, wenn anders er nicht in schimpflicher Weise seine Gesinnung verkaufen will.<br />

Darin besteht gerade die Tragik seiner Lage, deshalb gehen ihm die „verfluchten Fragen“ im<br />

Kopf herum. Aber er läßt vor den ihn umgebenden Hindernissen den Mut nicht sinken, er<br />

lacht über die fruchtlose weltschmerzlerische Stimmung, er sucht nach einem praktischen<br />

Ausweg, er trachtet danach, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzugestalten. Daher überwiegen<br />

die gesellschaftlichen Interessen bei ihm alle übrigen. Rein literarische Fragen interessieren<br />

ihn verhältnismäßig wenig. Vor noch nicht langer Zeit befand er sich sogar in einem<br />

formalen Streit mit der Kunst, er wollte der „Ästhetik“ endgültig „den Garaus machen“, er<br />

war der Meinung, daß „ein guter Schuster mehr wert ist als jeder Raffael“, und er verachtete<br />

Puschkin, weil [560] sich dieser nicht mit Naturwissenschaft beschäftigt und keine Tendenzromane<br />

geschrieben hat. Jetzt sieht er ein, daß er hier zu weit gegangen war. Jetzt erweist er<br />

der Kunst gern die gebührende Ehre, brüstet sich mit Puschkin und Lermontow, begeistert<br />

sich für Tolstoi und Turgenew. Aber auch jetzt tut er das nur so nebenbei – nach dem<br />

Sprichwort: „Alles zu seiner Zeit.“ Wenn er aber entzückt ein Buch wie „Anna Karenina“<br />

1 [Verse aus der „Bärenjagd“ (1867) von Nekrassow.]<br />

2

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