18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

[557]<br />

Gl. I. Uspenski*<br />

(S. M. Krawtschinski gewidmet)<br />

I.<br />

Die Abschaffung der Leibeigenschaft stellte die denkenden Menschen in Rußland vor eine<br />

Reihe von Fragen, die nicht gelöst werden konnten, wenn man sich nicht zuvor Rechenschaft<br />

darüber ablegte, wie unser Volk lebte, was es dachte und wonach es strebte. Alle unsere<br />

friedlichen und revolutionären, legalen und illegalen Männer des öffentlichen Lebens begriffen,<br />

daß der Charakter ihrer Tätigkeit durch den Charakter und die Form des Volkslebens<br />

bestimmt werden mußte. Daraus entstand das natürliche Bestreben, das Volk zu studieren,<br />

sich über seine Lage, seine Weltanschauung und seine Bedürfnisse Klarheit zu verschaffen.<br />

Man begann, das Volksleben nach allen Seiten hin zu erforschen. Als die Ergebnisse dieser<br />

Untersuchung veröffentlicht wurden, fanden sie beim Publikum größtes Interesse und größte<br />

Anteilnahme. Sie wurden gelesen und wieder gelesen, man gründete auf sie alle möglichen<br />

„Programme“ der praktischen Tätigkeit. Am geschäftigsten und am meisten ereifert zeigte<br />

sich hier unser Rasnotschinze, unser „denkender Proletarier“‚ der sich stolz und mit einer<br />

gewissen ergötzlichen Ausschließlichkeit als „Intelligenz“ bezeichnete.<br />

Gebildete Rasnotschinzen gab es schon zur Zeit der Leibeigenschaft, aber damals war das nur<br />

eine recht kleine Gruppe von Menschen, die es zwar zu einer abstrakt negativen Haltung Basarowscher<br />

Prägung bringen, aber gar nicht daran denken konnten, sich irgendwie als „Partei“<br />

zu konstituieren. Damals war das Bestehen irgendwelcher Parteien, literarische ausgenommen,<br />

überhaupt unmöglich. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft wurde die Sache<br />

anders. Die Zerschlagung alter ökonomischer Einrichtungen vergrößerte in gewaltigem Ausmaß<br />

die Zahl des denkenden Proletariats und weckte in ihm neue Hoffnungen und neue Forderungen.<br />

Diese Forderungen blieben meistens unberücksichtigt. Die empörende [558] politische<br />

Ordnung, die ihrem Wesen nach jeder nichtbeamteten „Intelligenz“ feindlich gegenüberstand,<br />

erweckte in unserem gebildeten Proletariat mehr und mehr den oppositionellen<br />

Geist, während die Unbestimmtheit und Zweideutigkeit seiner Lage zwischen den höheren<br />

Klassen einerseits und dem Volke anderseits dazu führten, daß es sich ernstlich mit der Frage<br />

beschäftigte, was zu tun sei. Es ist daher nicht verwunderlich, daß gerade unser Rasnotschinze<br />

mit solch feurigem Eifer daran ging, das Leben des Volkes auf alle nur mögliche Weise zu<br />

erforschen. Der eine, entschlossenere Teil dieser eigentümlichen Proletarier der unproduktiven<br />

(im ökonomischen Sinne dieses Wortes) Arbeit suchte im Volk Halt und Stütze für seine<br />

oppositionellen und revolutionären Bestrebungen; der andere, friedliche Teil betrachtete das<br />

Volk einfach als das Milieu, in dem er leben und arbeiten konnte, ohne auf seine Menschenwürde<br />

verzichten und vor einer Obrigkeit sich untertänig beugen zu müssen. Sowohl für die<br />

einen wie für die anderen war es unabdinglich, das Volk kennenzulernen. Und da liest nun<br />

unser Rasnotschinze nicht nur gierig alles, was an Untersuchungen über das Leben des Volkes<br />

geschrieben wird, sondern gerade er ist es, der diese Untersuchungen hauptsächlich<br />

schreibt. Er lernt den städtischen Handwerker und Kleinbürger kennen, er studiert das Gewohnheitsrecht<br />

der Bauern, untersucht die Feldgemeinschaft und die Heimindustrie, er<br />

schreibt die Sagen, Lieder und Sprichwörter des Volkes nieder; er führt theologische Gesprä-<br />

* Anmerkungen zu: G. I. Uspenski (S. 557-618)<br />

Der Aufsatz wurde erstmals gedruckt in dem literarisch-politischen Sammelband „Sozialdemokrat“ (1888, Genf,<br />

Heft 1, S. 28-95). Hier drucken wir den Text der Gesamtausgabe der Werke (Bd. X, S. 9-65).<br />

Im Unterschied zu seinem früheren Aufsatz „Worum geht der Streit?“ (1878), wo Plechanow Uspenski vom<br />

volkstümlerischen Standpunkt analysierte, bringt er hier eine marxistische Analyse der Werke dieses Schriftstellers.<br />

1

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!