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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

Samen auf einen bereits wohl vorbereiteten Boden. Es ist also klar, daß der Boden durch<br />

niemand und durch nichts vorbereitet worden war als gerade durch das „gesunde“ häusliche<br />

Milieu, das Nadja umgab. Es ist auch klar, daß wir berechtigt sind, auf unserer Schlußfolgerung<br />

zu bestehen und zu behaupten, daß an dem Zwiespalt unserer Heldin mit ihren Eltern<br />

eben ihr „gesundes“ Milieu schuld war.<br />

Worin besteht eigentlich die Schuld? wird der Leser vielleicht fragen.<br />

Darin, daß in diesem Milieu zu leben soviel hieß wie ein „Leben von Faulenzern und Egoisten“<br />

führen; darin, daß dieses „gesunde“ Milieu, nachdem es in dem jungen Mädchen unwillkürlich<br />

den Drang nach vernünftiger und fruchtbarer Betätigung erweckt hatte, nichts war<br />

als ein „Gefängnis“, das sie von allen Seiten eingeschlossen, ihren lebensprühenden jugendlichen<br />

Drang umklammert hielt; daß es nichts war als ein Zauberreich, in dem alles in tiefen<br />

Schlaf versunken war und „schlief, ohne je zu erwachen“. Kurz gesagt, darin, daß es überhaupt<br />

wertlos ist.<br />

Und wenn Sie die Sache von einer anderen Seite her betrachten wollen, so können Sie vielleicht<br />

auch so sagen: Die Schuld lag darin, daß das häusliche Milieu, welches Nadja umgab,<br />

es nicht verstanden hatte, in Nadja die Neigungen zu einem Leben von Egoisten und Faulenzern<br />

zu entwickeln; darin, daß es nicht verstanden hatte, die Ungerechtigkeit der bestehenden<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse vor ihr zu verbergen; schließlich darin, daß es nicht verstanden<br />

hatte, in ihr das Mitgefühl für die Unterdrückten und die Entrüstung gegen die Bedrücker<br />

zu unterdrücken<br />

In der Tat, in dieser Beziehung besteht ein sehr großer Unterschied zwischen unserem Gutsbesitzermilieu<br />

und beispielsweise dem der heutigen französischen Bourgeoisie. Diese versteht<br />

es meisterhaft, alle edlen Triebe ihrer Kinder zu ertöten. Aber seid darob nicht traurig,<br />

meine Herrschaften, diese Kunst will erlernt sein, und mit der Zeit werdet auch ihr sie erlernen.<br />

Nun noch eine Bemerkung zu Herrn Stern. Der Leser, den das Schicksal Nadjas interessiert,<br />

fragt sich unwillkürlich: Was war nun weiter mit ihr? Der Verfasser hätte seiner Erzählung<br />

einen Epilog hinzufügen müssen, der das Publikum in wenigen Worten mit dem weiteren<br />

Schicksal [553] der Heldin bekannt macht. Ohne im geringsten gegen die Wahrscheinlichkeit<br />

zu verstoßen, hätte man dem Epilog ungefähr folgenden Inhalt geben können. Nadja wird<br />

verhaftet, und nachdem sie mehrere Jahre im Kerker zugebracht hat, wird sie, krank und gebrochen,<br />

vor Gericht gestellt, wo ihr „schnell und schonend“ der Prozeß gemacht wird. Der<br />

Staatsanwalt verdonnert sie in seiner Rede, die Richter schlummern friedlich auf den Sesseln,<br />

und unter den Zuschauern, die sich eingefunden haben, um dieses Schauspiel zu genießen,<br />

sitzt der neue B. Markewitsch, der mit großem Interesse „seine Nihilistin studiert“ und sich<br />

bereits den Plan zu einem herrlichen Roman „de tongue haleine“ [großangelegt (wörtlich: mit<br />

langem Atem] ausgedacht hat, in dem er das arme Fräulein von Stogowo als eine richtige<br />

Messalina hinstellen will.<br />

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