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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

mir ist. Es ist vielleicht häßlich und schlecht von mir, aber ich kann nicht mehr so weiter leben.<br />

Laß mich, wir fahren zusammen... Die Bücher machen mich ganz wirr im Kopf; erlaube<br />

mir, daß ich mich zurechtfinde. Laß mich fort.‘<br />

[548] ‚Mein Kind, du hast doch gehört, was der Vater sagt: er wird niemals seine Einwilligung<br />

geben.‘<br />

‚Und du? Du hast mich doch lieb? Das Glück deines Mädels ist dir doch teuer? Würdest du<br />

einwilligen?‘<br />

‚Ich habe auch Angst‘, sagte Jewgenij Wassiljewna zaghaft.<br />

‚Du hast Angst! Ist es denn hier nicht schrecklich? Dort werden mich vielleicht die Nihilisten<br />

zugrunde richten, hier aber wird mich die Langeweile verzehren. Nun, diese Nihilisten, weiß<br />

Gott!, wenn die mich schon zugrunde richten, aber diese Langeweile hier, die haftet mir an,<br />

sie ist rings um mich her, es gibt kein Entrinnen‘, sagte sie leidenschaftlich. ‚O Mama, rette<br />

mich.‘<br />

‚O Gott, wem bist du nur nachgeraten!‘ rief Jewgenija Wassiljewna aus.“<br />

Nadjas Bitten waren umsonst, Stepan Alexejewitsch schickte sie nicht zum Studium. Wahrscheinlich<br />

fürchtete er, da er unsere reaktionären Zeitschriften eifrig gelesen hatte, die Nihilisten<br />

wie das Feuer, und seine Sorge richtete sich vor allem darauf, zu verhindern, daß seine<br />

Tochter dem Einfluß des gesunden und heilsamen häuslichen Milieus entzogen wurde. Aber<br />

Nadjas Befürchtungen trafen beinahe ein: sie „verzehrte sich“ wirklich fast „vor Langeweile“.<br />

Sie versuchte alles mögliche und suchte leidenschaftlich nach einem Ausweg; aber es gab<br />

keinen Ausweg. Freilich in Moskau, wo die Wolkows den Winter zu verbringen pflegten,<br />

wollte ihr scheinen, daß sie endlich einem Menschen begegnet sei, der sie wegen der Regungen<br />

ihres Gemüts nicht „wohlmeinend auslachen“ werde. Das war der Lehrer Spasski, ein<br />

nicht gerade schöner Mensch, der ihr Unterricht erteilte. Dieser häßliche Mensch mit seinem<br />

welken Gesicht liebte es, von erhabenen Dingen zu sprechen, und war auf seine Herkunft<br />

„aus dem Volke“ nicht wenig stolz. Nadja nahm seine Phrasen für innere Überzeugung und<br />

beschloß, sich an ihn zu wenden, damit er die sie quälenden Zweifel löse. „Alexander<br />

Iwanowitsch“, sagte sie zu ihm leidenschaftlich, „ich fühle, daß Sie und nur Sie allein mich<br />

unterweisen können, wie man leben muß, was man tun muß ... Retten Sie mich, lehren Sie<br />

mich Arbeit und Selbstverleugnung, lehren Sie mich, gerecht zu sein ... So, wie wir leben,<br />

kann ich nicht mehr weiter leben. O, wenn Sie wüßten, wie zuwider mir dieses Leben ist, das<br />

Leben von Faulenzern und Egoisten... Wir sind sehr gut und großmütig, solange man uns in<br />

Ruhe läßt, aber im Grunde denken wir nur an uns selbst. Lehren Sie mich, an die anderen zu<br />

denken“, fuhr sie mit noch größerer Leidenschaft fort. „Sie, der Sie aus dem Volke stammen,<br />

wie Sie sagen, Sie müssen wissen, wo die wirkliche Armut und das wirkliche Leid ist, Sie<br />

müssen wissen, wie man helfen kann. Ich werde vor nichts zurückscheuen...“<br />

[549] Aber das arme Mädchen schaute vergeblich „voll Vertrauen mit ihren schönen Augen“<br />

auf den „Sohn des Volkes“. In seiner Antwort beschränkte er sich auf triviale Bemerkungen<br />

darüber, daß sie „alles gewissermaßen mit zu großer Leidenschaft und Heftigkeit betrachte“.<br />

Später verlor sie gänzlich den Glauben an ihn, als sie sah, daß sie es mit einem heillosen<br />

Feigling zu tun hatte. Nun versuchte sie, ihre Zuflucht zur Religion zu nehmen. Schon von<br />

Kindheit an hatte sie manchmal religiöse Anwandlungen gehabt, und sie hatte mit Freuden<br />

die Verfolgungen wegen ihres Glaubens erduldet, das heißt die Zurechtweisungen ihrer Gouvernante<br />

wegen übertriebener und unangebrachter Frömmigkeit angehört. Sie wollte in sich<br />

diesen naiven Glauben wiedererwecken. Damals begeisterte sich die höhere Gesellschaft in<br />

Moskau für die Predigten eines ausländischen „geistlichen Herrn“, Monsieur K.; Nadja<br />

„brannte darauf, ihn zu hören“. Als ihr Wunsch aber in Erfüllung ging und sie die korpulente,<br />

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