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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

„‚Du bist aber fein angezogen, Mädel, das muß ich mir anschauen‘, sagte sie. ‚Soviel Bändchen<br />

und Fransen, und der Stoff ist so weich – der hat allerhand gekostet.‘<br />

‚Ja, allerhand‘, antwortete Nadja verlegen. Sie überlegte, wieviel der Stoff gekostet hatte.<br />

‚Ihr habt wohl vierzig Kopeken dafür bezahlt?‘ ‚Mehr‘, antwortete Nadja.<br />

‚Vielleicht fünfzig?‘ ‚Noch mehr.‘<br />

‚Na, einen Rubel hat er nicht gekostet, nein, so teuer ist er nicht.‘ ‚Anderthalb Rubel kostet er.‘<br />

‚Da schneidest du aber auf, Mädel‘, riefen alle Mägde gleichzeitig aus.<br />

‚Schau mal, wieviel Krug Milch das gibt, was du anhast‘, sagte eine lachend, ‚da hat man ja<br />

bald für zwei Monate zu essen!‘<br />

Das Gefühl der Beschämung und der Ungerechtigkeit, das sie“ (nämlich Nadja, und nicht das<br />

Bauernmädchen: Sterns Stil läßt überhaupt viel zu wünschen übrig) „darüber empfand, ein<br />

Kleid zu tragen, für dessen Geld sich andere mehrere Monate lang satt essen könnten, war so<br />

quälend und so heftig, daß sie gleich am andern Tag dieses und ähnliche Kleider nicht mehr<br />

tragen wollte und von nun an die recht alten Kleider aus Kattun auftrug...“<br />

Und eine andere Szene beweist ebenfalls den seltsamen Charakter der Nadja:<br />

[547] Beim gnädigen Herrn, Stepan Alexejewitsch Wolkow, sind eine Menge Gutsherren aus<br />

der näheren und weiteren Umgebung zusammengekommen. Der gnädige Herr feiert seinen<br />

Namenstag. Die Gäste haben tüchtig gegessen, sie unterhalten sich laut, und bald wendet sich<br />

das Gespräch wirtschaftlichen Dingen zu.<br />

„‚He, he‘, lacht beifällig einer von den Sprechern und klopft Stepan Alexejewitsch auf die<br />

Schulter, ‚du hast deine Leute aber zur Arbeit herangezogen.‘<br />

‚Ja, und ich bin stolz darauf. Alle Weideplätze sind in meinen Händen, die Bauern können<br />

ihre Hühner nirgends hinaustreiben, und sie haben auch Respekt vor ihrem Stepan Alexejewitsch.<br />

Bin ich mit ihnen zufrieden – nun ja, sag’ ich, meinetwegen dürft ihr schon hinein, ihr<br />

könnt auf meinen Wiesen und Feldern weiden, ich bin ein guter Herr. Bin ich aber unzufrieden<br />

– na ja, sag’ ich, wartet nur, ihr Brüder. Den Stepan Alexejewitsch brauchen die<br />

Mushiks, sie kommen immer gern zu ihm zur Arbeit: ihre eigene Arbeit lassen sie liegen, und<br />

sie kommen gerannt zum Gutsherrn von Stogowo. Und ich bin dankbar, ja, so dankbar.‘<br />

Alle lachten.“ Stepan Alexejewitsch erzählte wirklich zu spaßige Dinge, aber Nadja, damals<br />

bereits ein ganz gesetztes Mädchen, lachte nicht. Indem sie so tat, als ob sie ihrer Tante zuhöre,<br />

lauschte sie schweigend auf die Worte ihres Vaters, und ein „seltsames, halb bitteres, halb<br />

verächtliches Lächeln spielte um ihre Lippen“, sagt Stern. „Viele solche Gespräche hatte sie<br />

früher schon als kleines Mädchen mitangehört, sie hatte sich heftig darüber aufgeregt, sie<br />

hatte mit Tränen in den Augen gestritten und geschrien: das ist nicht recht, das ist nicht recht.<br />

Jetzt stritt sie nicht mehr, es war schwer, den Vater von den einmal festgesetzten Überzeugungen<br />

abzubringen, er lachte die Tochter mit ihrem guten Herzen nur aus, wenn sie zornig<br />

wurde.“ Aber auch Nadja konnte man schwer von ihrer Ansicht abbringen. Der „wohlmeinende“<br />

Spott des Vaters vermochte an ihren Ansichten über sein Verhältnis zu den Bauern<br />

nichts zu ändern. Dieser Spott brachte das junge Mädchen nur zu der Überzeugung, daß zwischen<br />

ihr und ihren Eltern ein gegenseitiges Verstehen unmöglich war. Sie sprach mit ihnen<br />

überhaupt nicht über die sie interessierenden Fragen. Dafür las sie mit um so größerer Gier<br />

alles, was ihr in die Hände geriet. Sie wollte lernen. Sie beneidete so überaus ihre Freundinnen,<br />

die das Glück hatten, auf Hochschulen geschickt zu werden.<br />

„‚Mama‘, bat sie ihre Mutter inständig, ‚laß mich auch etwas lernen. Ich weiß nicht, was mit<br />

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