18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

können das nicht ersetzen, was uns die Darwinisten geben, und ebensowenig können die<br />

glänzendsten Entdeckungen der Darwinisten uns ihre Untersuchungen ersetzen, sondern können<br />

ihnen nur den Boden bereiten, ähnlich wie der Physiker dem Chemiker den Boden bereitet,<br />

ohne im geringsten durch seine Arbeiten die Notwendigkeit spezieller chemischer Forschungen<br />

aufzuheben. 1 Die ganze Frage dreht sich um folgendes: Die Theorie Darwins war<br />

zu ihrer Zeit ein großer und notwendiger Fortschritt in der Entwicklung der biologischen<br />

Wissenschaft, und sie genügte den strengsten Anforderungen, die diese Wissenschaft damals<br />

an ihre Mitarbeiter stellen konnte. Kann man etwas Ähnliches von der materialistischen Geschichtsbetrachtung<br />

sagen? Kann man behaupten, daß sie zu ihrer Zeit ein großer und unvermeidlicher<br />

[52] Fortschritt in der Entwicklung der Gesellschaftswissenschaft war? Und ist sie<br />

fähig, jetzt allen ihren Anforderungen zu genügen? Hierauf antworte ich mit vollster Überzeugung:<br />

Ja, das kann man! Ja, sie ist dazu fähig! Und ich hoffe, zum Teil auch in diesen<br />

Briefen zu zeigen, daß diese Überzeugung nicht unbegründet ist.<br />

Kehren wir zur Ästhetik zurück. Aus den oben angeführten Worten Darwins ist ersichtlich,<br />

daß er die Entwicklung der ästhetischen Geschmacksrichtungen von demselben Standpunkt<br />

aus betrachtet wie auch die Entwicklung der sittlichen Gefühle. Den Menschen ist, wie auch<br />

vielen Tieren, der Schönheitssinn eigen, d. h. sie sind fähig, unter dem Einfluß gewisser Dinge<br />

oder Erscheinungen einen Genuß besonderer Art (einen „ästhetischen“) zu empfinden.<br />

Aber welche Dinge und Erscheinungen ihnen denn nun diesen Genuß verschaffen, hängt von<br />

den Bedingungen ab, unter deren Einfluß sie aufwachsen, leben und handeln. Die Natur des<br />

Menschen bewirkt, daß er ästhetische Gefühle und Begriffe haben kann. Die ihn umgebenden<br />

Bedingungen bringen den Übergang von dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit mit sich; durch<br />

sie erklärt sich, daß ein bestimmter gesellschaftlicher Mensch (d. h. eine bestimmte Gesellschaft,<br />

ein bestimmtes Volk, eine bestimmte Klasse) gerade diese ästhetischen Geschmacksrichtungen<br />

und Begriffe besitzt und keine anderen.<br />

Das ist die endgültige Schlußfolgerung, die sich aus dem, was Darwin darüber sagt, von<br />

selbst ergibt. Und diese Schlußfolgerung wird natürlich kein einziger der Anhänger der materialistischen<br />

Geschichtsauffassung bestreiten. Ganz im Gegenteil, jeder wird darin eine neue<br />

1 Hier muß ich eine Einschränkung machen. Wenn die Forschungen der Biologen-Darwinisten meiner Meinung<br />

nach soziologischen Untersuchungen den Boden bereiten, so darf man dies nur in dem Sinne verstehen, daß die<br />

Erfolge der Biologie – soweit sie mit dem Entwicklungsprozeß der organischen Formen zu tun hat – beitragen<br />

müssen zur Vervollständigung der wissenschaftlichen Methode in der Soziologie, soweit sie mit der Entwicklung<br />

der gesellschaftlichen Organisation und ihrer Produkte: der menschlichen Gedanken und Gefühle, zu tun<br />

hat. Aber keineswegs teile ich die gesellschaftlichen Ansichten der Darwinisten, die denen Haeckels ähneln. In<br />

unserer Literatur wurde schon darauf hingewiesen, daß sich die darwinistischen Biologen in ihren Betrachtungen<br />

über die menschliche Gesellschaft durchaus nicht an die Methode Darwins halten, sondern nur die Instinkte<br />

der Tiere (vornehmlich der Raubtiere) zum Ideal erheben, die der Gegenstand der Untersuchung des großen<br />

Biologen waren. Darwin war in gesellschaftlichen Fragen bei weitern nicht „sattelfest“; aber die gesellschaftlichen<br />

Anschauungen, die sich bei ihm als Schlußfolgerung seiner Theorie ergaben, gleichen wenig den Schlußfolgerungen,<br />

die die Mehrzahl der Darwinisten daraus gezogen hat. Darwin war der Ansicht, die Entwicklung<br />

der gesellschaftlichen Instinkte sei für den „Fortschritt der Art äußerst nützlich“. Diese Anschauung können<br />

jene Darwinisten nicht teilen, die den gesellschaftlichen Kampf aller gegen alle predigen. Allerdings sagt Darwin:<br />

„Die Konkurrenz soll allen Menschen gegeben sein, und die Fähigsten sollten durch Gesetze und Sitten<br />

nicht daran gehindert werden, den größten Erfolg zu haben und die größte Zahl der Nachkommenschaft zu erreichen“<br />

(there should be open competition for all men and the most able should not be prevented by laws and<br />

customs from succeeding best and reaching the largest number of offspring). – Aber vergeblich berufen sich die<br />

Anhänger des sozialen Krieges aller gegen alle auf diese seine Worte. Sie mögen sich an die Anhänger Saint-<br />

Simons erinnern. Diese sagten über den Konkurrenzkampf dasselbe wie Darwin, aber im Namen dieses Konkurrenzkampfes<br />

forderten sie solche gesellschaftliche Reformen, für die Haeckel und seine Gesinnungsgenossen<br />

wohl kaum plädiert hätten. Es gibt „competition“ und „competition“, ähnlich wie es, nach den Worten Sganarelles,<br />

fagot et fagot gibt [„competition“ bedeutet sowohl Wettstreit, Wettbewerb als auch Konkurrenz; „fagot“<br />

bedeutet sowohl Reisigbündel als auch Fagott.].<br />

8

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!