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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013 lassen, die Meinungen des Dorfküsters zu bestreiten), aber Herr Iwanow wird sich wohl kaum von solchen Gesinnungsgenossen lossagen. Und wenn er sich lossagt, so gerät er mit sich selbst in Widerspruch 1 , und solange er diesen Widerspruch nicht ins reine bringt, wird man von ihm wohl glauben müssen, daß er in der Logik noch etwas zurück ist. [528] „Man pries“, so sagt er weiter (S. 250), „verschiedene Eigenschaften dieses Volkes unabhängig von den Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln müssen...“ Das trifft wiederum nicht zu. Wenn einer auch ähnliche Fehler gemacht hat, so ist doch Herr Iwanow nicht berechtigt, dies allen seinen Gegnern vorzuwerfen. Unabhängig von den Bedingungen hat niemand die Volkseigenschaften betrachtet; im Gegenteil, da man die ökonomischen Verhältnisse einer Gesellschaft für das beste Reagens zur Ermittlung des Entwicklungsgrades des sozialen Empfindens in dieser Gesellschaft hielt und sah, daß der gemeinschaftliche Besitz von den Bauern für das Ideal gehalten wird 2 , schloß man daraus, daß das russische Volk die altruistischen Gefühle, die Gewöhnung an Gemeinschaftlichkeit und „Sozialisierung der Arbeit“ – durch die allein jede Gesellschaft bestehen kann – gar nicht erst bei seinen westeuropäischen Nachbarn zu entlehnen braucht, bei denen jede Erinnerung an die Gemeinschaftlichkeit verflogen ist. Können Sie, Herr Iwanow, Ihren Gegnern vorwerfen, dem gemeinschaftlichen Besitz zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, daß sie den Volkscharakter ohne Rücksicht auf das Bestehen der Gemeinschaft untersucht haben? Ist sie doch ebenfalls eine der Bedingungen, die den Volkscharakter bestimmen und auf ihn einwirken. Man konnte sagen, daß der Einfluß dieser Bedingung übertrieben sei, aber daß man die Eigenschaften des Volkes völlig „unabhängig von den Bedingungen usw.“ untersucht habe, das konnte nur ein Mensch sagen, der schwer daneben gegriffen hat. Ihnen, Herr Iwanow, scheint, daß „auf dem Lande auch nicht die geringste Spur von so etwas wie einem Widerstand“ gegen den zersetzenden Einfluß des Kulakentums und der schlechten wirtschaftlichen Lage (die man streng von der wirtschaftlichen Ordnung zu unterscheiden hat) vorhanden sei, und Ihre Gegner sind der Meinung, daß dieser Widerstand durch den gemeinschaftlichen Besitz des Bodens geleistet wird, und wie erfolgreich dieser Widerstand ist, können Sie aus der Tatsache ersehen, die jedem bekannt ist, der die Lebensweise unseres städtischen Arbeiters kennt. Es handelt sich um folgendes. Bekanntlich zerfallen die Industriearbeiter in Petersburg wie auch überall sonst in Werk- und in Fabrikarbeiter. Die letzteren leben immer in Artels, während die ersteren einzeln wohnen. Und man kann dem Werkarbeiter die Vorzüge des Lebens im Artel noch so überzeugend darlegen, er wird einem vielleicht sogar recht geben, [529] aber er wird einem trotzdem die schicksalhafte Antwort geben: „Mit unserem Volk kann man nicht zusammenleben.“ Und dabei leben die Fabrikarbeiter, die in geistiger Beziehung weit unter den Werkarbeitern stehen, mit ihrem Volk zusammen. Was für einen Unterschied gibt es zwischen den „Völkern“? Der Unterschied ist der, daß die Werkarbeiter zumeist Bewohner der Städte sind, die von Kindheit an in den Gewohnheiten des städtischen individuellen Lebens erzogen sind, während die Fabrikler aus den bäuerlichen Gemeinschaften der landarmen zentralen Gouvernements stammen. Die Erklärung für diesen auf den ersten Blick unverständlichen Unterschied zwischen den beiden Klassen von Industriearbeitern liegt in der Gemeindegenossenschaft. Überhaupt muß man gestehen, daß das „Tagebuch vom Lande“ des Herrn Iwanow-Uspenski 1 Wir halten es für möglich, von Herrn Iwanow und Gl. Uspenski als von einer Person zu sprechen, da Gl. Uspenski selbst das Pseudonym in der neuen Anlage seiner Skizzen enthüllt hat. 2 Wir sprechen hauptsächlich von den großrussischen Bauern, obgleich viele Tatsachen darauf hindeuten, daß auch den Kleinrussen dieses Ideal nicht fremd war. 5

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013 einen sehr bedrückenden Eindruck macht. Zum Glück braucht man nicht weit zu gehen, um dafür entschädigt zu werden. Erstens ist uns bekannt, daß Herr Iwanow erst vor kurzem dazu übergegangen ist, das Leben der Bauern zu studieren, bisher war er mit dem Studium – ein Studium, das er auch wirklich in glänzender Weise zu Ende geführt hat – der Lebensweise der Bürger in den Städten und überhaupt des städtischen Proletariats beschäftigt. Wir haben bereits gesagt, daß das letztere sich durch großen Individualismus auszeichnet, aber Herr Iwanow sieht diesen Unterschied nicht und er überträgt auf die bäuerliche Umwelt die Ansichten, die in bezug auf die Stadt völlig richtig waren und von niemand bestritten wurden, die aber Anlaß gaben zu starken Angriffen, als er auf den Gedanken verfiel, sie auf das neue Objekt seiner Beobachtungen, nämlich das Dorf, anzuwenden. Ein zweiter Trostgrund besteht in den Artikeln der Herren Slatowratski und Trirogow („Der Abraham vom Lande“ und „Unsere Dorfgemeinschaften“), die in demselben Heft der „Otjetschestwennyje Sapiski“ erschienen, in welchem das letzte Kapitel des „Tagebuchs“ abgedruckt ist. Wir haben bereits gesagt, daß die Schlußfolgerungen dieser Verfasser den Schlußfolgerungen des Herrn Iwanow widersprechen; jetzt wollen wir versuchen, diese Widersprüche zu zeigen. „Die überwiegende Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung“, sagt Herr Iwanow (S. 254), „verliert mehr und mehr den Zusammenschluß durch den Mir, da sie mehr und mehr die Schwierigkeit ihrer persönlichen Lage empfindet.“ „Wir haben aber etwas ganz anderes im Sinn“, entgegnet der Bauer Doronin 1 ‚ „wir möchten drei Gemeinden zu einer einzigen [530] zusammenschließen, das wäre dann viel bequemer, und dann müßte der einzelne für die Hirten nicht soviel Geld zahlen.“ 2 „Die Teilung von 200 Rubel“, so fährt Herr Iwanow wehklagend fort, „die man vom Schankwirt genommen hat, zeigt, bis zu welchem Grade der Gedanke an brüderliche gemeinschaftliche Wirtschaft ausgestorben ist... Jeder hat eigene Sorgen in Menge, jeder muß seine zwei Rubel haben, während dieselben 200 Rubel dem Mir ungefähr 200 Deßjatinen Land und 10 Deßjatinen Wald eingebracht hätten... Jeder sieht, daß er nur auf sich selbst angewiesen ist, und dementsprechend lebt er in den Tag hinein“ (S. 254). Hören Sie jetzt, was darüber die Bauern selbst sagen: „Wie macht ihr das nun mit dem Stier?“ fragt Herr Trirogow die Bauern. „Der Mir hat ihn gekauft, da sind auf jeden 80 Kopeken gekommen“, antworten die Bauern. „Das Dorf Kriwopawlowka“, so erzählt Herr Trirogow, „fiel auf durch die Besonderheit seines Aussehens. Es zeigte sich, daß, wie der Dorfälteste sagte, die Merkmale dieser Dorfgemeinschaft nur darin bestanden, daß sie beim Grundbesitzer Land pachtete und dieses Pachtland unter ihre Mitglieder nach ökonomischer Leistungsfähigkeit verteilte und ihren individuellen Feldanteil in Brachland zur Benutzung als Viehweide verwandelte“ (S. 139). In dem Artikel von Herrn Werser 3 kann Herr Iwanow ebenfalls viele Beispiele „geeinter gemeinschaftlicher Wirtschaft“ finden, und das bezieht sich nicht einmal auf die Großrussen, sondern auf die Kleinrussen, bei denen der gemeinschaftliche Landbesitz viel weniger entwickelt ist als in den großrussischen Gebieten. „Und ist es nicht auch vorgekommen“, forscht Herr Trirogow die Bauern weiter aus, „daß der Mir irgend jemand erniedrigt hat – es gibt doch so allerhand Menschen?“ 1 „Otjetschestwennyje Sapiski“, 1878, November, „Unsere Dorfgemeinschaften“, S. 135. 2 ... Es wäre interessant zu wissen, was nach der Ansicht der Redaktion der „Otjetschestwennyje Sapiski“, die in der gleichen Nummer zwei einander diametral entgegengesetzten Ansichten Raum gewährte, die Bauern „im Sinne“ haben. 3 „Die jüdischen Pächter im Gouvernement Tschernigow“; „Otjetschestwennyje Sapiski“, 1878, Oktober. 6

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

lassen, die Meinungen des Dorfküsters zu bestreiten), aber Herr Iwanow wird sich wohl<br />

kaum von solchen Gesinnungsgenossen lossagen. Und wenn er sich lossagt, so gerät er mit<br />

sich selbst in Widerspruch 1 , und solange er diesen Widerspruch nicht ins reine bringt, wird<br />

man von ihm wohl glauben müssen, daß er in der Logik noch etwas zurück ist.<br />

[528] „Man pries“, so sagt er weiter (S. 250), „verschiedene Eigenschaften dieses Volkes<br />

unabhängig von den Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln müssen...“ Das trifft wiederum<br />

nicht zu. Wenn einer auch ähnliche Fehler gemacht hat, so ist doch Herr Iwanow nicht<br />

berechtigt, dies allen seinen Gegnern vorzuwerfen. Unabhängig von den Bedingungen hat<br />

niemand die Volkseigenschaften betrachtet; im Gegenteil, da man die ökonomischen Verhältnisse<br />

einer Gesellschaft für das beste Reagens zur Ermittlung des Entwicklungsgrades des<br />

sozialen Empfindens in dieser Gesellschaft hielt und sah, daß der gemeinschaftliche Besitz<br />

von den Bauern für das Ideal gehalten wird 2 , schloß man daraus, daß das russische Volk die<br />

altruistischen Gefühle, die Gewöhnung an Gemeinschaftlichkeit und „Sozialisierung der Arbeit“<br />

– durch die allein jede Gesellschaft bestehen kann – gar nicht erst bei seinen westeuropäischen<br />

Nachbarn zu entlehnen braucht, bei denen jede Erinnerung an die Gemeinschaftlichkeit<br />

verflogen ist.<br />

Können Sie, Herr Iwanow, Ihren Gegnern vorwerfen, dem gemeinschaftlichen Besitz zuwenig<br />

Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, daß sie den Volkscharakter ohne Rücksicht auf das<br />

Bestehen der Gemeinschaft untersucht haben? Ist sie doch ebenfalls eine der Bedingungen,<br />

die den Volkscharakter bestimmen und auf ihn einwirken. Man konnte sagen, daß der Einfluß<br />

dieser Bedingung übertrieben sei, aber daß man die Eigenschaften des Volkes völlig „unabhängig<br />

von den Bedingungen usw.“ untersucht habe, das konnte nur ein Mensch sagen, der<br />

schwer daneben gegriffen hat. Ihnen, Herr Iwanow, scheint, daß „auf dem Lande auch nicht<br />

die geringste Spur von so etwas wie einem Widerstand“ gegen den zersetzenden Einfluß des<br />

Kulakentums und der schlechten wirtschaftlichen Lage (die man streng von der wirtschaftlichen<br />

Ordnung zu unterscheiden hat) vorhanden sei, und Ihre Gegner sind der Meinung, daß<br />

dieser Widerstand durch den gemeinschaftlichen Besitz des Bodens geleistet wird, und wie<br />

erfolgreich dieser Widerstand ist, können Sie aus der Tatsache ersehen, die jedem bekannt ist,<br />

der die Lebensweise unseres städtischen Arbeiters kennt.<br />

Es handelt sich um folgendes. Bekanntlich zerfallen die Industriearbeiter in Petersburg wie<br />

auch überall sonst in Werk- und in Fabrikarbeiter. Die letzteren leben immer in Artels, während<br />

die ersteren einzeln wohnen. Und man kann dem Werkarbeiter die Vorzüge des Lebens<br />

im Artel noch so überzeugend darlegen, er wird einem vielleicht sogar recht geben, [529]<br />

aber er wird einem trotzdem die schicksalhafte Antwort geben: „Mit unserem Volk kann man<br />

nicht zusammenleben.“ Und dabei leben die Fabrikarbeiter, die in geistiger Beziehung weit<br />

unter den Werkarbeitern stehen, mit ihrem Volk zusammen. Was für einen Unterschied gibt es<br />

zwischen den „Völkern“?<br />

Der Unterschied ist der, daß die Werkarbeiter zumeist Bewohner der Städte sind, die von<br />

Kindheit an in den Gewohnheiten des städtischen individuellen Lebens erzogen sind, während<br />

die Fabrikler aus den bäuerlichen Gemeinschaften der landarmen zentralen Gouvernements<br />

stammen. Die Erklärung für diesen auf den ersten Blick unverständlichen Unterschied<br />

zwischen den beiden Klassen von Industriearbeitern liegt in der Gemeindegenossenschaft.<br />

Überhaupt muß man gestehen, daß das „Tagebuch vom Lande“ des Herrn Iwanow-Uspenski<br />

1 Wir halten es für möglich, von Herrn Iwanow und Gl. Uspenski als von einer Person zu sprechen, da Gl.<br />

Uspenski selbst das Pseudonym in der neuen Anlage seiner Skizzen enthüllt hat.<br />

2 Wir sprechen hauptsächlich von den großrussischen Bauern, obgleich viele Tatsachen darauf hindeuten, daß auch<br />

den Kleinrussen dieses Ideal nicht fremd war.<br />

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