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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

seinerseits in seinen ästhetischen Kritiken viel weniger vernünftlerisch ist als Pissarew. Aber<br />

die Vernünftelei tritt nicht nur in den literarischen Urteilen der „Männer der sechziger Jahre“<br />

in Erscheinung; sie zeigt sich noch deutlicher in ihrer Publizistik. Die über die Literaturkritik<br />

der sechziger Jahre abfällig geurteilt haben, würden sich wahrscheinlich sehr wundern zu<br />

hören, daß die dieser Epoche eigentümliche Vernünftelei in engstem Zusammenhange stand<br />

mit der idealistischen Geschichtsauffassung, der ihre führenden Vertreter huldigten. Es ist<br />

aber in der Tat so. Wenn „die Meinung die Welt regiert“, so braucht ein Mensch, der auf „die<br />

Welt“ in dieser oder jener Richtung Einfluß gewinnen will, nur seine Meinung zur herrschenden<br />

zu machen. Und wenn dieser Mensch eine große gesellschaftliche Reform anstrebt, so ist<br />

es nicht verwunderlich, daß er sich unter anderem auch die schöne Literatur zunutze machen<br />

will, um seine Meinung durchzusetzen. In diesem Falle ist eine gewisse Einseitigkeit ganz<br />

unausbleiblich. Wie soll man sie vermeiden? Es gibt nur zwei Mittel. Das eine besteht darin,<br />

daß man auf die Bestrebungen nach gesellschaftlichen Reformen verzichtet oder wenigstens<br />

diesem Streben nicht allzusehr nachgibt. Wer mit der bestehenden Ordnung der Dinge zufrieden<br />

ist, den hindert der historische Idealismus in keiner Weise, Anhänger der Theorie der<br />

Kunst für die Kunst zu sein. Das zweite Mittel besteht darin, daß man sich lossagt vom historischen<br />

Idealismus und an seine Stelle den historischen Materialismus setzt. Darüber würden<br />

sich wieder die wundern, die über die führenden „Männer der sechziger Jahre“ bei uns in<br />

Rußland abfällig geurteilt haben, aber auch dies ist unbestreitbar. Der historische Materialismus,<br />

der von der These ausgeht, daß nicht das Bewußtsein das Sein, sondern daß das Sein<br />

[520] das Bewußtsein bestimme, gewährt seinen Anhängern eine umfassendere Ansicht, genauer<br />

gesagt: gibt ihnen die theoretische Möglichkeit, sich eine umfassendere Ansicht über<br />

den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung zu erarbeiten. Er weist das Element der vernünftlerischen<br />

Betrachtung in die gebührenden Schranken oder (ich wiederhole meine Einschränkung)<br />

gibt die theoretische Möglichkeit einer solchen Begrenzung. Hier ein Beispiel.<br />

Feuerbach hatte gesagt, daß die Aufgabe der Philosophie und überhaupt der Wissenschaft<br />

darin bestehe, das Element der Phantasie aus den menschlichen Vorstellungen zu beseitigen.<br />

Die jetzigen führenden Anhänger des historischen Materialismus sind sehr eifrig dabei, das<br />

Element der Einbildung aus den menschlichen Vorstellungen zu beseitigen. Aber sie werden<br />

nicht sagen, daß diese Beseitigung Aufgabe der Philosophie oder der Wissenschaft oder der<br />

Literatur sei. Sie verstehen, daß hier alles von den zeitlichen und örtlichen Umständen abhängt.<br />

Wenn sich die Vertreter der herrschenden Klasse mit Wissenschaft, Philosophie oder<br />

Literatur beschäftigen, so spiegeln sie stets in höherem oder geringerem Grade die Bestrebungen<br />

und Vorurteile dieser Klasse wider. Die Ideologen der herrschenden Klasse sind<br />

durchaus nicht immer daran interessiert, das Element der „Phantasie“ zu bekämpfen. Im Gegenteil,<br />

sie streben häufig danach, dieses Element zur Aufrechterhaltung der für sie vorteilhaften<br />

Gesellschaftsordnung zu festigen. Die Aufgabe der Philosophie wird durch den Gang<br />

der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmt, der durchaus nicht immer der gleiche ist. Nicht<br />

das Denken bestimmt das Sein, sondern das Sein bestimmt das Denken. Das hat auch Dobroljubow<br />

zum Teil begriffen. Unter künstlichen Bestrebungen verstand er Bestrebungen, die auf<br />

dem Boden der Klassenherrschaft erwachsen oder darauf gerichtet waren, diese Klassenherrschaft<br />

zu stützen. Aber hier zeigte sich gerade seine Vernünftelei; hier trat die Einseitigkeit<br />

seines historischen Idealismus zutage. Bisher war die zivilisierte Gesellschaft immer in Klassen<br />

geteilt. Deshalb ergab sich bei Dobroljubow die Schlußfolgerung, daß unbedingt die ganze<br />

Geschichte der zivilisierten Gesellschaft nichts anderes sei als eine Geschichte „künstlicher<br />

gesellschaftlicher Kombinationen“. Die Haltlosigkeit dieser Auffassung ist offensichtlich.<br />

Aber gänzlich beseitigen kann diese falsche Auffassung nur die materialistische Geschichtserklärung.<br />

Dobroljubow hatte gesagt: die reale Kritik schreibt der Literatur nichts vor, sie studiert sie<br />

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