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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

kes“ zur entscheidenden Tat aufrufen; sie wollte ihren Lesern die Berechtigung und Wichtigkeit<br />

dieser Tat zeigen. Hat sie recht getan? Ist es nicht ein Vergehen, daß sie, wie ihre Gegner<br />

sagten, die Kunst zum Werkzeug einer fremden Idee gemacht haben? Darüber mag jeder<br />

nach seinem Empfinden urteilen. Wer von der Idee, die sie verkündete, nichts wissen will,<br />

der wird natürlich sagen: „Ja, hier [518] liegt ein Vergehen vor, und zwar ein sehr großes<br />

Vergehen. Die fortschrittliche Kritik der sechziger Jahre hat die Kunst erniedrigt.“ Und wem<br />

diese Idee lieb ist, der wird nichts Erniedrigendes darin sehen, dieser Idee zu dienen, und daher<br />

sagen, daß die fortschrittliche Kritik jener Zeit kein Unrecht begangen hat. Muß man<br />

doch auch daran denken, daß diese Kritik, wie schon oben gesagt wurde, von der Kunst<br />

durchaus keinerlei tendenziöse Einstellung forderte. Im Gegenteil, sie wandte sich von tendenziösen<br />

Werken ab und forderte vom Künstler nur das eine: Lebenswahrheit. Schon darum<br />

konnte sie auf den ästhetischen Geschmack der Leser nicht schlecht einwirken. Und es war<br />

sicherlich kein Zufall, daß Dobroljubow die künstlerischen Werte der von ihm besprochenen<br />

Werke sehr richtig beurteilte. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man seine kritischen<br />

Artikel durchliest.<br />

Mit Rücksicht darauf, daß es durchaus kein Zufall ist, ist es lächerlich und ... dumm zu behaupten,<br />

er sei nur ein glänzender Publizist gewesen. Nein, er war nicht nur ein glänzender<br />

Publizist, er war auch ein vortrefflicher Literaturkritiker. Allerdings war er in seiner literarischen<br />

Tätigkeit immer mehr Publizist als Literaturkritiker. Wahr ist auch, daß die Dobroljubowsche<br />

Publizistik nicht wenig gewonnen, wenn sie sich von der Literaturkritik abgegrenzt<br />

hätte: sie hätte die Leser dann noch stärker beeinflußt. Das gleiche ist über seine Literaturkritik<br />

zu sagen. Aber er selbst hätte sicher auch nichts gegen eine Abgrenzung der Publizistik<br />

gegen die Literaturkritik einzuwenden gehabt. Schon Belinski hatte verbittert ausgerufen:<br />

„Wenn ihr wüßtet, was für eine Qual das ist: eingelernte Sachen zu wiederholen, immer<br />

das gleiche hersagen zu müssen – nichts anderes als Lermontow, Gogol und Puschkin, und<br />

über einen bestimmten Rahmen nicht hinausgehen zu dürfen – immer Kunst und wieder<br />

Kunst! Nun, was bin ich denn für ein Literaturkritiker! Ich bin ein geborener Pamphletist.“ Er<br />

war ein unvergleichlicher Literaturkritiker – das wird jetzt, wie es scheint, von allen zugegeben<br />

–‚ aber, wie wir sehen, war auch er durchaus nicht abgeneigt, die Literaturkritik von der<br />

Publizistik abzugrenzen. Allein, auch er hat es nicht getan. Warum nicht? Weil es „einen gewissen<br />

Mann in Grau“ gab, der einen daran hinderte, über den „bestimmten Rahmen“ hinauszugehen:<br />

den Zensor. Dieser ehrenwerte Gentleman war auch in den sechziger Jahren<br />

nicht von der Bildfläche verschwunden. Dank seiner konnten Dobroljubow und Tschernyschewski<br />

nicht über den „bestimmten Rahmen“ hinausgehen. Dobroljubow klagte mehr als<br />

einmal in seinen Artikeln, daß er gezwungen sei, sich „metaphysisch“ auszudrücken, das<br />

heißt alles „durch die Blume“ zu sagen. Seine Klagen gleichen, wie zwei Wassertropfen einander,<br />

den Klagen der französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, zum Beispiel<br />

d’Alemberts. Gleiche Ursachen bringen gleiche Folgen hervor. Die französischen Aufklärer<br />

des 18. Jahrhunderts mußten ebenfalls mit der Zensur rechnen. An die Zensur denken, wie es<br />

scheint, die aber überhaupt nicht, die sich darüber aufhalten, daß in den Artikeln Dobroljubows<br />

Publizistik und Literaturkritik miteinander vermischt sind.<br />

Unschuldig ist die Zensur gewiß daran, daß unsere Aufklärer in ihrer Ansicht über die Literatur<br />

nicht selten allzuviel Vernünftelei an den Tag legten. Die Vernünftelei ist eine stets wiederkehrende<br />

Eigentümlichkeit aller Epochen der Aufklärung. Die russischen „Männer der<br />

sechziger Jahre“ hatten diesen Fehler in nicht geringerem (aber auch nicht in höherem) Maße<br />

als die französischen Enzyklopädisten. Und die französischen Enzyklopädisten in nicht geringerem<br />

Maße (aber auch nicht in höherem) als die griechischen Zeitgenossen des Sokrates.<br />

Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß die Vernünftelei in den ästhetischen Kritiken<br />

Dobroljubows bedeutend weniger fühlbar ist als in den Kritiken Tschernyschewskis, der<br />

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