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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

Wenn sich unsere Aufklärer der sechziger Jahre an die Intelligenz wandten, d. h. an Menschen,<br />

die zu einer privilegierten Stellung gelangen konnten, falls sie eine solche nicht schon<br />

innehatten, handelten sie ganz logisch, ihnen Gleichgültigkeit gegen materielle Sicherheit zu<br />

predigen. Bei Tschernyschewski ist Rachmetow geradezu ein Asket. Es ist ganz interessant,<br />

diese Predigt unserer Aufklärer mit den schönrednerischen Ausfällen gegen „die verfluchte<br />

Bedürfnislosigkeit“ zu vergleichen, die wir in den Reden Lassalles finden und die ebenfalls<br />

aus der Zeit der sechziger Jahre stammen. Lassalle predigte nicht Gleichgültigkeit gegen materielle<br />

Sicherheit, sondern riet, im Gegenteil, seinen Zuhörern, sie mit aller Kraft anzustreben.<br />

Aber er sprach nicht mehr zur Intelligenz, sondern zum Proletariat. Die deutsche Epoche<br />

der sechziger Jahre war der unsrigen gar nicht ähnlich.<br />

Die zweite Ursache, weshalb unsere Gesellschaft die Despotie duldet, ist das Gefühl der Gesetzlichkeit.<br />

Das heißt, die unglücklichen Opfer des despotischen Regimes betrachten das<br />

Gesetz, das seine Herrschaft festigt, als ein ewiges, heiliges und unveränderliches Gesetz.<br />

Aber jedes Gesetz hat nur bedingte Bedeutung. Mit solcher Rede verkündete Dobroljubow<br />

die Lehre der französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts: er revolutionierte gleich ihnen<br />

die Köpfe seiner Zeitgenossen.<br />

In den Artikeln „Das finstere Reich“ sagt Dobroljubow, Ostrowski stelle zwar die Schattenseiten<br />

dieses Reiches dar, zeige aber keinen Ausweg aus der schwierigen Lage. Allein, nach<br />

dem Erscheinen des Stückes „Das Gewitter“ äußert unser Kritiker in dem berühmten Artikel<br />

„Ein Lichtstrahl im finsteren Reich“ bereits eine andere Ansicht.<br />

[514] „Es ist klar“, schreibt er, „daß das Leben, das uns Material für solche komische Situationen<br />

bot, in welche die Despoten Ostrowskis oft versetzt werden, das Leben, das ihnen auch<br />

die passende Bezeichnung gab, nicht mehr ganz von ihrem Einfluß erfaßt ist, sondern auch<br />

Ansätze für eine vernünftigere, gesetzlichere und richtigere Lage der Dinge enthält.“ 1<br />

Mit einem edlen Optimismus, der allen unseren führenden Aufklärern der großen Epoche der<br />

sechziger Jahre eigen ist, sieht Dobroljubow solche Ansätze überall.<br />

„Wohin man auch blickt, überall sieht man das Erwachen der Persönlichkeit, sieht man, daß<br />

sie ihre gesetzlichen Rechte erkennt, sieht man den Protest gegen Gewalt und Willkür, der<br />

zumeist noch schüchtern, unbestimmt ist, sich gerne verbirgt, immerhin aber schon seine Existenz<br />

merken läßt.“ 2<br />

VII<br />

Ein neues Leben beginnt um die vorsintflutlichen Ungeheuer des Reiches der Finsternis, um<br />

diese Bolschow, Bruskow, Torzow, Kabanow, Dikoi und ihresgleichen. Und nur weil es beginnt,<br />

weil die Grundlagen der Herrschaft der Despotie ins Wanken geraten, war es möglich,<br />

daß in unserer Literatur ein Charakter wie Katerina Kabanowa <strong>erschien</strong>. Man kann sagen,<br />

Dobroljubow war in diese Frauengestalt verliebt.<br />

„Die Sache ist die“, so rechtfertigt er sich beinahe, „daß der Charakter Katerinas, wie er im<br />

‚Gewitter‘ gestaltet ist, nicht nur in Ostrowskis Tätigkeit als Bühnenschriftsteller, sondern<br />

auch in unserer gesamten Literatur einen Schritt vorwärts bedeutet... Unsere besten Schriftsteller<br />

befaßten sich mit ihm, sie vermochten aber nur, seine Notwendigkeit zu begreifen. und<br />

konnten nicht sein Wesen spüren und erfassen; das brachte nun Ostrowski zuwege.“ 3<br />

Den größten Reiz übt Katerina auf Dobroljubow dadurch aus, daß sie sich in ihren Handlun-<br />

1 Werke Dobroljubows, Bd. III, S. 430/431. [Zit. Werk, S. 649.]<br />

2 Ebenda, S. 431. [Zit. Werk, S. 649.]<br />

3 Ebenda, S. 446. [Zit. Werk, S. 669.]<br />

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