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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

durch den Einfluß einer schlechten Gesellschaftsordnung nur schrecklich entartet sind. Hier<br />

erinnert seine Lehre an die Worte Tschernyschewskis, daß ein Mensch nicht so sehr durch<br />

seine Schuld schlecht handelt als vielmehr durch sein Unglück. Und hier nimmt diese Lehre<br />

einen tiefen humanen Charakter an, den jene Herrschaften nur allzu leicht vergessen, [512]<br />

die unsere führenden Männer der „sechziger Jahre“ der Herzlosigkeit und Grausamkeit anklagen.<br />

Der Schaffung vernünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse, die zur Ausrottung der Despotie<br />

notwendig sind, werden sich die despotischen Menschen selbst unbedingt entgegenstemmen.<br />

Also muß man ihren Widerstand überwinden. Wer wird ihn aber überwinden? Dobroljubow<br />

antwortet: die unter der Despotie leiden. Wer leidet aber? Die keine Macht und kein Geld<br />

haben. Dobroljubow weist mit Befriedigung darauf hin, daß Ostrowski so schön bemerkt habe,<br />

was die Stärke und Macht der Despotie ausmacht: eine pralle Brieftasche. Daraus ergibt<br />

sich die unmittelbare und ganz logische Folgerung, daß den Kampf gegen die Despotie die<br />

vom Kapital ausgebeutete Klasse führen muß. Dobroljubow stand aber noch nicht auf dem<br />

Klassenstandpunkt. Er liebte das Volk und glaubte fest an das Volk. Er war überzeugt, daß<br />

aus der Mitte des Volkes die zuverlässigsten Kämpfer gegen die Kräfte der Despotie aufsteigen<br />

werden. In seinen Artikeln jedoch wandte er sich – wie das unter unseren damaligen gesellschaftlichen<br />

Bedingungen nicht anders sein konnte – nicht an das Volk, sondern an die<br />

Intelligenz. Er stellte den Kampf der Kräfte in unserer Gesellschaft oft als den Kampf der<br />

Willkür einerseits und den der Bildung anderseits dar. Hier ging unser Materialist wiederum<br />

zum idealistischen Standpunkt über; hier bemerken wir bei ihm wieder jenen Widerspruch,<br />

der sich sowohl bei Tschernyschewski und Feuerbach als auch bei den französischen Materialisten<br />

des 18. Jahrhunderts findet.<br />

Gehen wir weiter. Warum duldet die Gesellschaft die Despotie? fragt Dobroljubow. Seiner<br />

Meinung nach gibt es dafür zwei Ursachen: erstens die Notwendigkeit der materiellen Sicherung,<br />

zweitens das Gefühl der Gesetzlichkeit. Untersuchen wir diese beiden Ursachen.<br />

Die Heldin des Stückes „Das Gewitter“, Katerina Kabanowa, verliebt sich in den – wie Ostrowski<br />

selbst bemerkt – recht gebildeten jungen Mann Boris Grigorewitsch, den Neffen des<br />

Kaufmanns Dikoi. Boris ist durchaus nicht despotisch. Er hat selbst sehr unter der Despotie<br />

seines Onkels zu leiden, hält es aber für nötig, sich zu fügen. Seine Großmutter hat ein Testament<br />

hinterlassen, demzufolge Dikoi ihm mit der Zeit eine bestimmte Geldsumme aushändigen<br />

muß, wenn er, Boris, gegen seinen Onkel ehrerbietig ist. Und darum fügt er sich. Als man von<br />

seinen Beziehungen zu Katerina erfährt und Dikoi ihn auf drei Jahre nach Kjachta schickt, fährt<br />

er hörig ab, da er die Erbschaft zu verlieren fürchtet. Als Katerina zu ihm sagt: „Nimm mich<br />

mit!“, lehnt er es ab: „Ich würde dich gern mitnehmen, aber es liegt nicht in meinem Willen.“<br />

In wessen Willen denn? Im Willen des Onkels. Boris unterwirft sich ihm um seiner materiellen<br />

Sicherheit willen. Dobroljubow führt noch meh-[513]rere derartige Beispiele an und sagt damit<br />

zu seinen Lesern: Ihr werdet euch solange nicht gegen die Despotie empören, bis ihr euch entschließt,<br />

auf jene Lebensgüter zu verzichten, die euch daraus zuteil werden können. Bleiben wir<br />

bei diesem Boris. Warum konnte er ein bestimmtes Vermögen von Dikoi erhalten? Durch das<br />

Testament der Großmutter. Was zeigt sich? Er ist durch verwandtschaftliche Bande mit den<br />

Besitzern der prallen Brieftaschen verbunden. Er selbst gehört ihrer Klasse an. Um sich gegen<br />

diese Klasse aufzulehnen, muß er natürlicherweise den Vorteilen entsagen, die mit der Zugehörigkeit<br />

zu ihr verbunden sind. Was kann ihn zu einer solchen Selbstverleugnung veranlassen?<br />

Nur die Macht der Bildung. Und so appelliert Dobroljubow an die Bildung. Wir müssen zugeben,<br />

daß sich ein gebildeter Mensch, der zur privilegierten Klasse gehört, nur dann zum Protest<br />

erheben kann, wenn er nicht fürchtet, seine materielle Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Somit<br />

wird uns die erste der beiden Ursachen völlig verständlich, die, nach der Ansicht Dobroljubows,<br />

die Festigkeit unseres despotischen Regimes bedingt.<br />

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