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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

Das Stück „Bleib bei deinen Leisten“ <strong>erschien</strong> den Slawophilen als ein Argument der Verteidigung<br />

der alten russischen Einrichtungen. Im Gegensatz dazu betrachteten es manche Westler<br />

als einen Stein, den man in ihren Garten geworfen habe. Beide irrten, denn sie zogen aus<br />

diesem Stück unrichtige Folgerungen. Die einzig richtige Folgerung, die man daraus ziehen<br />

kann, besteht, der Meinung Dobroljubows zufolge, darin, daß bornierte Starrköpfe – selbst so<br />

gutmütige, ehrliche und in ihrer Art geistreiche wie M. F. Russakow – unvermeidlich alle zu<br />

Mißgestalten machen, auf die sich unglückseligerweise ihre Macht und ihr Einfluß erstrekken.<br />

Russakows Tochter, Awdotja Maximowna, führt sich sehr leichtsinnig mit Wichorew<br />

auf. Für ihre Fehler muß man aber wieder dieselbe bornierte Gesellschaft verantwortlich machen.<br />

Dobroljubow drückt das mit den Worten aus: „Die Despotie nimmt den Menschen das<br />

Persönliche, und die Entpersönlichung ist jedem freien vernünftigen Schaffen völlig entgegengesetzt.“<br />

Das ist die richtigste Folgerung, die überhaupt möglich ist. Aber diese richtige<br />

Folgerung hat einen so abstrakten Charakter, daß man von der Höhe ihres Standpunktes einfach<br />

gar nichts mehr von der Frage sieht: Soll Rußland den Weg der westeuropäischen Entwicklung<br />

gehen?<br />

Das gleiche gilt für das Stück „Lebe nicht, wie dir’s behagt“. Ostrowski hat es zweifellos zu<br />

einer Zeit geschrieben, als der Einfluß des slawophilen Zirkels des „Moskwitjanin“ den Höhepunkt<br />

erreicht hatte. Aber Dobroljubow erblickte darin von seinem Aufklärerstandpunkt<br />

aus nur ein neues Argument gegen die Despotie. Der Hauptheld des Stückes, Pjotr Iljitsch,<br />

tyrannisiert seine Frau, säuft und führt ein ausschweifendes Leben, bis er, am Rande des Abgrundes,<br />

beim Geläut zum Frühgottesdienst in sich geht. Die Slawophilen waren von diesem<br />

Rettung bringenden Kirchengeläut sehr gerührt. Aber Dobroljubow sah auch darin einen<br />

[511] ganzen Anklageakt gegen die Borniertheit: in einer gesellschaftlichen Umwelt, in der<br />

nicht vernünftige Erwägungen, sondern Zufälle die Menschen zur Besserung führen, muß es<br />

schon recht wild zugehen. Und je wilder die gesellschaftliche Umwelt ist, desto energischer<br />

müssen die Menschen, die das ihnen eigene Häßliche erkannt haben, dagegen ankämpfen,<br />

desto lauter muß man „die Trommel schlagen“. Wiederum eine ganz richtige Folgerung. Und<br />

wiederum verschwindet auf der Höhe dieser völlig richtigen Folgerung das Interesse an der<br />

konkreten Frage, welchen Weg der gesellschaftlichen Entwicklung Rußland gehen soll.<br />

VI<br />

In seiner Geschichtsphilosophie war Dobroljubow, wie Feuerbach und Tschernyschewski,<br />

Idealist. Er glaubte, daß „die Meinung die Welt regiert“, daß das gesellschaftliche Bewußtsein<br />

das gesellschaftliche Sein bestimme. Der historische Idealismus war jedoch eine Inkonsequenz,<br />

eine Dissonanz in der Weltanschauung Dobroljubows, Tschernyschewskis und Feuerbachs.<br />

In ihren Grundlagen war diese Weltanschauung materialistisch. Nicht weniger materialistisch<br />

waren auch alle „anthropologischen“ Erörterungen unserer Aufklärer. Tschernyschewski<br />

und Dobroljubow teilten mit Robert Owen die Lehre über die menschliche Charakterbildung.<br />

Sie haben wiederholt gesagt, die Bestrebungen und Ansichten der Menschen werden<br />

durch die Eigentümlichkeiten der gesellschaftlichen Umwelt bestimmt. Das ist völlig<br />

gleichbedeutend mit jenem Leitsatz des historischen Materialismus, nach welchem das gesellschaftliche<br />

Bewußtsein durch das gesellschaftliche Sein bestimmt wird. Und solange<br />

Dobroljubow dachte, daß das Bewußtsein durch das Sein bestimmt werde, hat er als Materialist<br />

gedacht. Despotie ist die Frucht einer schlechten Gesellschaftsordnung. Will man sie beseitigen,<br />

muß man auch jene „künstliche gesellschaftliche Kombination“ beseitigen, die sie<br />

geschaffen hat. Diese Erwägung war es, die aus dem Aufruf zum Kampf gegen die Despotie<br />

einen Aufruf zu einer radikalen gesellschaftlichen Reform machte. Mit der Untersuchung der<br />

Charaktere einzelner despotischer Personen will Dobroljubow zeigen, daß die Elemente, die<br />

diese Charaktere bilden, nicht an und für sich schlecht, und manchmal sogar sehr gut, aber<br />

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