18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

sind sehr interessant, haben aber keine Bedeutung für das Volk in seiner Gesamtheit. In den<br />

Schriften Ostrowskis aber fanden die Bestrebungen des russischen Lebens seiner Zeit in<br />

überaus umfassender Weise ihren Ausdruck. Er schildert uns die verlogenen Beziehungen,<br />

die unser ganzes gesellschaftliches Leben erfaßt haben, und zwar mit allen ihren unerfreulichen<br />

Folgeerscheinungen. So ist er ein Echo aller Bestrebungen nach einer besseren Gesellschaftsord-[509]nung<br />

und trägt, wie Feuerbach sich ausgedrückt hätte, zur Rehabilitierung<br />

der Wirklichkeit bei.<br />

„Willkür von der einen Seite und mangelnde Erkenntnis der Rechte der eigenen Persönlichkeit<br />

von der anderen“, sagt Dobroljubow, „auf diesen Grundlagen halten sich die widerwärtigen<br />

Wechselbeziehungen, die in den meisten Komödien Ostrowskis zur Darstellung gelangen;<br />

die Forderung nach Recht, Gesetzlichkeit, Achtung vor dem Menschen – das ist es, was<br />

jeder aufmerksame Leser aus der Tiefe dieser scheußlichen Verhältnisse heraushört. Wer<br />

kann die umfassende Bedeutung dieser Forderungen im russischen Leben in Abrede stellen?<br />

Muß man denn nicht zugeben, daß dieser Hintergrund der Komödien dem Zustand der russischen<br />

Gesellschaft mehr entspricht als dem irgendeiner anderen in Europa?“ 1<br />

An einer anderen Stelle sagt unser Kritiker, das Hauptmotiv des Schaffens Ostrowskis war<br />

die Unnatürlichkeit der gesellschaftlichen Beziehungen, die sich als Folge der Borniertheit<br />

der einen und der Rechtlosigkeit der anderen ergibt. Er fügt dort hinzu, daß das Gefühl der<br />

Auflehnung gegen diese Ordnung der Dinge Ostrowski in den mannigfaltigsten Formen verfolge<br />

und der Beschimpfung der gleichen Gesellschaft ausliefere, die in dieser Ordnung lebt.<br />

Mit einer solchen Ansicht unseres Aufklärer-Kritikers über die gesellschaftliche Bedeutung<br />

der Komödien Ostrowskis gab er seiner Lehre einen, sagen wir: reformatorischen Charakter.<br />

Die anläßlich des Stückes Ostrowskis geschriebenen glänzenden Artikel Dobroljubows waren<br />

ein energischer Aufruf zum Kampf nicht nur gegen die Borniertheit, sondern auch – und das<br />

ist die Hauptsache – gegen jene „künstlichen“ Beziehungen, auf deren Boden die Borniertheit<br />

erwuchs und gedieh. Darin liegt ihr eigentliches Motiv, darin liegt ihre große historische Bedeutung.<br />

Die junge Generation der damaligen Epoche hatte bereits viele Menschen hervorgebracht,<br />

bei denen dieser energische Aufruf Widerhall finden konnte. Sie alle lasen die kritischen<br />

Artikel Dobroljubows mit Begeisterung; sie alle sahen in ihm einen ihrer teuersten<br />

Lehrer; sie alle waren bereit, seinen Weisungen zu folgen. Er hatte nicht umsonst „die<br />

Trommel geschlagen“; er hatte allen Grund, „sich nicht zu fürchten“.<br />

Nun müssen wir indes eine Bemerkung machen. Der Aufklärer-Kritiker, der sich die Verbreitung<br />

fortschrittlicher Ideen in der Gesellschaft um Ziel gesetzt hatte, mußte solche Werke wie<br />

die Stücke Ostrowskis begeistert begrüßen. Sie lieferten ihm sehr reiches Material zur Bloßstellung<br />

der „Unnatürlichkeit“ unserer damaligen gesellschaftlichen [510] Beziehungen. Das<br />

versteht sich von selbst. Als unser Kritiker diese Beziehungen nun einmal vom Standpunkt<br />

des Aufklärers betrachtet, als er sie nun einmal vor den Richterstuhl der abstrakten, „natürlichen“<br />

Vernunft gestellt hatte, blieb er sich selbst durchaus treu, wenn er es ablehnte, sie vom<br />

konkreten, d. h. historischen Standpunkt aus zu betrachten. Und die Auseinandersetzung der<br />

Slawophilen mit den Westlern war nichts anderes als ein Versuch – ein zwar nicht ganz hinlänglicher,<br />

aber immerhin ein Versuch –‚ sie vom konkreten Standpunkt aus zu betrachten.<br />

Daher dürfen wir uns über den Gleichmut Dobroljubows gegen diese Auseinandersetzung<br />

nicht wundern. Im vorliegenden Falle war Dobroljubow noch mehr Aufklärer als Tschernyschewski.<br />

Das heißt, im vorliegenden Falle konnte er sich noch eher als Tschernyschewski<br />

mit den Lösungen der abstrakten Vernunft zufriedengeben. Die früheren slawophilen<br />

Schwärmereien Ostrowskis berührten sein Interesse nicht im geringsten.<br />

1 Werke Dobroljubows, Bd. III, S. 430. [Zit. Werk, S. 648.]<br />

10

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!