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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

erfaßt oder die Sache nur oberflächlich betrachtet hat, ob er den ganzen Gegenstand erfaßt hat<br />

oder nur bestimmte Seiten. Hier sind zahllose Nuancen möglich.<br />

Dobroljubow hat Ostrowski sehr hoch eingeschätzt, weil er in ihm einen Künstler sah, der die<br />

natürlichen Bestrebungen seiner Zeit und seines Volkes in ihrem tiefinnersten Wesen zu erfassen<br />

und zum Ausdruck zu bringen verstand. Wir werden seine Ansicht über Ostrowski<br />

sogleich eingehend untersuchen. Zuvor müssen wir jedoch noch einmal abschweifen. [506]<br />

IV<br />

Es ist leicht zu verstehen, daß ein Kritiker die Werke eines wahren Künstlers – d. h. eines<br />

solchen, dessen Werke die natürlichen Bestrebungen der Epoche zum Ausdruck bringen –<br />

von zwei Seiten betrachten kann. Er kann sein Hauptaugenmerk entweder darauf richten, wie<br />

die Wahrheit des Lebens dargestellt, oder darauf, welche Wahrheit in ihnen namentlich zum<br />

Ausdruck gebracht wird. Im ersten Fall wird seine Untersuchung vornehmlich ästhetischen<br />

Charakter haben; im zweiten Fall läuft er Gefahr, zu einem Publizisten zu werden. Dobroljubow<br />

war sich dieser Gefahr sehr wohl bewußt, ließ sich aber nicht im geringsten beirren. In<br />

dem Artikel, der Turgenews Erzählung „Am Vorabend“ gewidmet ist, lehnt er die Rolle eines<br />

Erziehers des Publikums zu ästhetischem Geschmack kategorisch ab und erklärt spöttisch, die<br />

ästhetische Kritik sei jetzt zu einer Sache sentimentaler junger Damen geworden. Und in dem<br />

Artikel „Ein Lichtstrahl im finsteren Reich“ stellt er seine kritischen Methoden so dar. Bei<br />

der Besprechung eines Kunstwerkes hält er sich für verpflichtet zu sagen:<br />

„Der Autor hat das und das dargestellt, die von ihm wiedergegebenen Bilder bedeuten unserer<br />

Meinung nach das und das, ihr Ursprung, ihr Sinn ist der und der; wir finden, daß all dies<br />

in lebendiger Beziehung zu eurem Dasein und euren Sitten steht und die und die Bedürfnisse<br />

erklärt, deren Befriedigung für euer Glück notwendig ist.“ 1<br />

Der Zweck der Kritik besteht, wie wir sehen, darin, den Menschen ihre wahren, „natürlichen“<br />

Bedürfnisse klarzumachen. Es nimmt nicht wunder, daß sich ein Literaturkritiker mit einem<br />

solchen Ziel nicht scheut, Publizist zu werden. Als Überschrift zu dem von mir oben zitierten<br />

Artikel „Wann endlich kommt der Tag?“ wählte Dobroljubow die bezeichnenden Worte Heines:<br />

„Schlage die Trommel und fürchte dich nicht.“ Es waren gerade seine kritischen Artikel,<br />

in denen er „die Trommel schlug“, bestrebt, die Schlafenden zu erwecken. In seiner Person<br />

haben wir den typischen Aufklärer-Kritiker vor uns.<br />

Dobroljubow war in diesem wie auch in allen übrigen Fällen Schüler Tschernyschewskis.<br />

Seine „reale Kritik“ ist nichts anderes als die Anwendung der ästhetischen Theorie des genannten<br />

Schriftstellers auf die kritische Untersuchung von Kunstwerken. Eine der Thesen der<br />

berühmten Dissertation „Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit“ lautet:<br />

„Die wesentliche Bestimmung der Kunst ist die Nachbildung alles dessen, was für den Menschen<br />

im Leben interessant ist; sehr häufig tritt [507] besonders in den Werken der Dichtung<br />

auch die Erklärung des Lebens, die Beurteilung seiner Erscheinungen in den Vordergrund.“ 2<br />

Dobroljubow wollte, daß die Kunstwerke eine Erklärung des Lebens geben. Und seine kritischen<br />

Artikel hatten die „Bedeutung eines Urteils über die Erscheinungen des Lebens“, wie<br />

es in den Werken der schönen Literatur dargestellt wird. Er sagte: „... die Literatur ist... eine<br />

Hilfskraft, deren Bedeutung in der Propaganda besteht und deren Wert dadurch bestimmt<br />

wird, was sie propagiert und wie sie es tut.“ 3<br />

1 Ebenda, S. 427. [Zit. Werk, S. 645.]<br />

2 Werke Tschernyschewskis, Bd. X, 2. Teil, S. 164. [N. G. Tschernyschewski, Ausgewählte philosophische Schriften,<br />

S. 485/486, deutsch.]<br />

3 Werke Dobroljubows, Bd. III, S. 422. [Zit. Werk, S. 638.]<br />

8

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