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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

gen seiner jüngeren Gesinnungsgenossen kein praktisches Interesse boten. Ich will das sogleich<br />

am Beispiel Dobroljubows klarmachen.<br />

III<br />

Kehren wir zur „realen Kritik“ zurück. Sie ist uns zum Teil schon bekannt; um sie nun vollständiger<br />

zu verstehen, müssen wir ihre Grundthesen mit den geschichtsphilosophischen Ansichten<br />

Dobroljubows in Zusammenhang bringen.<br />

Die reale Kritik drängt dem Künstler nichts auf. Die einzige Forderung, die sie ihm stellt, läßt<br />

sich mit einem Wort ausdrücken: Wahrheit. Nun kann die vom Künstler in seinen Werken<br />

dargestellte Wahrheit mehr oder [503] weniger tief und vollständig sein. Sie ist um so tiefer<br />

und vollständiger, je besser sie die natürlichen Bestrebungen einer bestimmten Zeit und eines<br />

bestimmten Volkes zum Ausdruck bringt. Wie soll man solche Bestrebungen bestimmen?<br />

Nach der Meinung Dobroljubows laufen die natürlichen Bestrebungen der Menschheit darauf<br />

hinaus, „daß es allen gut gehe“. Aber dieses Grundstreben des Menschengeschlechts läßt sich<br />

nur verwirklichen, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind, die in der bisherigen Geschichte<br />

nicht gegeben waren. Und da sie gefehlt haben, ist es dahin gekommen, daß sich die<br />

Menschen in ihrem Streben nach dem erwähnten Ziel: „daß es allen gut gehe“, diesem Ziel<br />

nicht nur nicht genähert, sondern von ihm entfernt haben und sich auch von ihm entfernen<br />

mußten. Warum? „... jeder wollte“, so antwortet Dobroljubow, „daß es ihm gut gehe, und<br />

behinderte, indem er auf das eigene Wohl hinwirkte, die anderen; es aber so einzurichten, daß<br />

der eine den andern nicht behindert, verstanden sie noch nicht.“ 1 Unser Autor vergleicht die<br />

Menschheit, die ihre gesellschaftlichen Beziehungen nicht richtig zu ordnen versteht, mit<br />

ungeübten Tänzern, die ihre Bewegungen nicht, wie es sich gehört, beherrschen. Solche Tänzer<br />

stoßen notwendigerweise zusammen; daher ist es sogar in einem geräumigen Saal unmöglich,<br />

daß viele Paare Walzer tanzen. Es tanzen nur die geschicktesten; die weniger geschickten<br />

warten ab, und die ganz ungeschickten tanzen überhaupt nicht und setzen sich beispielsweise<br />

zum Kartenspielen hin und riskieren, daß sie verlieren. „So war es auch, als es galt, ihr<br />

Leben einzurichten: die Geschickteren suchten weiter ihr Wohlergehen, die anderen blieben<br />

sitzen, machten sich an etwas, was sie hätten lassen sollen, und verspielten; das allgemeine<br />

Fest des Lebens wurde von allem Anfang an gestört. Vielen war es nicht nach Belustigungen<br />

zumute, viele gelangten zu der Überzeugung, daß zur Belustigung nur diejenigen eingeladen<br />

sind, die geschickt tanzen. Die geschickten Tänzer aber, die es zu Wohlleben gebracht hatten,<br />

fuhren fort, dem natürlichen Hang zu folgen, und nahmen für ihre Belustigung immer mehr<br />

Raum, immer mehr Mittel in Anspruch.“ 2 Das rief eine Reaktion seitens derer hervor, die<br />

sich an den Tänzen nicht beteiligten; sie versuchten, in den Kreis der Fröhlichen einzutreten.<br />

Aber die „ursprünglichen Tänzer“ waren damit nicht einverstanden und machten alle Anstrengungen,<br />

die neuen Prätendenten zu verdrängen. „Es begann ein mannigfaltiger, langer,<br />

meist für die Neulinge ungünstig auslaufender Kampf: man verlachte sie, stieß sie zurück,<br />

ließ sie die Kosten des Festes bezahlen, nahm ihnen die Damen und den Damen die Kavaliere<br />

und jagte sie ganz vom [504] Fest fort. Je schlechter es aber den Menschen geht, um so mehr<br />

fühlen sie das Bedürfnis, daß es gut gehe. Bedürfnisse können durch Entbehrungen nicht gestillt,<br />

sondern nur angefacht werden. Nur Nahrungsaufnahme kann den Hunger stillen.<br />

Deshalb ist der Kampf bis auf den heutigen Tag nicht beendet; die natürlichen Bestrebungen<br />

suchen, bald gleichsam abflauend, bald wieder stärker aufflackernd, immerfort Befriedigung.<br />

Darin besteht das Wesen der Weltgeschichte.“ 3<br />

1 [N. A. Dobroljubow, Ausgewählte philosophische Schriften, S. 636, deutsch.]<br />

2 [Ebenda, S. 636/637.]<br />

3 Werke Dobroljubows, Bd. III, S. 421/422. [Zit. Werk, S. 637.]<br />

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