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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

hatte sich im literarischen Schaffen Ostrowskis vieles geändert. Seine Schwärmerei für slawophile<br />

Ideen hatte in dem Stück „Lebe nicht, wie dir’s behagt“, das später als das Stück<br />

„Armut ist kein Laster“ geschrieben wurde, ihren Höhepunkt erreicht. Aber dann hatte sie<br />

begonnen nachzulassen. Auf jeden Fall hielt Ostrowski, wie man sieht, nicht mehr jene Art<br />

der „Verbindung des Erhabenen mit dem Komischen“ für angebracht, die die Stücke „Armut<br />

ist kein Laster“ und „Bleib bei deinen Leisten“ in der Tat stark verdorben hatte. Diese Wendung<br />

zum Besseren mußte der Redaktion des „Sowremennik“ erwünscht sein, die nun das<br />

hervorragende künstlerische Talent Ostrowskis sofort richtig einschätzte. Derselbe Tschernyschewski,<br />

der das Stück „Armut ist kein Laster“ einer so scharfen Kritik unterzogen hatte,<br />

fügte in der gleichen Notiz hinzu, daß der Verfasser des Stückes, seiner Meinung nach, wenn<br />

er schon seinen literarischen Ruf geschädigt, so doch seine herrliche Begabung noch nicht<br />

gänzlich ruiniert habe: „... sie kann wieder in ihrer früheren Frische und Stärke erscheinen,<br />

wenn Herr Ostrowski diesen schlammigen Pfad verläßt, der ihn zu dem Stück ‚Armut ist kein<br />

Laster‘ geführt hat.“ 1 Und als Ostrowskis Stück „Ein erträglicher Posten“ <strong>erschien</strong>, legte<br />

Tschernyschewski seinen Inhalt in seinen „Notizen über Zeitschriften“ in kurzen, aber sehr<br />

anerkennenden Worten dar. Er sagte da, es erinnere durch seine starke und edle Tendenz an<br />

das Stück, dem Ostrowski seinen größten Ruf verdanke, nämlich die Komödie „Das werden<br />

wir schon unter uns ausmachen“. 2 Die früheren Irrtümer Ostrowskis werden in dieser Darlegung<br />

seines neuen Stückes mit keinem Wort erwähnt; offensichtlich hielt Tschernyschewski<br />

an dem Grundsatz fest: „Wer an Vergangenes rührt, der soll blind werden.“ Und es ist durchaus<br />

begreiflich, daß die Redaktion des „Sowremennik“ von diesem Grundsatz nicht abgewichen<br />

ist, als Dobroljubow seine Artikel über „Das finstere Reich“ schrieb und als Ostrowski<br />

von der Stimmung des fortschrittlichen Teils der damaligen russischen Gesellschaft mehr und<br />

mehr durchdrungen wurde. Ist dieser Grundsatz eine vollauf befriedigende Erklärung für das<br />

Schweigen über die früheren Irrtümer Ostrowskis, so genügt er doch nicht, ihre Verneinung<br />

durch Dobroljubow zu erklären. Wodurch wurde die hervorgerufen? Ich sehe dafür nur eine<br />

Erklärung. Der Standpunkt, von dem [502] Dobroljubow die schöngeistige Literatur betrachtete<br />

– der Standpunkt der „realen Kritik“ –‚ war dermaßen abstrakt, daß die Frage fast jede<br />

Bedeutung verlor, die noch vor kurzem zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den<br />

Slawophilen und den Westlern geführt hatte: Welchen Weg der Entwicklung wird Rußland<br />

gehen – den westeuropäischen oder seinen eigenen, besonderen, russischen, „selbständigen“<br />

Weg? Allerdings verharrte Tschernyschewski fest auf dem gleichen Standpunkt, aber diese<br />

Frage verlor für ihn bis zuletzt nicht an Interesse. Man muß sich erinnern, daß Tschernyschewski<br />

ihr gegenüber jedoch bei weitem nicht jene Leidenschaft an den Tag legte, wie wir<br />

sie in den Schriften der Westler der vierziger Jahre finden. Er sagte, daß von den Elementen,<br />

aus denen das System der slawophilen Denkweise besteht, „viele durchaus identisch sind mit<br />

den Ideen, zu denen die Wissenschaft gelangt ist oder zu denen die geschichtliche Erfahrung<br />

in Westeuropa die Besten hingeführt hat“ 3 . Er verschloß nicht die Augen vor den theoretischen<br />

Fehlern der Slawophilen. Aber er sah, wenigstens zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit,<br />

gern darüber hinweg und pflegte zu sagen, daß „es im Leben etwas Wichtigeres gebe als<br />

abstrakte Ideen“ 4 . Seine negative Einstellung zu den Slawophilen wurde dadurch stark gemildert,<br />

daß er in solchen praktischen Fragen des russischen Lebens wie zum Beispiel in der<br />

Frage der Feldgemeinschaft ihre Meinung teilte. Außerdem war Tschernyschewski acht Jahre<br />

älter als Dobroljubow; die für seine geistige Entwicklung entscheidende Zeit lag der „Epoche<br />

der vierziger Jahre“ näher, und deshalb konnten in seiner Weltanschauung solche Elemente<br />

eine wichtigere Rolle spielen, die er zwar aus dieser Epoche ererbt hatte, die aber in den Au-<br />

1 Ebenda, S. 130.<br />

2 Ebenda, Bd. III, S. 154-157.<br />

3 Werke Tschernyschewskis, Bd. III, S. 150.<br />

4 Ebenda, S. 148.<br />

5

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