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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

hauptete, auf eine Höhe, die das Auffassungsvermögen der heutigen Kritik übersteigt?“ 1<br />

Dobroljubow meint, keine der beiden Erklärungen sei brauchbar. Der Grund des „Durcheinanders“<br />

in den Urteilen über Ostrowski besteht gerade darin, daß man ihn zum Vertreter dieses<br />

oder jenes Systems von Anschauungen machen wollte. Jeder Kritiker hat sein beachtenswertes<br />

Talent anerkannt. Aber mit solcher Anerkennung wollte jeder Kritiker in ihm einen<br />

Vorkämpfer jenes Systems von Anschauungen sehen, dem er selbst anhing. Die Slawophilen<br />

hielten ihn für einen Ihrigen, die Westler zählten ihn zu ihrem Lager. Da er in Wirklichkeit<br />

weder slawophil noch westlerisch eingestellt war – wenigstens nicht in seinen Schriften –‚<br />

konnte man weder in diesem noch in jenem Lager mit ihm zufrieden sein. Die slawophile<br />

Zeitschrift „Russkaja Besseda“ beklagte sich, daß „er es zuweilen an mutiger Entschlossenheit<br />

in der Ausführung seines Vorhabens fehlen läßt“, daß ihm „gewissermaßen eine falsche<br />

Scham und eine schüchterne Art, die sich in ihm durch einen natürlichen Hang herausgebildet<br />

hatten, hindernd im Wege stehen“; im Gegensatz hierzu bedauerte die westlerisch eingestellte<br />

Zeitschrift „Atenej“, daß Ostrowski in seinen dramatischen Werken die [497] Empfindung<br />

und den freien Willen des Menschen Prinzipien untergeordnet habe, „die bei unseren<br />

Slawophilen volkstümlich genannt werden“. Die Kritik wollte Ostrowski nicht offen und einfach<br />

als einen Schriftsteller betrachten, der das Leben eines bestimmten Teils der russischen<br />

Gesellschaft darstellte. Sie sah in ihm den Verkünder der mit den Auffassungen dieser oder<br />

jener Partei übereinstimmenden Moral. Daher auch die Verwirrung in ihren Urteilen. Ostrowskis<br />

seltsames Geschick ist also daraus zu erklären, daß er ein Opfer der Polemik zwischen<br />

den beiden entgegengesetzten Lagern wurde.<br />

Dobroljubow seinerseits will Ostrowski offen, einfach und unabhängig von irgendwelchen<br />

parteiischen Meinungen betrachten. Er bezeichnet seinen Standpunkt als Standpunkt der realen<br />

Kritik, deren Besonderheiten in folgendem bestehen.<br />

Erstens schreibt sie nichts vor, sondern sie studiert. Sie fordert nicht, der Autor solle doch so<br />

und nicht anders schreiben; sie untersucht nur, was er schreibt, und weiter nichts.<br />

„Natürlich“, so fügt Dobroljubow erklärend dazu, „wir stellen nicht in Abrede, daß es besser<br />

wäre, wenn Ostrowski Aristophanes, Molière und Shakespeare in sich vereinigte; wir wissen<br />

jedoch, daß dies nicht der Fall ist, daß es unmöglich ist, und trotzdem halten wir Ostrowski<br />

für einen hervorragenden Schriftsteller in unserer Literatur und finden, daß er auch an sich, so<br />

wie er ist, gar nicht übel ist und verdient, von uns beachtet und studiert zu werden...“ 2<br />

Zweitens schreibt die reale Kritik dem Autor nicht ihre eigenen Gedanken zu. Das ist so zu<br />

verstehen. Nehmen wir an, der Autor habe in einem Werk eine Person dargestellt, die sich<br />

durch Anhänglichkeit an die alten Vorurteile auszeichnet. Gleichzeitig wird der Charakter<br />

dieser Person als gut und schön herausgestellt. Daraus ziehen manche Kritiker sofort den<br />

Schluß, der Autor wolle für das Alte eintreten. Gegen derartige Schlußfolgerungen wendet<br />

sich Dobroljubow ganz entschieden.<br />

„... für die reale Kritik“, so sagt er, „kommt hier in erster Linie die Tatsache in Betracht: der<br />

Autor führt einen guten, nicht einen dummen Menschen vor, der mit alten Vorurteilen behaftet<br />

ist. Dann prüft die Kritik, ob eine solche Person möglich und in Wirklichkeit vorhanden<br />

ist; nachdem sie dann gefunden hat, daß die Person der Wirklichkeit entspricht, stellt sie ihre<br />

eigenen Betrachtungen an über die Ursachen, die diese Person hervorgebracht haben, usw.<br />

Sind im Werk des zur Erörterung stehenden Autors diese Ursachen angegeben, so bedient<br />

sich die Kritik auch [498] ihrer und dankt dem Autor; ist das nicht der Fall, so setzt sie ihm<br />

nicht das Messer an die Kehle und fragt nicht, wie er es denn gewagt habe, eine solche Per-<br />

1 [N. A. Dobroljubow, Ausgewählte philosophische Schriften, S. 284, deutsch.]<br />

2 Werke N. A. Dobroljubows, Petersburg, 4. Ausgabe, A. F. Pantelejew, Bd. III, S. 13. [Zit. Werk, S. 289.]<br />

2

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