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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 Aber da sehe ich schon einen Einwand voraus. Darwin hat in seinem Buch „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ bekanntlich eine Menge Tatsachen angeführt, die davon zeugen, daß das Gefühl für Schönheit (sense of beauty) im Leben der Tiere eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Man weist mich auf diese Tatsachen hin und zieht daraus die Schlußfolgerung, die Entstehung des Schönheitssinns müsse biologisch erklärt werden. Man macht mich darauf aufmerksam, daß es unstatthaft (weil zu „eng“) sei, die Entwicklung dieses Sinns bei den Menschen einzig und allein auf die Ökonomik ihrer Gesellschaft zurückzuführen. Und da die Anschauung Darwins von der Entwicklung der Arten zweifellos eine materialistische Anschauung ist, wird man mir auch sagen, daß der biologische Materialismus ein herrliches Material für die Kritik des einseitigen historischen („ökonomischen“) Materialismus liefert. Ich verstehe den ganzen Ernst dieses Einwandes und verweile deshalb bei ihm. Das wird für mich um so nützlicher sein, weil ich in meiner Antwort zugleich eine Reihe ähnlicher Einwände beantworte, die man dem Gebiet des Seelenlebens der Tiere entnehmen kann. Vor allem werden wir uns bemühen, möglichst genau jene Schlußfolgerung zu bestimmen, die wir auf Grund der von Darwin angeführten Tatsachen ziehen müssen. Und zu diesem Zwecke wollen wir sehen, welchen Syllogismus er selbst auf ihnen aufbaut. Im zweiten Kapitel des ersten Teils seines Buches über die Abstammung des Menschen lesen wir: „Gefühl für Schönheit. – Dieses Gefühl ist für ein dem Menschen eigentümliches erklärt worden. Wenn wir aber sehen, wie männliche Vögel mit Vorbedacht ihr Gefieder und dessen prächtige Farben vor den Weibchen entfalten, während andere nicht in derselben Weise geschmückte Vögel keine solche Vorstellung geben können, so läßt sich unmöglich zweifeln, daß die Weibchen die Schönheit ihrer männlichen Genossen bewundern. Da sich Frauen überall mit solchen Federn schmücken, läßt sich [46] die Schönheit solcher Ornamente nicht bestreiten. Dadurch, daß die Kragenvögel (Chlamydera) ihre Spielplätze geschmackvoll mit heiter gefärbten Gegenständen schmücken, wie es manche Kolibris mit ihren Nestern tun, liefern sie einen weiteren Beweis dafür, daß sie ein Gefühl für Schönheit besitzen. So werden auch, was den Gesang der Vögel betrifft, die reizenden Klänge, welche die Männchen während der Zeit der Liebe von sich geben, gewiß von den Weibchen bewundert, für welche Tatsache später noch Beweise werden beigebracht werden. Wären weibliche Vögel nicht imstande, die schönen Farben, den Schmuck, die Stimmen ihrer männlichen Genossen zu würdigen, so würde alle die Mühe und Sorgfalt, welche diese darauf verwenden, ihre Reize vor den Weibchen zu entfalten, weggeworfen sein, und dies läßt sich unmöglich annehmen. Warum gewisse glänzende Farben und gewisse Töne, sobald sie in Harmonie stehen, Vergnügen erregen, läßt sich, wie ich vermute, ebensowenig erklären, als warum gewisse Gerüche und Geschmäcke angenehm sind; aber zuverlässig werden dieselben Farben und dieselben Töne gleichmäßig von uns und von vielen niederen Tieren bewundert.“ 1 Somit zeugen die von Darwin angeführten Tatsachen davon, daß die niederen Tiere, ähnlich wie der Mensch, fähig sind, ästhetische Genüsse zu empfinden, und daß unser ästhetischer Geschmack manchmal mit dem Geschmack der niederen Tiere zusammenfällt. 2 Aber diese Tatsachen erklären uns nicht die Herkunft der genannten Arten des Geschmacks. 1 Darwin, „Die Abstammung des Menschen“, St. Petersburg 1899, Bd. 1, S. 45 (übersetzt unter der Red. von Prof. I. M. Setschenow). [Charles Darwin, „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“, Erster Band, Stuttgart 1871, S. 53/54.] 2 Nach Ansicht von Wallace hat Darwin die Bedeutung des Schönheitssinns für die geschlechtliche Zuchtwahl bei den Tieren sehr übertrieben. Ich überlasse die Entscheidung, ob Wallace recht hat, den Biologen und gehe jetzt von der Annahme aus, daß der Gedanke Darwins unzweifelhaft richtig ist, und Sie werden, sehr geehrter Herr, zugeben, daß das die für mich am wenigsten vorteilhafte Annahme ist. 4

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 Und wenn die Biologie uns schon die Herkunft unserer ästhetischen Geschmacksrichtungen nicht erklärt, kann sie um so weniger ihre historische Entwicklung erklären. Aber lassen wir Darwin selbst sprechen: „Der Geschmack für das Schöne“, so fährt er fort, „wenigstens was die weibliche Schönheit betrifft, ist nicht in einer spezifischen Form dem menschlichen Geiste eingeprägt; denn in den verschiedenen Menschenrassen weicht er vielfach ab ... und ist selbst bei den verschiedenen Nationen einer und derselben Rasse nicht derselbe. Nach den widerlichen Ornamenten und der gleichmäßig widerlichen Musik zu urteilen, welche die meisten Wilden bewundern, ließe sich behaupten, daß ihr ästhetisches Ver-[47]mögen nicht so hoch entwickelt sei als bei gewissen Tieren, z. B. bei Vögeln.“ 1 Ist die Auffassung vom Schönen bei den einzelnen Nationen ein und derselben Rasse verschieden, so ist damit klar, daß man die Ursachen einer solchen Verschiedenheit nicht in der Biologie suchen darf. Darwin selbst sagt uns, unsere Nachforschungen müßten nach einer anderen Seite gerichtet sein. In der zweiten englischen Ausgabe seines Buches finden wir in dem eben von mir zitierten Absatz die folgenden Worte, die in der russischen Übersetzung aus der ersten englischen Auflage unter der Redaktion von I. M. Setschenow nicht vorkommen: „With cultivated men such (d. h. ästhetische) sensations are however intimately associated with complex ideas and trains of thought.“ 2 Das heißt: „Bei kultivierten Menschen sind indessen Empfindungen innig mit komplizierten Ideen und Gedankengängen assoziiert.“ Das ist ein äußerst wichtiger Hinweis. Er verweist uns von der Biologie auf die Soziologie, da, wie Darwin meint, offenbar gerade durch gesellschaftliche Ursachen der Umstand bedingt wird, daß beim kultivierten Menschen die Empfindungen des Schönen mit vielen komplizierten Ideen assoziiert werden. Hat Darwin aber recht mit der Annahme, daß eine solche Assoziation nur bei kultivierten Menschen stattfindet? Nein, er hat nicht recht, und davon kann man sich leicht überzeugen. Nehmen wir ein Beispiel. Bekanntlich spielen die Häute, Klauen und Zähne der Tiere beim Schmuck der primitiven Völker eine sehr wichtige Rolle. Wodurch erklärt sich diese Rolle? Durch die Verbindung von Farben und Linien in diesen Gegenständen? Nein, hier handelt es sich darum, daß der Wilde, wenn er sich zum Beispiel mit dem Fell, den Klauen und Zähnen des Tigers oder der Haut und den Hörnern des Bisons schmückt, seine eigene Geschicklichkeit oder Kraft andeuten will: wer den Geschickten besiegt hat, ist selbst geschickt, wer den Starken besiegt hat, ist selbst stark. Möglicherweise ist da außerdem irgendein Aberglaube beigemischt. Schoolcraft teilt mit, daß die Indianerstämme des nordamerikanischen Westens ganz besonders Schmuckgegenstände lieben, die aus den Klauen des Grislybären, des wildesten der dortigen Raubtiere, angefertigt worden sind. Der rothäutige Krieger glaubt, die Wildheit und Kühnheit des Grislybären übertrage sich auf den, der sich mit dessen Klauen schmückt. [48] Somit dienen ihm diese Klauen, nach der Meinung Schoolcrafts, teils als Schmuck, teils als Amulett. 3 Man darf in diesem Falle natürlich nicht glauben, die Häute, Klauen und Zähne der Tiere haben den Rothäuten ursprünglich einzig und allein wegen der diesen Gegenständen eigenen Zusammenstellung von Farben und Linien gefallen. 4 Nein, viel wahrscheinlicher ist die um- 1 Darwin, „Die Abstammung des Menschen“, Bd. 1, S. 45. [Zit. Werk, Erster Band, Stuttgart 1871, S. 54.] 2 „The Descent of Man“, London 1883, p. 92. Wahrscheinlich kommen diese Worte in der neuen russischen Darwin-Übersetzung vor, aber ich habe sie nicht zur Hand. 3 Schoolcraft, „Historical and statistical information respecting the history, condition and prospects of the Indian Tribes of the United States“, t. III, p. 216. 4 Es gibt Fälle, wo die Gegenstände eben dieser Art ausschließlich wegen ihrer Farbe gefallen; doch hierüber in der weiteren Darlegung. 5

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Und wenn die Biologie uns schon die Herkunft unserer ästhetischen Geschmacksrichtungen<br />

nicht erklärt, kann sie um so weniger ihre historische Entwicklung erklären. Aber lassen wir<br />

Darwin selbst sprechen:<br />

„Der Geschmack für das Schöne“, so fährt er fort, „wenigstens was die weibliche Schönheit<br />

betrifft, ist nicht in einer spezifischen Form dem menschlichen Geiste eingeprägt; denn in den<br />

verschiedenen Menschenrassen weicht er vielfach ab ... und ist selbst bei den verschiedenen<br />

Nationen einer und derselben Rasse nicht derselbe. Nach den widerlichen Ornamenten und<br />

der gleichmäßig widerlichen Musik zu urteilen, welche die meisten Wilden bewundern, ließe<br />

sich behaupten, daß ihr ästhetisches Ver-[47]mögen nicht so hoch entwickelt sei als bei gewissen<br />

Tieren, z. B. bei Vögeln.“ 1<br />

Ist die Auffassung vom Schönen bei den einzelnen Nationen ein und derselben Rasse verschieden,<br />

so ist damit klar, daß man die Ursachen einer solchen Verschiedenheit nicht in der<br />

Biologie suchen darf. Darwin selbst sagt uns, unsere Nachforschungen müßten nach einer<br />

anderen Seite gerichtet sein. In der zweiten englischen Ausgabe seines Buches finden wir in<br />

dem eben von mir zitierten Absatz die folgenden Worte, die in der russischen Übersetzung<br />

aus der ersten englischen Auflage unter der Redaktion von I. M. Setschenow nicht vorkommen:<br />

„With cultivated men such (d. h. ästhetische) sensations are however intimately associated<br />

with complex ideas and trains of thought.“ 2<br />

Das heißt: „Bei kultivierten Menschen sind indessen Empfindungen innig mit komplizierten<br />

Ideen und Gedankengängen assoziiert.“ Das ist ein äußerst wichtiger Hinweis. Er verweist<br />

uns von der Biologie auf die Soziologie, da, wie Darwin meint, offenbar gerade durch gesellschaftliche<br />

Ursachen der Umstand bedingt wird, daß beim kultivierten Menschen die Empfindungen<br />

des Schönen mit vielen komplizierten Ideen assoziiert werden. Hat Darwin aber recht<br />

mit der Annahme, daß eine solche Assoziation nur bei kultivierten Menschen stattfindet?<br />

Nein, er hat nicht recht, und davon kann man sich leicht überzeugen. Nehmen wir ein Beispiel.<br />

Bekanntlich spielen die Häute, Klauen und Zähne der Tiere beim Schmuck der primitiven<br />

Völker eine sehr wichtige Rolle. Wodurch erklärt sich diese Rolle? Durch die Verbindung<br />

von Farben und Linien in diesen Gegenständen? Nein, hier handelt es sich darum, daß<br />

der Wilde, wenn er sich zum Beispiel mit dem Fell, den Klauen und Zähnen des Tigers oder<br />

der Haut und den Hörnern des Bisons schmückt, seine eigene Geschicklichkeit oder Kraft<br />

andeuten will: wer den Geschickten besiegt hat, ist selbst geschickt, wer den Starken besiegt<br />

hat, ist selbst stark. Möglicherweise ist da außerdem irgendein Aberglaube beigemischt.<br />

Schoolcraft teilt mit, daß die Indianerstämme des nordamerikanischen Westens ganz besonders<br />

Schmuckgegenstände lieben, die aus den Klauen des Grislybären, des wildesten der dortigen<br />

Raubtiere, angefertigt worden sind. Der rothäutige Krieger glaubt, die Wildheit und<br />

Kühnheit des Grislybären übertrage sich auf den, der sich mit dessen Klauen schmückt. [48]<br />

Somit dienen ihm diese Klauen, nach der Meinung Schoolcrafts, teils als Schmuck, teils als<br />

Amulett. 3<br />

Man darf in diesem Falle natürlich nicht glauben, die Häute, Klauen und Zähne der Tiere<br />

haben den Rothäuten ursprünglich einzig und allein wegen der diesen Gegenständen eigenen<br />

Zusammenstellung von Farben und Linien gefallen. 4 Nein, viel wahrscheinlicher ist die um-<br />

1 Darwin, „Die Abstammung des Menschen“, Bd. 1, S. 45. [Zit. Werk, Erster Band, Stuttgart 1871, S. 54.]<br />

2 „The Descent of Man“, London 1883, p. 92. Wahrscheinlich kommen diese Worte in der neuen russischen<br />

Darwin-Übersetzung vor, aber ich habe sie nicht zur Hand.<br />

3 Schoolcraft, „Historical and statistical information respecting the history, condition and prospects of the Indian<br />

Tribes of the United States“, t. III, p. 216.<br />

4 Es gibt Fälle, wo die Gegenstände eben dieser Art ausschließlich wegen ihrer Farbe gefallen; doch hierüber in<br />

der weiteren Darlegung.<br />

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