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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

mulierung seiner Ansicht über die Kunst: „Die wesentliche Bestimmung der Kunst ist die<br />

Nachbildung alles dessen, was für den Menschen im Leben interessant ist; sehr häufig tritt<br />

besonders in den Werken der Dichtung auch die Erklärung des Lebens, die Beurteilung seiner<br />

Erscheinungen in den Vordergrund.“ 1<br />

IX<br />

Inwieweit hat unser berühmter Autor recht? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir zuerst<br />

seine Definition des Schönen untersuchen.<br />

Das Schöne ist das Leben, sagt er, und von dieser Definition ausgehend, bemüht er sich zu<br />

erklären, weshalb wir zum Beispiel blühende Gewächse lieben. „... an Pflanzen“, so sagt er,<br />

„gefallen uns frische Farben und üppige, reiche Formen..., die von kraftvollem frischem Leben<br />

zeugen. Eine welkende Pflanze ist nicht schön; eine Pflanze ohne rechte Lebenssäfte ist<br />

nicht schön.“ 2 Das ist sehr geistreich gesagt und in gewissem Umfang völlig richtig. Aber<br />

nun kommt die Schwierigkeit. Bekanntlich schmücken sich die Naturvölker, zum Beispiel die<br />

Buschmänner, die Australier und andere auf der gleichen Entwicklungsstufe stehende „Wilde“,<br />

niemals mit Blumen, obgleich sie in Gegenden leben, die an Blumen sehr reich sind. Die<br />

moderne Ethnologie hat es als feste Tatsache erwiesen, daß die besagten Völker die Motive<br />

ihrer Ornamentik ausschließlich der Tierwelt entlehnen. Es folgt also daraus, daß sich diese<br />

Wilden für Pflanzen nicht im geringsten interessieren und daß die eben angeführten geistreichen<br />

Betrachtungen Tschernyschewskis auf ihre Psychologie ganz und gar nicht anwendbar<br />

sind. Es fragt sich, warum nicht anwendbar? Hierauf läßt sich antworten, daß sie (die Wilden)<br />

die dem normal entwickelten Menschen eigenen Geschmacksrichtungen noch nicht besitzen.<br />

Das ist aber keine Antwort, sondern eine Ausrede. Mittels welchen Kriteriums bestimmen<br />

wir, welche Geschmacksrichtungen beim Menschen normal und welche nicht normal sind?<br />

Tschernyschewski hätte wahrscheinlich gesagt, man habe dieses Kriterium in der Natur des<br />

Menschen zu suchen. Aber die Natur des Menschen verändert sich im Laufe der kulturellen<br />

Entwicklung: die Natur des Jägers der untersten Kulturstufe ist etwas ganz anderes als die<br />

Natur eines Parisers des 17. Jahrhunderts, und die Natur des Parisers des 17. Jahrhunderts<br />

hatte solche wesentliche Besonderheiten, die wir in der Natur der Deutschen unserer Zeit<br />

vergeblich suchen würden usw. Ja, und das ist noch nicht alles. Selbst in ein und derselben<br />

Zeit [487] gleicht die Natur der Menschen der einen Klasse der Gesellschaft in vielem nicht<br />

der Natur der Menschen einer anderen Klasse. Was ist zu tun? Wo soll man einen Ausweg<br />

suchen? Lassen wir uns ihn zunächst in der von uns untersuchten Dissertation suchen.<br />

Tschernyschewski sagt: „Das ‚schöne Leben‘, ‚das Leben, wie es sein soll‘, besteht beim<br />

einfachen Volk darin, daß man sich sattessen, in einem schönen Haus wohnen und sich ausschlafen<br />

kann; aber gleichzeitig schließt der Begriff ‚Leben‘ beim Landbewohner stets auch<br />

den Begriff der Arbeit ein; ohne Arbeit kann man nicht leben; es wäre ja auch langweilig. Die<br />

Folge eines Lebens unter auskömmlichen Verhältnissen bei großer Arbeit, die jedoch nicht<br />

bis zur Erschöpfung geht, werden bei dem jungen Landmann oder dem Dorfmädchen eine<br />

frische Gesichtsfarbe und knallrote Backen sein – dieses erste Schönheitsmerkmal nach den<br />

Begriffen des einfachen Volkes. Da das Dorfmädchen viel arbeitet und infolgedessen kräftig<br />

gebaut ist, wird es bei reichlicher Ernährung ziemlich drall sein – auch das ist ein notwendiges<br />

Merkmal der Dorfschönen: die ‚ätherische‘ schöne Dame erscheint dem Landbewohner<br />

‚unansehnlich‘, ja, sie macht auf ihn einen unangenehmen Eindruck, denn er ist gewöhnt,<br />

‚Magerkeit‘ für die Folge von Krankheit oder ‚bitterem Los‘ zu halten. Aber Arbeit läßt kein<br />

Fett ansetzen: wenn das Dorfmädchen dick ist, so ist das eine Art von Kränklichkeit, das An-<br />

1 [Ebenda, S. 485/486.]<br />

2 [Ebenda, S. 373.]<br />

27

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