18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

die absolute Idee für den Urgrund alles Seins gehalten, und die idealistischen Ästhetiker setzten<br />

niemand in Erstaunen, wenn sie sagten: Das Erhabene ist die Offenbarung des Absoluten.<br />

Als sich aber das Absolute als das Wesen unseres eigenen Denkprozesses erwies, verlor diese<br />

Definition jeglichen Sinn. Das Gewitter ist eine erhabene Naturerscheinung; aber wie kann<br />

sich darin unser eigenes Denken offenbaren? Es ist also klar, daß der Begriff des Erhabenen<br />

der Umbildung bedarf. Das Bewußtsein dieser Notwendigkeit zeigte sich auch in dem Versuch<br />

Tschernyschewskis, für diesen Begriff eine neue Definition zu finden.<br />

Genauso ist es mit dem Begriff des Tragischen.<br />

Das Tragische ist die wichtigste Abart des Erhabenen. Wie sich Tschernyschewski von den<br />

Idealisten in der Auffassung des Erhabenen unterschied, mußte er sich von ihnen natürlich<br />

auch in der Ansicht über das [476] Tragische unterscheiden. Um sich klarzumachen, wodurch<br />

eigentlich seine von den Idealisten unterschiedliche Meinung gebildet wurde, muß man sich<br />

einiger historischer Ansichten Hegels erinnern. Nach Hegels Ansicht war Sokrates der Vertreter<br />

eines neuen Prinzips im gesellschaftlichen und geistigen Leben Athens; das ist sein<br />

Ruhm und sein historisches Verdienst. Indem Sokrates als Vertreter eines neuen Prinzips<br />

auftrat, kam er aber mit den in Athen geltenden Gesetzen in Konflikt. Er verstieß gegen sie<br />

und starb als Opfer dieses Verstoßes. Und das ist überhaupt das Schicksal der Helden der<br />

Geschichte: als kühne Neuerer verstoßen sie gegen die feste gesetzliche Ordnung; in diesem<br />

Sinne sind sie Verbrecher. Die feste gesetzliche Ordnung der Dinge straft sie mit dem Untergang.<br />

Aber durch ihren Untergang wird gesühnt, was an ihrem Tun verbrecherisch war, und<br />

die von ihnen vertretenen Prinzipien gelangen nach ihrem Tode zum Sieg. Diese Ansicht von<br />

der historischen Tätigkeit der Helden enthält zwei im Wesen verschiedene Elemente. Das<br />

erste Element besteht in der Feststellung der sich in der Geschichte oft wiederholenden Tatsache<br />

eines Konflikts der Neuerer mit der festen gesetzlichen Ordnung. Das zweite Element<br />

besteht in dem Bestreben, die ebenfalls häufig wiederkehrende Tatsache des Untergangs der<br />

Neuerer zu rechtfertigen. Diese beiden Elemente entsprechen dem zweiseitigen Charakter des<br />

absoluten Idealismus. Als dialektisches System der Philosophie betrachtete der absolute Idealismus<br />

die Erscheinungen in ihrer Entwicklung, in ihrem Entstehen und Vergehen. Der Entwicklungsprozeß<br />

historischer Erscheinungen vollzieht sich mittels menschlicher Tätigkeit.<br />

Der Kampf des Alten gegen das Neue ist ein Kampf von Menschen entgegengesetzter Richtungen.<br />

Dieser Kampf kostet mitunter sehr viele unschuldige Opfer. Das ist eine unbestreitbare<br />

historische Tatsache. Hegel weist darauf hin und erklärt ihre Unvermeidlichkeit. Aber der<br />

Idealismus Hegels ist nicht nur das dialektische System; er will auch das System der absoluten<br />

Wahrheit sein. Er verspricht, uns in die Welt des Absoluten einzuführen. In der Welt des<br />

Absoluten gibt es aber keine Ungerechtigkeit. So versichert der absolute Idealismus Hegels,<br />

daß Menschen eigentlich niemals schuldlos zugrunde gehen; daß sie, da ihre Taten – die Taten<br />

einzelner Individuen – notwendigerweise das Gepräge der Beschränktheit an sich tragen,<br />

einerseits gerecht, anderseits aber schuldig sind. Und diese ihre Schuld ist auch die Ursache<br />

ihres Untergangs. So wird mit Hilfe der „absoluten Idee“, des „Weltgeistes“ jegliche Verantwortung<br />

für die Leiden aufgehoben, von denen die fortschreitende Entwicklung der Menschheit<br />

begleitet ist. So betrachtet, wird die Geschichte zu einer Art Theodicee.<br />

Die auf die Hegelsche Philosophie gegründete Lehre vom Tragischen wird den Lesern völlig<br />

verständlich, wenn wir sagen, daß das Schicksal [477] des Sokrates nach dieser Lehre eines der<br />

erhabensten Beispiele des Tragischen ist. Der Weise von Athen hat die unvermeidliche Einseitigkeit<br />

seines eigenen Tuns durch seinen Tod gesühnt. Sein Untergang war ein notwendiges<br />

Sühneopfer. Ohne dieses Opfer bliebe unser sittliches Empfinden unbefriedigt. Sie werden zugeben,<br />

daß dieses sittliche Empfinden, das den Untergang all derer verlangt, die tatkräftiger und<br />

erfolgreicher als andere gegen den gesellschaftlichen Stillstand kämpfen, etwas recht Seltsames<br />

ist. Ein unvoreingenommener Mensch kann ein solches Empfinden nicht haben. Es wurde von<br />

20

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!