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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

lichkeit auf uns macht; „die Vorstellung gestaltet den Gegenstand nur um, vergrößert ihn extensiv,<br />

aber wir können uns nichts vorstellen, was intensiver wäre, als was wir beobachtet<br />

oder erlebt haben“ 1 . Man wird vielleicht sagen, daß die schöpferische Phantasie des Künstlers,<br />

indem sie die aus der Erfahrung gewonnenen Eindrücke kombiniert, die Züge, die verschiedenen<br />

Gesichtern eigen sind, in einem Gesicht vereinigen könne. Tschernyschewski<br />

bezweifelt auch das: Er sagt: „... es ist jedoch zweifelhaft: erstens, ob das nötig ist; zweitens,<br />

ob die Einbildung imstande ist, diese Teile zu vereinigen, wenn sie in der Wirklichkeit verschiedenen<br />

Personen gehören.“ 2 Der Eklektizismus führt nirgends zu etwas Gutem, und der<br />

Künstler, der sich davon anstecken ließe, würde seinen Mangel an Geschmack oder sein Unvermögen<br />

zeigen, ein wirklich schönes Gesicht als Modell zu finden.<br />

[473] Dazu stehen scheinbar einige allgemein bekannte Tatsachen aus der Geschichte der<br />

Kunst in Widerspruch. Wer hätte nicht davon gehört, daß Raffael über den „Mangel“ an<br />

Schönheiten in Italien klagte? Tschernyschewski erinnerte sich wohl daran. Nur glaubte er,<br />

daß diese Klage durchaus nicht durch den Mangel an Schönheiten in diesem Lande hervorgerufen<br />

worden sei. Es ist so, Raffael „suchte nach der schönsten Frau, aber die schönste Frau<br />

gibt es natürlich nur einmal in der ganzen Welt“, sagt er, „und wo soll man sie finden? In<br />

seiner Art Erstrangiges gibt es stets nur sehr wenig, und zwar aus einem sehr einfachen<br />

Grunde: wenn sich viel davon zusammenfindet, werden wir es wieder in Klassen unterteilen<br />

und nur das als erstrangig bezeichnen, wovon sich nur zwei, drei Exemplare finden; alles<br />

übrige werden wir zweitrangig <strong>nennen</strong>. Und überhaupt muß man sagen, daß der Gedanke,<br />

‚das Schöne ist in der Wirklichkeit selten anzutreffen‘, auf einer Vermengung der Begriffe<br />

‚ziemlich‘ und ‚das erste‘ beruht; ziemlich majestätische Flüsse gibt es sehr viele, aber der<br />

erste unter den majestätischen Flüssen ist natürlich nur einer; große Feldherren gab es viele,<br />

der erste Feldherr der Welt war einer von ihnen.“ 3<br />

Was man in seiner Phantasie ersinnt, das bleibt in seiner Schönheit stets weit hinter dem zurück,<br />

was die Wirklichkeit zu bieten hat. Darin, daß diese Tatsache anerkannt wird, besteht<br />

nach der Meinung Tschernyschewskis „einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der<br />

veralteten Weltanschauung, unter deren Einfluß die transzendentalen Wissenschaftssysteme<br />

entstanden, und der jetzigen Anschauung über die Natur und das Leben“.<br />

VII<br />

Die idealistischen Ästhetiker hielten das sogenannte Erhabene für ein „Moment“ des Schönen.<br />

Tschernyschewski beweist, daß das Erhabene eine Abart des Schönen ist und daß die<br />

Ideen des Erhabenen und des Schönen gänzlich unter sich verschieden sind, daß es zwischen<br />

ihnen „weder eine innere Verbundenheit noch eine innere Gegensätzlichkeit gibt“. Er gibt<br />

seine eigene Definition des Erhabenen, die, wie er meint, alle in dieses Gebiet fallenden Erscheinungen<br />

umfaßt, und erklärt: „Erhaben erscheint dem Menschen das, was bedeutend größer<br />

ist als die Gegenstände oder bedeutend stärker als die Erscheinungen, mit denen der<br />

Mensch vergleicht.“ 4<br />

Zu seiner Definition des Erhabenen gelangt Tschernyschewski durch [474] folgende Überlegungen:<br />

Das herrschende ästhetische System sagt, daß das Erhabene die Offenbarung des<br />

Absoluten oder das Übergewicht der Idee über die Form ist. Diese zwei Definitionen sind<br />

ihrem Sinne nach jedoch völlig verschieden; denn das Überwiegen der Idee über die Form<br />

bringt nicht eigentlich den Begriff des Erhabenen, sondern den Begriff des Verschwomme-<br />

1 [Ebenda, S. 438.]<br />

2 [Ebenda, S. 438.]<br />

3 [Ebenda, S. 415.]<br />

4 [Ebenda, S. 491.]<br />

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