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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

sie für uns auch als Lehrbuch des Lebens dienen. Wie Tschernyschewski bemerkt, ist das<br />

besonders von der Dichtkunst zu sagen, welche nicht imstande ist, alle Einzelheiten zu erfassen,<br />

und daher, indem sie notwendigerweise aus ihren Bildern viele Details wegläßt, unsere<br />

Aufmerksamkeit auf einige wenige festgehaltene Züge konzentriert – wenn, wie es sein muß,<br />

die wesentlichen Züge festgehalten sind, so wird gerade dadurch für das ungeübte Auge das<br />

Sehen des Wesens des Gegenstandes erleichtert.<br />

Schließlich legt Tschernyschewski der Kunst – namentlich der Dichtkunst – noch eine dritte<br />

Bedeutung bei: die Bedeutung „des Urteils des Denkens über die wiedergegebenen Erscheinungen“.<br />

Ist der Künstler ein denkender Mensch, so kann er nicht umhin, über das zu urteilen,<br />

was er [470] reproduziert, und sein Urteil muß sich in seinem Werke spiegeln. Es scheint<br />

uns übrigens, daß diese dritte Bedeutung der Kunst mit der zweiten in eins verschmolzen ist:<br />

der Künstler kann sein Urteil über die Erscheinungen des Lebens nicht aussprechen, ohne uns<br />

gleichzeitig mitgeteilt zu haben, wie er sie versteht; das heißt, ohne sie uns nach seiner Auffassung<br />

erklärt zu haben. Es bedarf nicht der Erwähnung, daß der Künstler, der sich die Rehabilitierung<br />

der Wirklichkeit zum Ziel setzt, den wirklichen Sinn des Lebens jedesmal klarmachen<br />

müßte, wenn er fände, daß die Menschen über „den Träumereien der Phantasie“ diesen<br />

Sinn vergessen. Es erübrigt sich auch hinzuzufügen, daß einem solchen Künstler die volle<br />

Sympathie Tschernyschewskis gehört hätte.<br />

Wir sehen hieraus, daß die ablehnende Haltung gegenüber der Theorie der Kunst für die<br />

Kunst mit dem ganzen System seiner philosophischen Ansichten untrennbar verknüpft war.<br />

VI<br />

Um den Leser mit der Argumentation unseres Autors näher bekannt zu machen, werden wir<br />

hier seine Einwände gegen einige der „Vorwürfe“, die die Idealisten gegen das Schöne in der<br />

Wirklichkeit erheben, ausführlich darlegen.<br />

Die idealistischen Ästhetiker haben gesagt: Die unbeseelte Natur sorgt sich nicht um die<br />

Schönheit ihrer Werke; deshalb können sie nie so schön sein wie das vom Künstler Geschaffene,<br />

der doch bewußt danach strebt, sein Ideal der Schönheit zu verwirklichen. Tschernyschewski<br />

wendet ein, daß ein absichtlich geschaffenes Werk seinem Werte nach nur dann<br />

über einem unbeabsichtigten Werk steht, falls die Kräfte der Schöpfer gleich sind. Die Kräfte<br />

des Menschen sind aber viel schwächer als die Kräfte der Natur; deshalb sind seine Schöpfungen<br />

grob, ungeschickt und plump im Vergleich zu Werken der Natur. Darüber hinaus ist<br />

die Schönheit nur in der toten Natur unbeabsichtigt: Tiere sorgen sich schon um ihre äußere<br />

Erscheinung; manche sind immer damit beschäftigt, sich schön zu machen; beim Menschen<br />

ist die Schönheit sehr selten unbeabsichtigt; es gibt wenige Menschen, die sich um ihr Äußeres<br />

nicht sorgen. Man kann nicht sagen, daß die Natur nicht danach strebe, das Schöne hervorzubringen.<br />

Natürlich gibt es bei ihr niemals bewußte Bestrebungen, allein, „wenn wir das<br />

Schöne als Lebensfülle auffassen, werden wir zugeben müssen, daß das Streben nach Leben,<br />

das die organische Natur durchdringt, gleichzeitig auch das Streben ist, Schönes hervorzubringen“<br />

1 . Die Unbewußtheit die-[471]ser Tendenz negiert nicht ihre Realität, wie die Unbewußtheit<br />

des Strebens nach Symmetrie durchaus nicht die Symmetrie der zwei Blatthälften<br />

beseitigt.<br />

Das Schöne in der Kunst ist gewollt. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen von der allgemeinen<br />

Regel. Nicht selten handelt der Künstler unbewußt; dort aber, wo er sich von einer<br />

bewußten Absicht leiten läßt, ist er nicht immer nur auf das Schöne bedacht, denn außer dem<br />

Streben nach dem Schönen hat er auch noch andere Bestrebungen. Zweifellos ist in den Wer-<br />

1 [Ebenda, S. 413.]<br />

16

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