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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 19.07.2013<br />

Er bemerkt weiterhin, daß sich sogar die nunmehr veralteten Lehrgänge der idealistischen<br />

Ästhetik auf eine viel größere Menge von Tatsachen gründen, als ihre Gegner glauben. Zur<br />

Bestätigung dessen weist er ganz richtig auf die Ästhetik Hegels hin, die aus drei Bänden<br />

besteht: die zwei letzten Bände sind einzig dem historischen Teil vorbehalten, und die größere<br />

Hälfte des ersten Bandes nehmen ebenfalls historische Details ein. „Mit einem Wort“, so<br />

schließt er, „uns scheint, daß alle Einwände gegen die Ästhetik auf einem Mißverständnis<br />

beruhen, auf einer falschen Auffassung davon, was Ästhetik und was überhaupt jede theoretische<br />

Wissenschaft ist. Die Geschichte der Kunst bildet die Grundlage für eine Kunsttheorie,<br />

dann hilft diese Kunsttheorie, die Kunstgeschichte zeitgemäßer und vollständiger zu bearbeiten;<br />

eine bessere Bearbeitung der Geschichte führt wiederum zu einer weiteren Vervollkommnung<br />

der Theorie und so weiter – diese wechselseitige Beeinflussung zum beiderseitigen<br />

Nutzen der Geschichte und der Theorie wird unendlich weitergehen, solange die Menschen<br />

die Tatsachen studieren und aus ihnen Schlußfolgerungen ziehen und nicht bloß zu<br />

wandelnden chronologischen [449] Tabellen und biographischen Verzeichnissen werden, die<br />

weder das Bedürfnis noch die Fähigkeit haben, zu denken und zu erkennen. Ohne Geschichte<br />

eines Gegenstandes gibt es keine Theorie des Gegenstandes; aber ohne Theorie des Gegenstandes<br />

ist auch keine Geschichte des Gegenstandes denkbar, da nur sie einen Begriff des<br />

Gegenstandes, eine Vorstellung von seiner Bestimmung und seinen Grenzen gibt. Das ist<br />

ebenso einfach, wie daß zweimal zwei vier und daß eine Eins eine Eins ist...“. 1<br />

An einer anderen Stelle desselben Artikels ruft er aus: „Die Ästhetik eine tote Wissenschaft!<br />

Wir wollen nicht gerade sagen, daß es keine lebendigere Wissenschaft gäbe als sie, aber es<br />

wäre nicht schlecht, wenn wir uns um diese Wissenschaften kümmern würden, aber nein, wir<br />

heben andere Wissenschaften in den Himmel, die sehr viel weniger lebendiges Interesse darstellen.<br />

Die Ästhetik eine unfruchtbare Wissenschaft! Als Antwort stellen wir die Frage: erinnern<br />

wir uns noch an Lessing, Goethe und Schiller, oder haben sie bereits das Recht verwirkt,<br />

daß wir ihrer gedenken, seitdem wir Thackeray kennengelernt haben? Halten wir die<br />

deutsche Dichtung der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch für wertvoll?...“ 2<br />

Uns scheint, so hätte nicht jemand schreiben können, der die Ästhetik für Unsinn hielt. Wenn<br />

man uns nun sagte, dieses leidenschaftliche Eintreten für die Ästhetik sei nicht aufrichtig gewesen,<br />

sondern Tschernyschewski von seiner „hinterlistigen“ Absicht diktiert worden, den<br />

Argwohn des Lesers einzuschläfern und dadurch in seiner Meinung alle Grundlagen der<br />

ästhetischen Wissenschaft um so vollständiger zu zerstören, so würden wir antworten, daß<br />

unser Autor, hätte er eine solche Absicht gehabt, zu seinen eigenen philosophischen Anschauungen<br />

im allgemeinen und zu seiner eigenen Anschauung über das Schöne im besonderen<br />

in Widerspruch getreten wäre. Nach dieser letzteren Ansicht ist die in einem Menschen<br />

durch das Schöne hervorgerufene Empfindung eine helle Freude, ähnlich jener, mit der uns<br />

die Gegenwart eines uns lieben Wesens erfüllt.<br />

Diese uneigennützige Freude war in den Augen Tschernyschewskis ein durchaus berechtigtes<br />

Gefühl, das nur zu verurteilen ist, falls es von Gegenständen hervorgerufen wird, die uns,<br />

infolge unseres schlechten Geschmacks, nur schön erscheinen. In der Beseitigung der falschen<br />

Begriffe des Schönen bestand seiner Meinung nach eine der wichtigsten Aufgaben der<br />

Ästhetik. Und da er außerdem überzeugt war, daß derartige falsche Begriffe heutzutage besonders<br />

in den höheren Gesellschaftsklassen sehr verbreitet seien, die durch ihre Lage<br />

manchmal zu fast völligem Müßig-[450]gang verurteilt sind, hätte er sagen können, daß die<br />

Ästhetiker, die die Aufgabe ihrer Wissenschaft richtig verstehen, noch sehr viel zu tun haben,<br />

und daß es mindestens verfrüht ist, die Wissenschaft zu „zerstören“.<br />

1 [Ebenda, S. 550.]<br />

2 [Ebenda, S. 551.]<br />

2

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