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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

und wie künstlerisch hat er sie dargestellt! Gar nicht zu reden von der Menge der eingeschalteten<br />

Porträts und Silhouetten, die in seinem Gedicht vorkommen und das Bild der russischen<br />

Gesellschaft, der höheren und der mittleren, abrunden; gar nicht zu reden von den Schilderungen<br />

der Bälle auf dem Lande und der vornehmen Soirées der Residenz: all das ist unserem<br />

Publikum genügend bekannt und auch längst nach Gebühr gewürdigt... wir wollen nur eins<br />

bemerken: die Persönlichkeit des Dichters, die sich so vollständig und klar in diesem Gedicht<br />

widerspiegelte, erscheint überall so schön, so human und zugleich vornehmlich aristokratisch.<br />

Überall sieht man in ihm den Menschen, der [443] mit Leib und Seele dem hauptsächlichen<br />

Prinzip gehört, welches das Wesen der von ihm dargestellten Klasse bildet; kurz gesagt,<br />

überall sieht man den russischen Gutsherrn... Er greift in dieser Klasse alles an, was der<br />

Humanität widerspricht; aber das Klassenprinzip ist für ihn eine ewige Wahrheit ... Und<br />

deshalb ist in seiner Satire selbst so viel Liebe, gleicht selbst seine Ablehnung so oft einer<br />

Billigung und Bewunderung... Denken Sie an die Beschreibung der Familie Larin im zweiten<br />

Kapitel, besonders an das Porträt Larins selbst... Das war der Grund, weshalb im ‚Onegin‘<br />

jetzt vieles veraltet ist. Aber wäre das nicht, so wäre vielleicht aus dem ‚Onegin‘ kein so vollständiges<br />

und ausführliches dichterisches Gemälde des russischen Lebens, kein so bestimmtes<br />

Faktum zur Negierung des in eben dieser Gesellschaft so rasch sich entwickelnden Gedankens<br />

herausgekommen.“ Als wir diese Stelle von neuem durchgelesen hatten, haben wir<br />

uns gefragt: „Wie oft wäre Herr Wolynski in Ohnmacht gefallen, wenn er sie in ihrer ganzen<br />

schrecklichen Bedeutung verstanden hätte?“ Da Herr Wolynski diese Stelle offensichtlich<br />

nicht verstanden hat, wollen wir ihm einige Erläuterungen geben, die, wie wir hoffen, die<br />

Glut seiner flammenden Drohreden gegen den Materialismus noch stärker anfachen werden.<br />

Schon in seinem unvollendeten Artikel über Fonwisin und Sagoskin hatte Belinski gesagt, da<br />

die Dichtkunst die Wahrheit in der Form der geistigen Anschauung sei, müsse der Kritiker<br />

vor allen Dingen jene Idee bestimmen, die in einem Kunstwerk verkörpert sei. Die Idee eines<br />

Kunstwerkes bestimmen bedeutete für Belinski damals: die Wahrheit aus der Sprache der<br />

Bilder in die Sprache der Logik übersetzen. Und indem der Kritiker die Wahrheit in die Sprache<br />

der Logik übertrug, mußte er nach Belinskis damaliger Meinung den Platz bestimmen,<br />

den die Idee des von ihm untersuchten Kunstwerkes im Gang der Entwicklung der absoluten<br />

Idee einnahm. Herr Wolynski hatte im Grunde genommen gegen diese Ansicht über die Kritik<br />

nichts einzuwenden, da Belinski sie bei Retscher entlehnt hatte, den unser jetziger „wahrer<br />

Kritiker“ im Ernst für einen tiefen Denker hält. Aber die Ansicht Belinskis über die historische<br />

Bedeutung des „Eugen Onegin“ zeigt, daß er die Idee dieses Romans in seinen letzten<br />

Lebensjahren nicht mehr auf die Entwicklung der absoluten Idee bezog, sondern auf die Entwicklung<br />

der russischen gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die historische Rolle und den<br />

Wechsel unserer Stände. Das ist ein gänzlicher Umschwung, das ist gerade das, was die<br />

„ökonomischen“ Materialisten den jetzigen Kritikern nahelegen. Und Herr Wolynski dürfte<br />

angesichts eines so unlöblichen Verhaltens Belinskis mit vollem Recht in lautes Geschrei<br />

ausbrechen.<br />

Indem sich Belinski in seiner Kritik auf die Entwicklung berief, näherte [444] er sich der<br />

französischen Kritik, die er zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit so geringschätzig behandelt<br />

hatte. Um zu klären, wie weit er sich ihr eigentlich genähert hatte, wollen wir auf Alfred<br />

Michiels verweisen, einen in Frankreich wenig bekannten und bei uns in Rußland gänzlich<br />

unbekannten Schriftsteller, der aber große Beachtung verdient, denn Taine hat bei ihm alle<br />

seine allgemeinen Ansichten über die historische Entwicklung der Kunst entlehnt.<br />

In seiner „Histoire de la Peinture flamande“, die erstmals im Jahre 1844 <strong>erschien</strong>, sagt<br />

Michiels, er wolle die Erklärung der Geschichte der flämischen Malerei in dem sozialen, politischen<br />

und industriellen Zustand des Landes finden, das sie hervorgebracht habe (expliquer<br />

les variations de la peinture à l’aide de l’état social, politique et industriel). Bezüglich der<br />

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