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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

Materialisten: in dem Maße, wie sich die Produktivkräfte der Gesellschaft entwickeln, verändern<br />

sich auch die in ihrem Innern existierenden Verhältnisse unter den Menschen. Indes, die<br />

neuen gesellschaftlichen Verhältnisse entstehen nicht plötzlich und von selbst auf der Grundlage<br />

der neuen Produktivkräfte. Diese Anpassung muß das Werk von Menschen sein, sie muß<br />

das Resultat des Kampfes zwischen den Konservativen und den Neuerern sein. Hier eröffnet<br />

sich nun für die persönliche Initiative ein weites Feld. Ein genialer Mann des öffentlichen<br />

Lebens sieht eher und besser als andere jene Veränderungen voraus, die in den gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen vor sich gehen müssen. Ein solcher hervorragender Scharfblick setzt ihn<br />

in Widerspruch zu den Ansichten seiner Mitbürger, und er kann selbst bis zu seinem Tode in<br />

der Minderheit bleiben; aber das wird ihn nicht hindern, der Repräsentant des Gemeinsamen,<br />

Vertreter und Ankündiger der bevorstehenden Veränderungen im gesellschaftlichen Aufbau<br />

zu sein. Und dieses Gemeinsame bildet seine Stärke, die ihm kein Spott, keine Beleidigung,<br />

kein Scherbengericht und auch kein Schierlingsbecher nehmen kann. Zur Würdigung dieses<br />

Gemeinsamen appellieren die neueren Materialisten an den Stand der gesellschaftlichen Produktivkräfte.<br />

Und diese Kräfte lassen sich besser messen als der Weltgeist Hegels.<br />

Ein großer Dichter ist groß, weil er einen großen Schritt in der gesellschaftlichen Entwicklung<br />

repräsentiert. Indem er diesen Schritt repräsentiert, hört er jedoch nicht auf, Individuum<br />

zu sein. In seinem Charakter und in seinem Leben gibt es sicherlich sehr viele Züge und Umstände,<br />

die nicht die geringste Beziehung zu seiner historischen Tätigkeit haben und auf sie<br />

nicht den geringsten Einfluß ausüben. Aber es gibt darin auch sicherlich solche Züge, die<br />

ihm, ohne im geringsten den allgemeinen historischen Charakter dieser Tätigkeit zu verändern,<br />

ein individuelles Gepräge verleihen. Diese Züge können und müssen durch ein eingehendes<br />

Studium des persönlichen Charakters und der besonderen Lebensumstände des Dichters<br />

erklärt werden. Diese Züge hat nun gerade jene „empirische“ Kritik studiert, gegen die<br />

sich Belinski wandte. Verurteilen kann man sie [442] nur dann, wenn sie vorgibt, daß die von<br />

ihr untersuchten besonderen Züge den allgemeinen Charakter der Tätigkeit eines großen<br />

Menschen erklären. Wenn sie diese aber nur zur Erklärung des individuellen Charakters dieser<br />

Tätigkeit anführt, ist sie sowohl nützlich als auch interessant. Leider erhob sie in der Person<br />

ihres besten Repräsentanten, Sainte-Beuves, Ansprüche, die durch eine solch bescheidene<br />

Rolle nicht gerechtfertigt sind. Belinski erkannte das, und deshalb sprach er von den „Empirikern“<br />

mit großer Entrüstung.<br />

Jetzt ist es an der Zeit, uns den Seiten und Artikeln unseres Kritikers über Puschkin zuzuwenden,<br />

die seinen hervorragenden kritischen Scharfsinn zeigen und zugleich auch seine hervorragende<br />

Fähigkeit, die letzten und völlig konsequenten Schlußfolgerungen aus früher angenommenen<br />

Prämissen zu ziehen.<br />

X<br />

Den Worten Belinskis zufolge gehörte Puschkin jener Schule der Kunst an, deren Zeit in Europa<br />

bereits endgültig vorüber war und die sogar in Rußland kein einziges großes Werk mehr<br />

hervorbringen kann. Die Geschichte eilte Puschkin voraus, indem sie der Mehrzahl seiner<br />

Werke jenes aktuelle Interesse nahm, das durch die quälenden und alarmierenden Fragen<br />

unserer Zeit geweckt wird. Diese Äußerung erregte und erregt starken Unwillen bei allen<br />

Anhängern der reinen Kunst, Herrn Wolynski einschließlich: sie sagten und sagen, der Inhalt<br />

der Dichtkunst Puschkins werde in den Augen der russischen Leser immer das gleiche Interesse<br />

haben. Aber sie bemerkten nicht die noch größere Häresie Belinskis, eine so schreckliche<br />

Häresie, daß die von uns erwähnte daneben etwas ganz Harmloses ist. Es handelt sich<br />

darum, daß Belinski Puschkin als Dichter des Adelsstandes betrachtete. „In der Person<br />

Onegins, Lenskis und der Tatjana stellte Puschkin die russische Gesellschaft in einer der Phasen<br />

ihrer Bildung, ihrer Entwicklung dar“, sagt er; „und wie wahrheitsgetreu, wie vollständig<br />

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