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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

des Götzen von Belvedere über den Kochtopf verächtliche Grimassen schnitten, brachte das<br />

nur ihre Befürchtung zum Ausdruck, das wachsende öffentliche Interesse für die Lage der<br />

Bauern werde sich auf den Inhalt ihrer eigenen Kochtöpfe ungünstig auswirken. Dieser neue<br />

Sinn unserer Theorie der Kunst für die Kunst haben Belinski und die Aufklärer der sechziger<br />

Jahre sehr richtig erfaßt. Und gerade deshalb sträubten sie sich dagegen mit solcher Heftigkeit.<br />

Darin waren sie völlig im Recht. Aber sie merkten nicht, daß sie bei Puschkin einen<br />

ganz anderen Sinn hatte, und machten ihn für fremde Sünden verantwortlich. Das war ein<br />

Fehler. Und es war ein unvermeidlicher Fehler. Schuld daran war, daß sie es nicht verstanden,<br />

sich in ihrer Auseinandersetzung mit den Gegnern auf den historischen Standpunkt zu<br />

stellen. Aber damals hatte man keine Zeit, über die Geschichte nachzudenken; damals war es<br />

nötig, um jeden Preis für bestimmte fortschrittliche Bestrebungen einzutreten und die Befriedigung<br />

der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erreichen. Unsere Aufklärer kämpften, wie die<br />

französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, mit der Waffe der „Vernunft“ und des „gesunden<br />

Menschenverstandes“‚ d. h., mit anderen Worten, gestützt auf völlig abstrakte Erwägungen.<br />

Der abstrakte Standpunkt bildet das Unterscheidungsmerkmal aller uns bekannten Perioden<br />

der Aufklärung. [431]<br />

VIII<br />

Vom abstrakten Standpunkt aus ist nur die abstrakte Gegensätzlichkeit zwischen Wahrheit<br />

und Irrtum, zwischen Gut und Böse, zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, sichtbar.<br />

Im Kampf gegen eine Ordnung, die sich überlebt hat, ist eine solche abstrakte und darum<br />

einseitige Betrachtungsweise der Dinge manchmal sehr nützlich. Aber dem allseitigen Studium<br />

des Gegenstandes steht sie im Wege. Sie macht die literarische Kritik zur Publizistik. Der<br />

Kritiker befaßt sich nicht mit dem, was in dem von ihm untersuchten Werk gesagt wird, sondern<br />

mit dem, was darin hätte gesagt werden können, hätte sich sein Verfasser die gesellschaftlichen<br />

Ansichten des Kritikers zu eigen gemacht.<br />

Das publizistische Element tritt in vielen Urteilen Belinskis über Puschkin sehr deutlich zutage.<br />

Aber Puschkin ist vor allem ein Dichter, den man nur verstehen kann, wenn man den abstrakten<br />

Standpunkt der Aufklärer aufgibt. Ein Aufklärer wird Puschkin schwerlich verstehen.<br />

Deshalb ist Belinski häufig ungerecht gegen ihn, wenn er auch ein noch so großes künstlerisches<br />

Feingefühl besitzt.<br />

Aleko, der Held des Poems „Die Zigeuner“, tötet aus Eifersucht seine Geliebte, die Zigeunerin<br />

Semfira. Belinski greift ihn deswegen leidenschaftlich an, und dabei macht er auch die<br />

falschen Liberalen herunter, von denen D. Dawydow sagt:<br />

Ach, sieh dir unsern Lafayette nur an,<br />

Den Brutus, den Fabricius, o Graus:<br />

Er preßt das arme Bäuerlein<br />

Zusammen mit der Zuckerrübe aus.<br />

Das glühende Bekenntnis zur wahren Moral, die sich in Werken – und nicht nur in Worten –<br />

kundtut, und der leidenschaftliche Protest gegen die Eifersucht als Gefühl, das eines moralisch<br />

hochstehenden Menschen unwürdig ist, füllen die Mehrzahl der Seiten, die Belinski der<br />

Besprechung der „Zigeuner“ gewidmet hat. All das ist an und für sich sehr vernünftig; all das<br />

ist, wie bei Belinski üblich, sehr schön gesagt, und all das ist außerordentlich wichtig, um die<br />

Fäden zu bestimmen und kennenzulernen, die ihn mit der nachfolgenden Generation der<br />

Aufklärer verknüpfen. Aber all das erklärt noch nicht den wahren Sinn des Gedichts. Bei Belinski<br />

erscheint die Sache so, als habe Puschkin in seinen „Zigeunern“ einen Menschen dar-<br />

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