erschien nennen menschenähnlichen
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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013 erstens die Reaktion gegen die sozialen und politischen Tendenzen der Frühromantik und zweitens das Mißverhältnis des prosaischen Händlerdaseins zu den stürmischen Bestrebungen der bürgerlichen Jugend, die von dem Lärm des damals noch nicht völlig beendeten Kampfes der Bourgeoisie um ihre Emanzipation aufgewühlt war. In vielen bürgerlichen Familien der damaligen Zeit ging ein eigenartiger Kampf der „Väter“ mit den „Söhnen“ vor sich. Die Väter sagten: setz dich in den Laden und verdiene Geld, dann wird aus dir ein richtiger Mensch; und die Söhne gaben zur Antwort: wir wollen lernen, wollen Bilder malen wie Delacroix oder Gedichte schreiben wie Victor Hugo. Die Väter wiesen darauf hin, daß die Diener der Kunst selten von ihrer Kunst reich geworden seien; die Söhne entgegneten, sie brauchten nichts, die Kunst stehe über allen Ehren und über dem Reichtum und könne und müsse sich selbst als Zweck dienen. Jetzt lachen die französischen Bourgeois schon in ganz jungen Jahren über die kindische Mißachtung des Geldes durch die Romantiker. Jetzt passen sie sich, kann man sagen, schon in den Windeln den prosaischen Bedingungen ihrer Existenz an. Aber damals ging diese Anpassung bei weitem langsamer vor sich. Und gerade damals wurde die Theorie der Kunst für die Kunst geschaffen. In der Periode ihrer Entstehung drückte sie nur das Bestreben aus, selbstlos der Kunst zu dienen, d. h. das Überwiegen der geistigen Interessen über die materiellen in einer bestimmten Schicht der französischen Bourgeoisie. Nach der Bourgeoisie kam aber die Arbeiterklasse. Die Vertretung ihrer Interessen hatten Saint-Simon und Fourier übernommen, und nach ihnen auch andere Schriftsteller, die verschiedenen Schulen, aber einer einzigen Richtung angehörten. Die Menschen dieser Richtung forderten die Kunst auf, dem Fortschritt zu dienen, an der Verbesserung des Loses der werktätigen Masse mitzuarbeiten. Damals bekam die Theorie der Kunst für die Kunst plötzlich einen neuen Sinn: sie wurde zum Ausdrucksmittel der Reaktion gegen die neuen fortschrittlichen Bestrebungen in Frankreich. Dieser ihr neuer Sinn ist bereits ziemlich klar in der Vorrede zu „Mademoiselle de Maupin“ angedeutet, obwohl die damaligen französischen Männer der Ordnung, erschreckt durch die scheinrevolutionäre äußere Form der literarischen Manieren Théophile Gautiers, sein Verdienst vor der französischen Bourgeoisie gar nicht gewürdigt haben. Als sich Alexandre Dumas der Jüngere gegen die Formel l’art pour l’art wandte, tat er dies im Interesse der „alten Gesellschaft“, die, wie er sagte, schon ganz aus den Fugen geraten ist. Gewiß haben dramatische Plattheiten wie sein „Fils naturel“, „Père prodigue“ usw. nicht viel zur Festigung der bürgerlichen Ordnung beigetragen. Aber Dumas der Jüngere hatte trotzdem [430] recht. Nach 1848 hatte es die bürgerliche Gesellschaft wirklich nötig, zusammengeflickt und gestützt zu werden, und diesem Zustand entsprach die Theorie der Kunst für die Kunst nicht mehr; sie brauchte eine Apologie in Vers und Prosa auf der Theaterbühne und in den Gemälden der Maler. Wenn Flaubert diese Ansicht nicht teilte, so einzig und allein deshalb, weil er sich zuwenig um die Interessen der Bourgeoisie kümmerte. Bei uns in Rußland hatte die Theorie der reinen Kunst ebenfalls nicht immer den gleichen Sinn. Zu Lebzeiten Puschkins, nach dem Zusammenbruch der Hoffnungen unserer Intelligenz der zwanziger Jahre, brachte sie das Streben der besten Geister zum Ausdruck, aus der drükkenden Wirklichkeit in die einzige ihnen damals zugängliche Sphäre der höheren Interessen zu entfliehen. Als sich aber Belinski mündlich und schriftlich gegen sie wandte, bekam sie eine ganz andere Bedeutung. Die werktätige Masse, die leibeigene Bauernschaft existierte für Puschkin als Schriftsteller nicht. Zu Puschkins Zeiten konnte davon in der Literatur nicht die Rede sein und war auch nicht die Rede. Aber in den vierziger Jahren „überschwemmte“ die Naturale Schule die Literatur „mit gewöhnlichem Volk“. Als die Gegner dieser Schule ihr gegenüber die Theorie der reinen Kunst aufstellten, machten sie aus dieser Theorie ein Werkzeug des Kampfes gegen die Freiheitsbestrebungen jener Zeit. Die Autorität Puschkins und seine wunderbaren Gedichte waren in diesem Kampfe ein wahrer Fund. Als sie im Namen 25
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013 des Götzen von Belvedere über den Kochtopf verächtliche Grimassen schnitten, brachte das nur ihre Befürchtung zum Ausdruck, das wachsende öffentliche Interesse für die Lage der Bauern werde sich auf den Inhalt ihrer eigenen Kochtöpfe ungünstig auswirken. Dieser neue Sinn unserer Theorie der Kunst für die Kunst haben Belinski und die Aufklärer der sechziger Jahre sehr richtig erfaßt. Und gerade deshalb sträubten sie sich dagegen mit solcher Heftigkeit. Darin waren sie völlig im Recht. Aber sie merkten nicht, daß sie bei Puschkin einen ganz anderen Sinn hatte, und machten ihn für fremde Sünden verantwortlich. Das war ein Fehler. Und es war ein unvermeidlicher Fehler. Schuld daran war, daß sie es nicht verstanden, sich in ihrer Auseinandersetzung mit den Gegnern auf den historischen Standpunkt zu stellen. Aber damals hatte man keine Zeit, über die Geschichte nachzudenken; damals war es nötig, um jeden Preis für bestimmte fortschrittliche Bestrebungen einzutreten und die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erreichen. Unsere Aufklärer kämpften, wie die französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, mit der Waffe der „Vernunft“ und des „gesunden Menschenverstandes“‚ d. h., mit anderen Worten, gestützt auf völlig abstrakte Erwägungen. Der abstrakte Standpunkt bildet das Unterscheidungsmerkmal aller uns bekannten Perioden der Aufklärung. [431] VIII Vom abstrakten Standpunkt aus ist nur die abstrakte Gegensätzlichkeit zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Gut und Böse, zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, sichtbar. Im Kampf gegen eine Ordnung, die sich überlebt hat, ist eine solche abstrakte und darum einseitige Betrachtungsweise der Dinge manchmal sehr nützlich. Aber dem allseitigen Studium des Gegenstandes steht sie im Wege. Sie macht die literarische Kritik zur Publizistik. Der Kritiker befaßt sich nicht mit dem, was in dem von ihm untersuchten Werk gesagt wird, sondern mit dem, was darin hätte gesagt werden können, hätte sich sein Verfasser die gesellschaftlichen Ansichten des Kritikers zu eigen gemacht. Das publizistische Element tritt in vielen Urteilen Belinskis über Puschkin sehr deutlich zutage. Aber Puschkin ist vor allem ein Dichter, den man nur verstehen kann, wenn man den abstrakten Standpunkt der Aufklärer aufgibt. Ein Aufklärer wird Puschkin schwerlich verstehen. Deshalb ist Belinski häufig ungerecht gegen ihn, wenn er auch ein noch so großes künstlerisches Feingefühl besitzt. Aleko, der Held des Poems „Die Zigeuner“, tötet aus Eifersucht seine Geliebte, die Zigeunerin Semfira. Belinski greift ihn deswegen leidenschaftlich an, und dabei macht er auch die falschen Liberalen herunter, von denen D. Dawydow sagt: Ach, sieh dir unsern Lafayette nur an, Den Brutus, den Fabricius, o Graus: Er preßt das arme Bäuerlein Zusammen mit der Zuckerrübe aus. Das glühende Bekenntnis zur wahren Moral, die sich in Werken – und nicht nur in Worten – kundtut, und der leidenschaftliche Protest gegen die Eifersucht als Gefühl, das eines moralisch hochstehenden Menschen unwürdig ist, füllen die Mehrzahl der Seiten, die Belinski der Besprechung der „Zigeuner“ gewidmet hat. All das ist an und für sich sehr vernünftig; all das ist, wie bei Belinski üblich, sehr schön gesagt, und all das ist außerordentlich wichtig, um die Fäden zu bestimmen und kennenzulernen, die ihn mit der nachfolgenden Generation der Aufklärer verknüpfen. Aber all das erklärt noch nicht den wahren Sinn des Gedichts. Bei Belinski erscheint die Sache so, als habe Puschkin in seinen „Zigeunern“ einen Menschen dar- 26
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erstens die Reaktion gegen die sozialen und politischen Tendenzen der Frühromantik und<br />
zweitens das Mißverhältnis des prosaischen Händlerdaseins zu den stürmischen Bestrebungen<br />
der bürgerlichen Jugend, die von dem Lärm des damals noch nicht völlig beendeten<br />
Kampfes der Bourgeoisie um ihre Emanzipation aufgewühlt war. In vielen bürgerlichen Familien<br />
der damaligen Zeit ging ein eigenartiger Kampf der „Väter“ mit den „Söhnen“ vor<br />
sich. Die Väter sagten: setz dich in den Laden und verdiene Geld, dann wird aus dir ein richtiger<br />
Mensch; und die Söhne gaben zur Antwort: wir wollen lernen, wollen Bilder malen wie<br />
Delacroix oder Gedichte schreiben wie Victor Hugo. Die Väter wiesen darauf hin, daß die<br />
Diener der Kunst selten von ihrer Kunst reich geworden seien; die Söhne entgegneten, sie<br />
brauchten nichts, die Kunst stehe über allen Ehren und über dem Reichtum und könne und<br />
müsse sich selbst als Zweck dienen. Jetzt lachen die französischen Bourgeois schon in ganz<br />
jungen Jahren über die kindische Mißachtung des Geldes durch die Romantiker. Jetzt passen<br />
sie sich, kann man sagen, schon in den Windeln den prosaischen Bedingungen ihrer Existenz<br />
an. Aber damals ging diese Anpassung bei weitem langsamer vor sich. Und gerade damals<br />
wurde die Theorie der Kunst für die Kunst geschaffen. In der Periode ihrer Entstehung drückte<br />
sie nur das Bestreben aus, selbstlos der Kunst zu dienen, d. h. das Überwiegen der geistigen<br />
Interessen über die materiellen in einer bestimmten Schicht der französischen Bourgeoisie.<br />
Nach der Bourgeoisie kam aber die Arbeiterklasse. Die Vertretung ihrer Interessen hatten<br />
Saint-Simon und Fourier übernommen, und nach ihnen auch andere Schriftsteller, die verschiedenen<br />
Schulen, aber einer einzigen Richtung angehörten. Die Menschen dieser Richtung<br />
forderten die Kunst auf, dem Fortschritt zu dienen, an der Verbesserung des Loses der werktätigen<br />
Masse mitzuarbeiten. Damals bekam die Theorie der Kunst für die Kunst plötzlich<br />
einen neuen Sinn: sie wurde zum Ausdrucksmittel der Reaktion gegen die neuen fortschrittlichen<br />
Bestrebungen in Frankreich. Dieser ihr neuer Sinn ist bereits ziemlich klar in der Vorrede<br />
zu „Mademoiselle de Maupin“ angedeutet, obwohl die damaligen französischen Männer<br />
der Ordnung, erschreckt durch die scheinrevolutionäre äußere Form der literarischen Manieren<br />
Théophile Gautiers, sein Verdienst vor der französischen Bourgeoisie gar nicht gewürdigt<br />
haben. Als sich Alexandre Dumas der Jüngere gegen die Formel l’art pour l’art wandte, tat er<br />
dies im Interesse der „alten Gesellschaft“, die, wie er sagte, schon ganz aus den Fugen geraten<br />
ist. Gewiß haben dramatische Plattheiten wie sein „Fils naturel“, „Père prodigue“ usw.<br />
nicht viel zur Festigung der bürgerlichen Ordnung beigetragen. Aber Dumas der Jüngere hatte<br />
trotzdem [430] recht. Nach 1848 hatte es die bürgerliche Gesellschaft wirklich nötig, zusammengeflickt<br />
und gestützt zu werden, und diesem Zustand entsprach die Theorie der Kunst<br />
für die Kunst nicht mehr; sie brauchte eine Apologie in Vers und Prosa auf der Theaterbühne<br />
und in den Gemälden der Maler. Wenn Flaubert diese Ansicht nicht teilte, so einzig und allein<br />
deshalb, weil er sich zuwenig um die Interessen der Bourgeoisie kümmerte.<br />
Bei uns in Rußland hatte die Theorie der reinen Kunst ebenfalls nicht immer den gleichen<br />
Sinn. Zu Lebzeiten Puschkins, nach dem Zusammenbruch der Hoffnungen unserer Intelligenz<br />
der zwanziger Jahre, brachte sie das Streben der besten Geister zum Ausdruck, aus der drükkenden<br />
Wirklichkeit in die einzige ihnen damals zugängliche Sphäre der höheren Interessen<br />
zu entfliehen. Als sich aber Belinski mündlich und schriftlich gegen sie wandte, bekam sie<br />
eine ganz andere Bedeutung. Die werktätige Masse, die leibeigene Bauernschaft existierte für<br />
Puschkin als Schriftsteller nicht. Zu Puschkins Zeiten konnte davon in der Literatur nicht die<br />
Rede sein und war auch nicht die Rede. Aber in den vierziger Jahren „überschwemmte“ die<br />
Naturale Schule die Literatur „mit gewöhnlichem Volk“. Als die Gegner dieser Schule ihr<br />
gegenüber die Theorie der reinen Kunst aufstellten, machten sie aus dieser Theorie ein Werkzeug<br />
des Kampfes gegen die Freiheitsbestrebungen jener Zeit. Die Autorität Puschkins und<br />
seine wunderbaren Gedichte waren in diesem Kampfe ein wahrer Fund. Als sie im Namen<br />
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