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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

ßen können. Daran haben ihn seine Erziehung und seine Gewohnheiten gehindert. Es zog ihn<br />

hin zur großen Welt, wie es zum Beispiel seinen Freund Tschaadajew zu ihr hinzog, der nach<br />

den Worten des Verfassers von „Erlebtes und Erdachtes“ 1 der ihn gut kannte, als lebendiger<br />

Protest dastand und auf den Strudel der Personen schaute, die sinnlos um ihn herumwirbelten,<br />

der launisch war, zu einem Sonderling wurde, sich der Gesellschaft entfremdete und sie doch<br />

nicht lassen konnte. Und ebenso wie Tschaadajew bewahrte Puschkin, indem er in der höheren<br />

Gesellschaftsschicht Zerstreuung suchte, seine besten Ideen für sich. Belinski fand,<br />

Tschazki hatte in dem Kreise von Leuten wie Famussow, den Fürsten Tugouchowski, den<br />

Gräfinnen Chrjumin usw. nichts zu suchen. Es ist interessant, daß in Puschkins Bemerkungen<br />

zu „Verstand schafft Leiden“ eine andere Ansicht geäußert wird. Puschkin ist nicht verwundert,<br />

daß sich Tschazki in der feinen Gesellschaft bewegt. Er denkt nur, daß es unverzeihlich<br />

war, [425] in dieser Gesellschaft solche Reden zu führen, wie Tschazki sie führte. „Das erste<br />

Kennzeichen eines vernünftigen Menschen ist es, gleich auf den ersten Blick zu wissen, mit<br />

wem er es zu tun hat, und solchen Leuten wie Repetilow nicht Perlen vorzuwerfen usw.“ Das<br />

ist richtig, wenn wir zu dem Epithet „vernünftig“ hinzufügen: „und nicht ohne Lebenserfahrung“.<br />

Aber nicht darum handelt es sich ... Wichtig ist folgendes: Wenn vernünftige und talentvolle<br />

Menschen in gewissen historischen Epochen keine Perlen vor die kalte und rohe<br />

Menge werfen wollen, muß sie das notwendigerweise zur Theorie der Kunst für die Kunst<br />

führen.<br />

Die Idee des Gedichts „Einem Dichter“ hat Belinski ebenfalls nicht richtig verstanden.<br />

Puschkin erteilt den Dichtern durchaus nicht die Erlaubnis, triviale Menschen zu sein, solange<br />

sie nicht Apollo zur heiligen Opferhandlung auffordert. Er spricht nicht von dem, was der<br />

Dichter sein muß, sondern zeigt, was der Dichter zu sein pflegt und was ihm die Inspiration<br />

bedeutet. In den „Ägyptischen Nächten“ ist der italienische Komponist eine recht wenig anziehende<br />

Person: er ist ungebildet, ein Mensch ohne Gehalt, und Kriecherei und Begierden<br />

sind ihm nicht fremd. Aber dieser Komponist wird unter dem Einfluß der Inspiration ein ganz<br />

anderer Mensch. Es ist die Frage, pflegt es tatsächlich so zu sein oder hat Puschkin das geistige<br />

Wesen des Talents schlechtgemacht, indem er ihm einen charakteristischen Zug andichtete,<br />

der sich mit dem Talent nicht verträgt? Uns scheint, daß es hier gar nicht um ein<br />

Schlechtmachen geht; dem von Puschkin angegebenen charakteristischen Zug kann man immer<br />

wieder begegnen; aber es gibt Epochen, in denen fast alle talentvollen Menschen einer<br />

bestimmten Gesellschaftsklasse dem italienischen Komponisten Puschkins gleichen. Das sind<br />

die Epochen des gesellschaftlichen Indifferentismus und des Verfalls der bürgerlichen Moral.<br />

Sie entsprechen jener Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, wo eine herrschende Klasse<br />

sich anschickt, von der Bühne der Geschichte abzutreten, aber deshalb von ihr noch nicht<br />

abtritt, weil die Klasse noch nicht vollständig herangereift ist, die ihrer Herrschaft ein Ende<br />

machen soll. In solchen Epochen folgen die Menschen der herrschenden Klasse dem Prinzip<br />

„Après nous le déluge“ [„Nach uns die Sintflut!“], und es denkt jeder nur an sich und überläßt<br />

das allgemeine Wohl dem blinden Zufall. Es ist begreiflich, daß in solchen Epochen dem<br />

gemeinsamen Schicksal auch die Dichter nicht entgehen: ihre Seelen werden in „kalten<br />

Schlaf“ versenkt, und ihr moralisches Niveau sinkt erschreckend tief. Da fragen sie sich dann<br />

nicht, ob sie mit ihrem Talent einer gerechten Sache, einer guten Ordnung dienen. Sie suchen<br />

nur reiche Gönner, kümmern sich nur um den vorteilhaften Absatz ihrer Werke. Aber auch an<br />

ihnen zeigt sich die magische Wirkung des Talents, und sie erheben sich in den Minuten der<br />

Inspiration auf höhere geistige und moralische Stufe. [426] In solchen Minuten denkt der<br />

begabte Dichter nur an seine Arbeit, empfindet er den selbstlosen Genuß des Schaffens und<br />

wird er reiner, weil er die niedrigen Leidenschaften vergißt, von denen er sonst erregt wird!<br />

Auf diesen veredelnden Einfluß des dichterischen Schaffens wollte nun eben Puschkin hin-<br />

1 [Es handelt sich um A. I. Herzen.]<br />

22

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