18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

det hatten, zeigt, daß in den von uns angeführten Worten Lermontows auch nicht die leiseste<br />

Spur einer Übertreibung ist... Puschkin war in dem ihn umgebenden Milieu schrecklich niedergedrückt.<br />

„Die Plattheit und Dummheit unserer beiden Hauptstädte ist ein und dieselbe, wenn<br />

auch verschieden in ihrer Art“, klagt er in einem im Frühjahr 1827 an P. A. Ossipowa gerichteten<br />

Briefe. Im Januar 1828 äußert er von neuem ihr gegenüber: „Ich muß gestehen, daß mir das<br />

lärmende und geschäftige Leben Petersburgs völlig fremd geworden ist, ich kann es kaum ertragen.“<br />

Ungefähr aus der gleichen Zeit stammt sein verzweiflungsvolles Gedicht „Zufallsgabe,<br />

leere Gabe“ und folgende trostlose Verse, die Belinski so häufig in den schweren Minuten des<br />

Mißmutes und des Überdrusses an dem ihn umgehenden Leben zu wiederholen pflegte:<br />

In dieser Lebenswüste ohne Grenzen<br />

Brachen drei Quellen durch ein Wunder auf.<br />

Der Quell der Jugend nimmt mit frohem Glänzen<br />

In ungestümen Wirbeln seinen Lauf;<br />

Kastalisch heißt der andre – unermessen<br />

Erquickt er manchen Müden, der ihn fand;<br />

Der letzte Quell ist kalt und heißt Vergessen:<br />

Er löscht am süßesten des Herzens Brand. (E) 1<br />

Belinski sagt, der Dichter könne und dürfe nicht für sich und über sich selbst dichten. Für<br />

wen soll er aber singen, wenn niemand ihm lauscht und wenn man seinen Liedern die Vaudeville-Couplets<br />

vorzieht? In einer solchen Gesellschaft bleibt nur eines von beiden übrig: entweder<br />

das wertlose und zufällige Geschenk des Lebens von sich zu werfen und die Herzensglut<br />

im Quell des Vergessens zu löschen, d. h. das zu tun, was Chatterton getan hat; oder für<br />

sich selbst und wenige Auserwählte zu singen, denen die Kunst als Kunst am Herzen liegt<br />

und nicht als Mittel, sich die Gunst eines hochgestellten Gönners zu erwerben, oder als belangloser<br />

Gegenstand für leeres Salongeschwätz.<br />

Pissarew ist ungehalten darüber, weil der Puschkinsche Dichter den Vorschlag der Menge<br />

verächtlich von sich weist, zu ihrer sittlichen Besserung [424] zu singen, ihr Moral zu predigen.<br />

Aber die Moral ist doch so verschieden. Woher kannte Pissarew die Moral der Menge,<br />

die mit dem Dichter sprechen wollte? Der Lord-Mayor und der Fabrikant aus dem „Chatterton“,<br />

die wir erwähnten, wären ebenfalls des Lobes voll gewesen für einen Dichter, der es auf<br />

sich genommen hätte, ihre Moral zu predigen, aber bevor er das hätte tun können, hätte er die<br />

besten Regungen seines Herzens in sich ertöten müssen. Und deshalb, wir müssen gestehen,<br />

wären wir gar nicht gekränkt gewesen, wenn er ihnen stolz geantwortet hätte:<br />

Hinweg! Nie dient des Pöbels Zwecken<br />

Des Dichters friedereiches Lied!<br />

Nie wird der Leier Ton euch wecken!<br />

Versteint im Laster das Gemüt... (A)<br />

Man hat Puschkin mehr als einmal vorgeschlagen, er solle moralische Werke schreiben, die<br />

für den Ruhm des Vaterlandes von Nutzen wären. Er hat die „reine“ Kunst vorgezogen und<br />

eben damit bewiesen, daß er über der damals üblichen Moral stand.<br />

Man sagt: Warum ist Puschkin in ein Milieu geraten, mit dem er nichts gemein hatte? Das ist<br />

dieselbe Frage, die Belinski in bezug auf Tschazki aufgeworfen hatte. Wir wollen sie mit<br />

einer anderen Frage beantworten:<br />

Welche gesellschaftliche Schicht stand damals nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung<br />

über der höheren Gesellschaftsschicht? Gewiß hätte Puschkin einen kleinen Freundeskreis<br />

von gebildeten Adligen und Bürgerlichen um sich versammeln und sich darin abschlie-<br />

1 [„Drei Quellen“]<br />

21

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!