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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

Bornierten, feilen Rechtsverdrehern,<br />

Gesellschaftlichem Firlefanz,<br />

Inmitten frömmelnder Koketten,<br />

Gezierter Modemarionetten,<br />

Knechtischer Liebedienerei,<br />

In dieser Welt der Heuchelei,<br />

Der Unmoral und Hirnverblödung,<br />

Voll Eigennutz und Niedertracht,<br />

Lug und Gemeinheit, wettgemacht<br />

Durch Geistes- wie Gemütsverödung –<br />

In diesem Pfuhl, drin alle wir<br />

Uns wälzen, Freunde, ich und ihr. (C) 1<br />

Was meinen Sie, lieber Leser: werden diese frommen Koketten, diese herzlosen, eingebildeten<br />

Menschen und diese glänzenden Dummköpfe für [422] das Götzenbild des Belvedere<br />

schwärmen? Wir sind der Meinung, daß sie sehr gleichgültig sind gegen die Kunst und gegen<br />

alle Götzenbilder – außer dem goldenen Kalb. Woher kommt nun diese Gleichgültigkeit?<br />

Können sich doch die glänzenden Dummköpfe zu ihrer Rechtfertigung kaum auf drückende<br />

Armut und auf schwere Arbeit berufen, die zu geistigen Genüssen keine Zeit läßt. Gewiß, um<br />

die Armut geht es hier nicht. Daß der Kochtopf dem Apoll von Belvedere vorgezogen wird,<br />

bedeutet bei Puschkin einfach die völlige Belanglosigkeit der geistigen Interessen im Vergleich<br />

zu den materiellen Interessen. Puschkin hat nicht nur den Gebrauchswert, sondern<br />

auch den Tauschwert des Kochtopfes im Auge. Sein Tauschwert ist nur ganz gering, aber die<br />

glänzenden Dummköpfe, der hochmütige und kalte Pöbel der höheren Gesellschaft, verfeinert<br />

durch Luxus und materielle Genüsse jeder Art, schätzt ihn trotzdem höher als ein großes<br />

Kunstwerk. Er versteht mit dem Kochtopf etwas anzufangen und weiß nicht, wozu diese<br />

Werke da sind. Hat er vielleicht recht, und ist der Dichter im Unrecht, der ihm vorwirft, er<br />

lerne nichts anderes als den Gewinn?<br />

Die Idee des Gedichts „Der Dichter und die Menge“ ist offenbar dieselbe wie die Idee des<br />

Dramas „Chatterton“ von Alfred de Vigny. In diesem Drama macht ein gänzlich verarmter<br />

Dichter seinem Leben ein Ende, nachdem er sich überzeugt hat, daß er die Sympathie des ihn<br />

umgebenden kalten und hochmütigen Pöbels niemals erlangen kann. Und zu diesem Pöbel<br />

gehören durchaus keine armen Leute: junge Lords, die sich dem ausschweifenden Leben der<br />

höheren Gesellschaft hingeben, ein Fabrikant, der seine Arbeiter aussaugt, und der Bürgermeister<br />

von London. Dieser ehrenwerte Bourgeois schätzt den Kochtopf offensichtlich ebenfalls<br />

höher als das Belvedere-Götzenbild; er gibt Chatterton den vernünftigen Rat, die fruchtlose<br />

Beschäftigung mit der Dichtkunst aufzugeben und eine nützliche Arbeit anzufangen:<br />

Lakai zu werden. Diesem satten und selbstgenügsamen Lord-Mayor Dummheit vorwerfen,<br />

sollte das etwa soviel heißen wie die arbeitende Menschheit beleidigen? 2<br />

Was es heißt, unter glänzenden Dummköpfen zu leben, kann man an dem eigenen Beispiel<br />

Puschkins sehen:<br />

... Ein Dornenkranz jedoch, von Lorbeer zwar umwunden,<br />

Wird statt der Krone, die er trug, ihm aufgesetzt;<br />

Verborgne Stacheln brannten Wunden<br />

In seines Hauptes Glorie jetzt... (F). 3<br />

[423] Alles, was wir über das Leben Puschkins in jener Periode wissen, die nach seinen Wanderjahren<br />

begann und in deren Verlauf sich seine endgültigen Ansichten über die Kunst gebil-<br />

1 [Schluß des Sechsten Buches in der ersten Ausgabe.]<br />

2 Nach den Worten Pissarews verwarf und verfluchte Puschkin die ganze werktätige Menschheit.<br />

3 [Lermontow, „Der Tod des Dichters“.]<br />

20

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