erschien nennen menschenähnlichen
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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013 linski jetzt ebenfalls für völlig falsch. Der Dichter muß nicht nur dann rein und edel sein, wenn Apollon ihn zur heiligen Opferhandlung braucht, sondern das ganze Leben hin- [420]durch. „Unsere Zeit beugt die Knie nur vor einem Künstler, dessen Leben der beste Kommentar zu seinen Werken ist und dessen Werke die beste Rechtfertigung seines Lebens sind. Goethe gehörte nicht zu den gemeinen Krämerseelen, die aus Ideen, Gefühlen und der Dichtkunst ein Geschäft machen; aber der praktische und historische Indifferentismus würde ihm nicht gestatten, sich zum Beherrscher der Gedanken unserer Zeit zu machen, trotz all der weltumspannenden Weite seines Genies.“ VI Die scharfe Ablehnung der Theorie der Kunst für die Kunst ist das größte und stärkste der Kettenglieder, die die Kritik Belinskis mit der Kritik der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und der ersten Hälfte der sechziger Jahre verbanden. Und deshalb verdient sie doppeltes Interesse. Unsere Männer der Aufklärung konnten Puschkin seine Verachtung gegenüber den „Würmern der Erde“, gegenüber dem „Pöbel“ nicht verzeihen; sie allein hätte genügt, sie gegen den großen Dichter einzunehmen. Haben sie Puschkin richtig verstanden? Von welchem Pöbel spricht er in seinen Dichtungen? Belinski glaubte, dieses Wort bedeute die Volksmasse. Bei Pissarew war diese Meinung zur unerschütterlichen Überzeugung geworden. Deshalb antwortete er dem Dichter mit so unbändiger Leidenschaft: „Nun, und du, Kritiker auf stolzer Höhe, du Sohn des Himmels, worin kochst du dir deine Nahrung: im Topf oder im Götzenbild des Belvedere? ... Der Erdenwurm führt ein Hungerdasein, und der Sohn des Himmels legt sich eine tüchtige Fettschicht zu, die ihm die volle Möglichkeit verleiht, sich marmorne Götter zu schaffen und seinen besitzlosen Landsleuten ohne Scheu in die Kochtöpfe zu spukken.“ Woraus ist denn zu ersehen, daß der Dichter bei Puschkin gerade seine „besitzlosen Landsleute“, gerade die armen. Leute, die ein Hungerleben führen, zerschmettert? Das ist bestimmt aus keiner Stelle zu ersehen. In den Artikeln und Briefen Belinskis selbst stößt man nicht selten auf Ausfälle gegen den „Pöbel“ und gegen die „Menge“, die für das Hohe keinen Sinn hat. Es wäre aber seltsam, ihm auf Grund dessen Verachtung der Armen vorwerfen zu wollen. In der „Antwort an den Anonymus“ ruft Puschkin aus: Auf Mitgefühl baut ihr in dieser Welt, ihr Narren! Ach, nur als vagen Gaukler sieht das Volk mit starren und kalten Blicken seinem Dichter nach... [421] Muß man das Wort „Menge“ etwa auch hier im Sinne von Volksmasse auffassen? In einem Briefe an Fürst P. A. Wjasemski (1825) äußert er sich folgendermaßen über die Menge: „Die Menge liest begierig Bekenntnisse, Memoiren etc., weil sie sich in ihrer Gemeinheit über die Erniedrigung des Hohen und über die Schwächen des Starken freut. Bei der Entdekkung jeder Gemeinheit gerät sie in Entzücken: er ist genauso klein wie wir, genauso gemein wie wir! Ihr lügt, ihr gemeinen Seelen: er ist nicht klein und gemein wie ihr – sondern anders!“ Ist diese Menge, die gierig die Bekenntnisse und Memoiren großer Männer liest, das Volk? Man kann doch nicht bestreiten, daß bei Puschkin die gefühllose Menge dasselbe ist wie das kaltherzige, hochmütige Volk, der törichte Pöbel usw. In seinem „Eugen Onegin“ sagt er, daß in der Welt leben soviel heiße wie leben unter ... Laffen, Schurken, Pharisäern, Verächtlich blöder Arroganz, 19
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013 Bornierten, feilen Rechtsverdrehern, Gesellschaftlichem Firlefanz, Inmitten frömmelnder Koketten, Gezierter Modemarionetten, Knechtischer Liebedienerei, In dieser Welt der Heuchelei, Der Unmoral und Hirnverblödung, Voll Eigennutz und Niedertracht, Lug und Gemeinheit, wettgemacht Durch Geistes- wie Gemütsverödung – In diesem Pfuhl, drin alle wir Uns wälzen, Freunde, ich und ihr. (C) 1 Was meinen Sie, lieber Leser: werden diese frommen Koketten, diese herzlosen, eingebildeten Menschen und diese glänzenden Dummköpfe für [422] das Götzenbild des Belvedere schwärmen? Wir sind der Meinung, daß sie sehr gleichgültig sind gegen die Kunst und gegen alle Götzenbilder – außer dem goldenen Kalb. Woher kommt nun diese Gleichgültigkeit? Können sich doch die glänzenden Dummköpfe zu ihrer Rechtfertigung kaum auf drückende Armut und auf schwere Arbeit berufen, die zu geistigen Genüssen keine Zeit läßt. Gewiß, um die Armut geht es hier nicht. Daß der Kochtopf dem Apoll von Belvedere vorgezogen wird, bedeutet bei Puschkin einfach die völlige Belanglosigkeit der geistigen Interessen im Vergleich zu den materiellen Interessen. Puschkin hat nicht nur den Gebrauchswert, sondern auch den Tauschwert des Kochtopfes im Auge. Sein Tauschwert ist nur ganz gering, aber die glänzenden Dummköpfe, der hochmütige und kalte Pöbel der höheren Gesellschaft, verfeinert durch Luxus und materielle Genüsse jeder Art, schätzt ihn trotzdem höher als ein großes Kunstwerk. Er versteht mit dem Kochtopf etwas anzufangen und weiß nicht, wozu diese Werke da sind. Hat er vielleicht recht, und ist der Dichter im Unrecht, der ihm vorwirft, er lerne nichts anderes als den Gewinn? Die Idee des Gedichts „Der Dichter und die Menge“ ist offenbar dieselbe wie die Idee des Dramas „Chatterton“ von Alfred de Vigny. In diesem Drama macht ein gänzlich verarmter Dichter seinem Leben ein Ende, nachdem er sich überzeugt hat, daß er die Sympathie des ihn umgebenden kalten und hochmütigen Pöbels niemals erlangen kann. Und zu diesem Pöbel gehören durchaus keine armen Leute: junge Lords, die sich dem ausschweifenden Leben der höheren Gesellschaft hingeben, ein Fabrikant, der seine Arbeiter aussaugt, und der Bürgermeister von London. Dieser ehrenwerte Bourgeois schätzt den Kochtopf offensichtlich ebenfalls höher als das Belvedere-Götzenbild; er gibt Chatterton den vernünftigen Rat, die fruchtlose Beschäftigung mit der Dichtkunst aufzugeben und eine nützliche Arbeit anzufangen: Lakai zu werden. Diesem satten und selbstgenügsamen Lord-Mayor Dummheit vorwerfen, sollte das etwa soviel heißen wie die arbeitende Menschheit beleidigen? 2 Was es heißt, unter glänzenden Dummköpfen zu leben, kann man an dem eigenen Beispiel Puschkins sehen: ... Ein Dornenkranz jedoch, von Lorbeer zwar umwunden, Wird statt der Krone, die er trug, ihm aufgesetzt; Verborgne Stacheln brannten Wunden In seines Hauptes Glorie jetzt... (F). 3 [423] Alles, was wir über das Leben Puschkins in jener Periode wissen, die nach seinen Wanderjahren begann und in deren Verlauf sich seine endgültigen Ansichten über die Kunst gebil- 1 [Schluß des Sechsten Buches in der ersten Ausgabe.] 2 Nach den Worten Pissarews verwarf und verfluchte Puschkin die ganze werktätige Menschheit. 3 [Lermontow, „Der Tod des Dichters“.] 20
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linski jetzt ebenfalls für völlig falsch. Der Dichter muß nicht nur dann rein und edel sein,<br />
wenn Apollon ihn zur heiligen Opferhandlung braucht, sondern das ganze Leben hin-<br />
[420]durch. „Unsere Zeit beugt die Knie nur vor einem Künstler, dessen Leben der beste<br />
Kommentar zu seinen Werken ist und dessen Werke die beste Rechtfertigung seines Lebens<br />
sind. Goethe gehörte nicht zu den gemeinen Krämerseelen, die aus Ideen, Gefühlen und der<br />
Dichtkunst ein Geschäft machen; aber der praktische und historische Indifferentismus würde<br />
ihm nicht gestatten, sich zum Beherrscher der Gedanken unserer Zeit zu machen, trotz all der<br />
weltumspannenden Weite seines Genies.“<br />
VI<br />
Die scharfe Ablehnung der Theorie der Kunst für die Kunst ist das größte und stärkste der<br />
Kettenglieder, die die Kritik Belinskis mit der Kritik der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre<br />
und der ersten Hälfte der sechziger Jahre verbanden. Und deshalb verdient sie doppeltes Interesse.<br />
Unsere Männer der Aufklärung konnten Puschkin seine Verachtung gegenüber den „Würmern<br />
der Erde“, gegenüber dem „Pöbel“ nicht verzeihen; sie allein hätte genügt, sie gegen<br />
den großen Dichter einzunehmen. Haben sie Puschkin richtig verstanden? Von welchem Pöbel<br />
spricht er in seinen Dichtungen? Belinski glaubte, dieses Wort bedeute die Volksmasse.<br />
Bei Pissarew war diese Meinung zur unerschütterlichen Überzeugung geworden. Deshalb<br />
antwortete er dem Dichter mit so unbändiger Leidenschaft: „Nun, und du, Kritiker auf stolzer<br />
Höhe, du Sohn des Himmels, worin kochst du dir deine Nahrung: im Topf oder im Götzenbild<br />
des Belvedere? ... Der Erdenwurm führt ein Hungerdasein, und der Sohn des Himmels<br />
legt sich eine tüchtige Fettschicht zu, die ihm die volle Möglichkeit verleiht, sich marmorne<br />
Götter zu schaffen und seinen besitzlosen Landsleuten ohne Scheu in die Kochtöpfe zu spukken.“<br />
Woraus ist denn zu ersehen, daß der Dichter bei Puschkin gerade seine „besitzlosen<br />
Landsleute“, gerade die armen. Leute, die ein Hungerleben führen, zerschmettert? Das ist<br />
bestimmt aus keiner Stelle zu ersehen.<br />
In den Artikeln und Briefen Belinskis selbst stößt man nicht selten auf Ausfälle gegen den<br />
„Pöbel“ und gegen die „Menge“, die für das Hohe keinen Sinn hat. Es wäre aber seltsam, ihm<br />
auf Grund dessen Verachtung der Armen vorwerfen zu wollen. In der „Antwort an den Anonymus“<br />
ruft Puschkin aus:<br />
Auf Mitgefühl baut ihr in dieser Welt, ihr Narren!<br />
Ach, nur als vagen Gaukler sieht das Volk mit starren<br />
und kalten Blicken seinem Dichter nach...<br />
[421] Muß man das Wort „Menge“ etwa auch hier im Sinne von Volksmasse auffassen?<br />
In einem Briefe an Fürst P. A. Wjasemski (1825) äußert er sich folgendermaßen über die Menge:<br />
„Die Menge liest begierig Bekenntnisse, Memoiren etc., weil sie sich in ihrer Gemeinheit<br />
über die Erniedrigung des Hohen und über die Schwächen des Starken freut. Bei der Entdekkung<br />
jeder Gemeinheit gerät sie in Entzücken: er ist genauso klein wie wir, genauso gemein<br />
wie wir! Ihr lügt, ihr gemeinen Seelen: er ist nicht klein und gemein wie ihr – sondern anders!“<br />
Ist diese Menge, die gierig die Bekenntnisse und Memoiren großer Männer liest, das Volk?<br />
Man kann doch nicht bestreiten, daß bei Puschkin die gefühllose Menge dasselbe ist wie das<br />
kaltherzige, hochmütige Volk, der törichte Pöbel usw.<br />
In seinem „Eugen Onegin“ sagt er, daß in der Welt leben soviel heiße wie leben unter<br />
... Laffen, Schurken, Pharisäern,<br />
Verächtlich blöder Arroganz,<br />
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