18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

über das Verhältnis der Persönlichkeit zur Gesellschaft sagt. Es versteht sich von selbst, daß<br />

dieser fundamentale Wechsel seiner Ansicht über die Persönlichkeit eine nicht minder fundamentale<br />

Änderung seiner Urteile über Schriftsteller mit sich bringen mußte, die die Bestrebungen<br />

und Leiden der Persönlichkeit, die gegen gesellschaftliche Vorurteile ankämpft, in<br />

dichterischer Form zum Ausdruck brachten, und vor allem über Schiller. Nichts hat Belinski<br />

jetzt gegen seine dramatischen Werke, er rechtfertigt sie voll und ganz und ist gar begeistert,<br />

aber begeistert von einem ganz besonderen Standpunkt aus. Er sagt, der vorherrschende Charakter<br />

der Schillerschen Dramen sei ein rein lyrischer, und diese haben „mit dem Prototyp des<br />

Dramas, das die Wirklichkeit darstellt, mit dem Shakespeareschen Drama, nichts gemein“. Er<br />

nennt die Schillerschen Dramen erhabene, ewige Schöpfungen „in ihrer Sphäre“, fügt aber im<br />

selben Atemzuge hinzu, daß man sie nicht mit dem wirklichen neuzeitlichen Drama verwechseln<br />

dürfe, und bemerkt: „Man muß schon ein ganz großer Lyriker sein, um auf dem Kothurn<br />

des Schillerschen Dramas frei einherzuschreiten: ein gewöhnliches Talent, das seinen<br />

Kothurn besteigt, fällt unbedingt hinunter in den Schmutz. Und deshalb sind alle Nachahmer<br />

Schillers so heuchlerisch, platt und unausstehlich.“ Das bedeutet, die Schillerschen Dramen<br />

sind schlecht eben als Dramen und nur gut als lyrische Werke. 1 Im Grunde genommen unterscheidet<br />

sich dieses Urteil wenig von dem, das Belinski in der „traurigen“ Zeit seiner Tätig-<br />

[413]keit ausgesprochen und so leidenschaftlich wiederholt hat. Herr P. Polewoi sagt, daß<br />

Belinski in dieser Zeit dank seinen damaligen ästhetischen Anschauungen „aus dem Bereiche<br />

der Dichtkunst die ganze subjektive Lyrik ausscheiden mußte“.<br />

Aber jede Lyrik ist subjektiv; so wenigstens dachte Belinski: „Im Epos“, sagte er, „wird das<br />

Subjekt vom Gegenstand absorbiert; in der Lyrik überträgt es sich nicht nur auf den Gegenstand,<br />

löst ihn nicht nur auf, durchdringt ihn nicht nur, sondern schöpft aus seinem tiefsten<br />

Innern all jene Empfindungen aus, die das Zusammentreffen mit dem Gegenstande in ihm<br />

erweckt hatte.“ Kurz gesagt, der Inhalt eines lyrischen Werkes ist das Subjekt selbst und alles,<br />

was in ihm vor sich geht. Die subjektive Lyrik aus dem Bereiche der Dichtkunst ausscheiden<br />

heißt daher soviel wie alle Lyrik überhaupt daraus ausscheiden. Aber Belinski, in<br />

seiner versöhnlerischen Periode, fand außerordentlich großen Gefallen an Goethes Lyrik, und<br />

der „Moskowski Nabljudatel“ brachte einige vorzügliche Übersetzungen lyrischer Gedichte<br />

Goethes. Die Dichtkunst Kolzows ist ebenfalls lyrisch, und Belinski hat sie immer sehr geschätzt.<br />

Daraus ergibt sich, daß er die Lyrik nicht aus der Dichtkunst verbannt hat.<br />

Ablehnend verhielt er sich in der versöhnlerischen Epoche nur zu einer Lyrik, in der die Unzufriedenheit<br />

des Dichters mit der „vernünftigen Wirklichkeit“ zum Ausdruck kam. Folglich<br />

mußte er später nur diese Lyrik rehabilitieren. Aber unsere Kritiker und Literaturhistoriker<br />

vergessen gewöhnlich oder wissen nicht, daß sich Belinski, wie er die Rechtmäßigkeit des<br />

Elements der Reflexion in der Dichtkunst einräumte, nur um so vollständiger die ästhetische<br />

Theorie Hegels aneignete; er selbst wußte das sehr wohl. Als er die reflektierende Dichtkunst<br />

verurteilte, begriff er, daß er von dem deutschen Denker abwich. Als er später für sie eintrat,<br />

berief er sich auf die Hegelsche „Ästhetik“. 2 Damit nicht genug. Belinski blieb zum Teil<br />

selbst dann auf dem Boden der Hegelschen Ästhetik stehen, als er die sogenannte Theorie der<br />

Kunst für die Kunst angriff. In seinen „Betrachtungen über die russische Literatur des Jahres<br />

1847“ sagt er: „Es ist überhaupt charakteristisch für die neuere Kunst, daß der Inhalt die<br />

Form an Bedeutung überwiegt, während für die antike Kunst das Gleichgewicht zwischen<br />

Inhalt und Form charakteristisch war.“ Das ist von Anfang bis zu Ende Hegel entlehnt.<br />

1 Nur im „Wallenstein“ sah Belinski einen Drang zu unmittelbarem Schaffen.<br />

2 Hegel in seiner „Ästhetik“ rechnet Schiller das Vorherrschen des reflektierenden Elements in seinen Werken als<br />

besonderes Verdienst an und bezeichnet sein Vorherrschen als „Ausdruck des Geistes der neuesten Zeit“. Eine<br />

Erklärung zu der Erklärung bezüglich Gogols Poem „Die toten Seelen“.<br />

14

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!