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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

Leere und Nichtigkeit der von ihm dargestellten Gesellschaft davon her-[411]rührten, daß in<br />

ihr jegliche Überzeugungen, jeglicher vernünftige Inhalt fehlten, schiebt er alle Schuld auf<br />

die lächerlichen rasierten Kinne, auf die Fräcke mit dem Schwanz hinten dran, mit dem Ausschnitt<br />

vorne und spricht entzückt von der würdevollen Kleidung der alten Zeit mit den langen<br />

Schößen. Aber das zeigt nur die Unreife, die jugendliche Unentwickeltheit des Talents<br />

Gribojedows: Das Stück ‚Verstand schafft Leiden‘ ist trotz all seiner Mängel voller kraftvoller,<br />

schöpferischer Inspirationen. Gribojedow war noch nicht imstande, solch riesenhafte<br />

Kräfte richtig zu handhaben. Wäre er dazu gekommen, eine andere Komödie zu schreiben, so<br />

hätte sie ‚Verstand schafft Leiden‘ weit hinter sich gelassen. Das sieht man schon aus ‚Verstand<br />

schafft Leiden‘ selbst: darin ist so vieles, was für eine gewaltige dichterische Entwicklung<br />

bürgt.“<br />

Belinski sagt hier über die Idee Gribojedows etwas ganz anderes als früher. In dieser Beziehung<br />

besteht ein kolossaler Unterschied. Aber er betrifft nicht die Würdigung der künstlerischen<br />

Werte von „Verstand schafft Leiden“. Die Würdigung dieser Werte unterscheidet sich<br />

durch nichts von jener, die er in der Periode seiner versöhnlerischen Einstellung vorgenommen<br />

hat. Und dabei ist der Überblick über die russische Literatur des Jahres 1841 wahrscheinlich<br />

etwa ein Jahr später, als Belinski in dem Brief an Botkin sein Bedauern über seine<br />

ungerechte Haltung gegenüber Gribojedow ausgedrückt hatte, geschrieben worden. Aber im<br />

Jahre 1841 waren die neuen literarischen Ansichten Belinskis noch nicht völlig fest begründet,<br />

und seine damaligen Urteile über diese oder jene Werke der Literatur können deshalb<br />

nicht als endgültige Urteile angesehen werden. Wir wollen darum auf den Artikel „Gedanken<br />

und Bemerkungen über die russische Literatur“ verweisen, den Belinski für den „Peterburgski<br />

Sbornik“ geschrieben hat und der im Jahre 1846 <strong>erschien</strong>. In diesem Artikel bezeichnet<br />

er die Komödie Gribojedows als ein erhabenes Vorbild des Geistes, des Talents, des<br />

Scharfsinns, der Genialität, der bösen, galligen Inspiration, zugleich aber erkennt er sie nur<br />

zur Hälfte an. 1<br />

In den Urteilen Belinskis über die Dichtkunst Schillers sind grundlegende Veränderungen<br />

ebenfalls nicht zu bemerken, obwohl sich die Sache auf den ersten Blick zweifellos auch hier<br />

ganz anders darstellen mußte. Denken wir an die Geschichte seiner Stellungnahme zu den<br />

dogmatischen Werken Schillers. Anfangs war er eitel Feuer und Flamme und stand gänzlich<br />

unter ihrem Einfluß.<br />

Dann schreibt er: „Vielleicht irre ich mich, aber wirklich, die Schlossersfrau Poschlepkina<br />

steht für mich über der Thekla, dieser zehnten, [412] letzten, verbesserten, revidierten und<br />

korrigierten Auflage ein und derselben Frauengestalt Schillers. Und die Jungfrau von Orleans<br />

– was soll ich machen! –‚ die Jungfrau von Orleans ist für mich – einige rein lyrische Stellen,<br />

die eine besondere, eigene Bedeutung haben, ausgenommen – eine Hammelblase – nichts<br />

weiter!“ In dieser Zeit war seine Einstellung zu dem „sonderbaren Halbkünstler, Halbphilosophen“<br />

beinahe gehässig, auf jeden Fall stark gereizt. Nach dem Bruch mit dem „Einfaltspinsel“<br />

erklärt er Schiller zum Tiberius Gracchus unserer Zeit und ruft begeistert aus: „Es<br />

lebe der große Schiller, der edle Anwalt der Menschheit, der leuchtende Rettungsstern, der<br />

Emanzipator der Gesellschaft von den blutigen Vorurteilen der Tradition!“ Es scheint unmöglich,<br />

seine Einstellung zu einem Schriftsteller noch schroffer zu ändern.<br />

Aber derselbe Brief, dem wir diese Zeilen entnommen haben, enthält auch die Lösung des<br />

Rätsels seiner neuen Einstellung zu Schiller: „Für mich steht jetzt die menschliche Persönlichkeit<br />

über der Geschichte, über der Gesellschaft, über der Menschheit.“ Das ist das ausgesprochene<br />

Gegenteil dessen, was Belinski anläßlich des Stückes „Verstand schafft Leiden“<br />

1 Eine ähnliche Ansicht spricht er in einem der Artikel über Puschkin aus.<br />

13

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