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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

klaren, lebendigen, frischen, starken, machtvollen Talents; in seinen Details sei es vorzüglich;<br />

Natalja Dmitrijewna, ihr Mann und ihre gegenseitigen Beziehungen, der Fürst Tugouchowski<br />

und die Fürstin mit den sechs Töchtern, die Gräfinnen Chrjumin, Großmutter und Enkelin,<br />

Sagorezki – all das seien Typen, erschaffen von der Hand eines wirklichen Künstlers, und<br />

ihre Reden, Worte, ihr Verhalten, ihre Manieren, ihre Denkweise, die in ihnen zum Vorschein<br />

kommt – ein geniales Bild, frappierend durch seine Echtheit, durch seine wahre und schöpferische<br />

Objektivität; die Komödie Gribojedows sei ein Bau, aufgerichtet aus kostbarem parischem<br />

Marmor, mit goldenen Verzierungen, wunderbarem Schnitzwerk, prächtigen Säulen;<br />

aber bei all dem sei in ihr keine künstlerische Einheitlichkeit, denn es fehle an Objektivität;<br />

weshalb sich der herrliche Bau seiner Bestimmung nach als etwas Nichtiges erweise wie irgendein<br />

Schuppen, und die Kritik erklären müsse, daß „Verstand schafft Leiden“ eigentlich<br />

keine Komödie, sondern nur eine Satire sei. Seine Idee vom Fehlen der künstlerischen Einheitlichkeit<br />

in dem berühmten Werk Gribojedows bekräftigt Belinski durch eine recht eingehende<br />

Analyse auf der Grundlage der „Gesetze des Schönen“. Aus dieser Analyse geht hervor,<br />

daß die Charaktere der Hauptpersonen nicht ausgeglichen sind und daß diese unausgeglichenen<br />

Charaktere mit ihren gegenseitigen Beziehungen keine Komödie bilden. Die Personen<br />

reden sehr viel, tun aber wenig. Gewiß treten die Charaktere in Gesprächen in Erscheinung.<br />

Aber Gespräche dürfen nicht Selbstzweck sein. „In einem wirklichen Kunstwerk reden<br />

die Personen nicht, weil sich Leser oder [410] Zuschauer einen Begriff von ihrem Charakter<br />

machen muß, sondern weil sie nach ihrer Stellung und nach dem Gang der Handlung nicht<br />

umhin können zu reden. So reden sie zum Beispiel im ‚Revisor‘, aber nicht so reden sie in<br />

‚Verstand schafft Leiden‘, wo die handelnden Personen Reden führen, die aus ihrem Munde<br />

sehr seltsam klingen und die uns erst dann verständlich werden, wenn wir uns erinnern, daß<br />

eigentlich nicht sie reden, sondern Gribojedow selbst.“ Belinski glaubt, die Mängel der Komödie<br />

Gribojedows seien dadurch bedingt, daß es in ihr an Objektivität fehlt. An einer anderen<br />

Stelle seines Artikels drückt er sich noch bestimmter aus: „Die Komödie ist uneinheitlich,<br />

weil keine Idee darin ist.“ Der Widerspruch Tschazkis mit der ihn umgebenden Gesellschaft<br />

konnte einem wirklichen Kunstwerk nicht zugrunde gelegt werden. Eins von beiden: entweder<br />

gab es in der russischen Gesellschaft keine Kreise, die über dem Kreise von Leuten wie<br />

Famussow, Tugouchowski, Sagorezki usf. standen, oder es gab solche Kreise. Im ersten Falle<br />

hatte die Gesellschaft recht, wenn sie aus ihrer Mitte einen Menschen verjagte, der ihr fremd<br />

war: „Die Gesellschaft ist immer mehr im Recht als der Einzelmensch und steht über ihm,<br />

und die Individualität ist eben nur bis zu dem Grade Wirklichkeit und nicht Phantom, als sie<br />

die Gesellschaft repräsentiert.“ Im zweiten Falle kann man sich nur wundern, weshalb<br />

Tschazki sich gerade dem Kreise von Leuten wie Famussow anschloß und sich nicht bemühte,<br />

in andere Kreise einzudringen, die ihm näherstanden und artverwandter waren. Und<br />

deshalb erscheint Belinski der Widerspruch Tschazkis mit der Gesellschaft als etwas Zufälliges<br />

und nicht Wirkliches. „Offensichtlich war die Idee Gribojedows verworren und ihm selber<br />

unklar, und deshalb kam sie auch als eine Art Frühgeburt zur Welt.“ Jetzt ist die Frage:<br />

Welche Ansicht hatte Belinski über Gribojedow, als seine Schwärmerei für Hegel vorübergegangen<br />

war und der „philosophische Einfaltspinsel“ von einem deutschen Denker sogar mißgünstige<br />

Gefühle in ihm hervorzurufen begann? In dem Artikel „Die russische Literatur des<br />

Jahres 1841“ sagt er folgendes:<br />

„Der Inhalt dieser Komödie ist dem russischen Leben entnommen; ihr Pathos ist die Empörung<br />

über die bestehenden Verhältnisse, die den Stempel der alten Zeit an sich tragen. Das<br />

satirische Element gewinnt oft die Oberhand über die richtige Charakterzeichnung. Ihre volle<br />

künstlerische Reifung verhinderte die Unbestimmtheit der Idee, die im Bewußtsein des Autors<br />

noch nicht völlig ausgereift war; indem er gegen die sinnlose Nachäfferei alles Ausländischen<br />

mit Recht zu Felde zieht, fordert er die Gesellschaft zu einer anderen extremen Haltung<br />

auf – zu ‚einer chinesischen Abkapselung gegen die Fremden‘. Da er nicht begriffen hat, daß<br />

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