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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

Dieses unabänderliche Gesetz sehen wir sowohl in der Natur als auch beim Menschen und in<br />

der Menschheit... Das gleiche Gesetz existiert auch für die Kunst. Auch die Kunst macht verschiedene<br />

Phasen der Entwicklung durch. So erscheint sie in Indien auf der ersten Stufe ihrer<br />

Entwicklung; sie hat dort symbolischen Charakter; ihre Bilder bringen die Ideen in bedingter<br />

Form und nicht unmittelbar zum Ausdruck. In Ägypten tut sie einen Schritt vorwärts, indem<br />

sie sich ein wenig der Natur annähert. In Griechenland löst sie sich gänzlich vom Symbolismus<br />

los, und ihre Bilder nehmen die Form der Einfachheit und der Wahrheit an, die das<br />

höchste Ideal des Schönen bildet.“<br />

Da die Kunst dieselbe ewige Idee zu ihrem Inhalt hat, die durch ihre dialektische Bewegung<br />

die ganze historische Bewegung der Menschheit und folglich auch die Entwicklung des<br />

menschlichen Geistes bestimmt, so ist verständlich, daß sich die Kunst immer im Zusammenhang<br />

mit der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens und der verschiedenen Seiten<br />

des menschlichen Bewußtseins entwickelt. Auf den ersten Stufen ihrer Entwicklung bringt sie<br />

in größerem oder geringerem Grade religiöse Ideen zum Ausdruck; hierauf wird sie zum<br />

Ausdruck philosophischer Begriffe. Wo die Kunst religiöse Ideen zum Ausdruck bringt, wird<br />

ihre Entwicklung natürlich durch die Entwicklung dieser letzteren bedingt. „Die indische<br />

Kunst konnte sich nicht zur Darstellung der menschlichen Schönheit erheben, denn in der<br />

pantheistischen Religion der Inder ist Gott gleich Natur, und der Mensch ist nur ihr Diener,<br />

Priester und Opfer.“ Die ägyptische Mythologie nimmt eine Mittelstellung zwischen der indischen<br />

und griechischen ein: unter ihren Göttern begegnet man schon menschlichen Gestalten,<br />

aber ideale menschliche Gestalten sind die Götter [407] nur in Griechenland, nur hier ist die<br />

menschliche Gestalt verklärt und erhöht, weil sie höchste, ideale Schönheit zum Ausdruck<br />

bringt. In Griechenland wird die Kunst zum ersten Male zur Kunst im wahren Sinne des Wortes,<br />

weil sie nichts Symbolisches und Allegorisches mehr an sich hat. „Die Erklärung hierfür<br />

muß man in der griechischen Religion und in dem tiefen, voll entwickelten und bestimmten<br />

Sinne ihrer weltumfassenden Mythen suchen“, bemerkt Belinski.<br />

Auf die Entwicklung der Kunst und auf ihren Charakter übt auch die Natur ihren Einfluß aus:<br />

„Die ungeheure Größe der Architekturbauten, die kolossale Größe der indischen Statuen sind<br />

eine deutliche Widerspiegelung der gigantischen Natur des Landes der Himalajaberge, der<br />

Elefanten und Riesenschlangen. Die Nacktheit der griechischen Skulpturen steht in mehr oder<br />

weniger großem Zusammenhang mit dem gesegneten Klima von Hellas... Die wenig reiche<br />

Natur Skandinaviens mit ihrer erhabenen Wildheit war für die Normannen die Offenbarung<br />

ihrer düsteren Religion und ihrer rauh-erhabenen Poesie.“<br />

Belinski greift nach wie vor jene Kritiker an, die bestrebt sind, den Charakter und die Geschichte<br />

des dichterischen Schaffens durch das persönliche Leben des Dichters zu erklären.<br />

Er nennt sie jetzt Empiriker. Nach seiner Meinung sehen die empirischen Kritiker hinter dem<br />

Besonderen nicht das Allgemeine, sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wenn sie aus<br />

der Lebensbeschreibung irgendeines Dichters erfahren haben, er sei unglücklich gewesen,<br />

glauben sie schon den Schlüssel zum Verständnis seiner wehmütigen Werke gefunden zu<br />

haben. Mittels einer solchen Methode ist zum Beispiel der düstere Charakter der Byronschen<br />

Poesie außerordentlich leicht zu erklären. Die empirischen Kritiker werden darauf hinweisen,<br />

daß Byron einen reizbaren Charakter gehabt, daß er zur Hypochondrie geneigt habe; andere<br />

werden möglicherweise noch hinzufügen, daß er an Verdauungsstörung litt, „ohne in der Einfalt<br />

ihres Herzens auf den Gedanken zu kommen, daß ihre unabänderlich simple gastrische<br />

Anschauungsweise es ihnen unmöglich macht, einzusehen, daß solch kleine Ursachen nicht<br />

solche Erscheinungen wie die Poesie Byrons zur Folge haben können“. In Wirklichkeit ist ein<br />

großer Dichter nur deshalb groß, weil er das Organ und der Repräsentant seiner Zeit, seiner<br />

Gesellschaft und folglich auch der Menschheit ist. „Um das Problem der düsteren Poesie eines<br />

solchen unermeßlich-kolossalen Dichters wie Byron zu lösen, muß man zuerst das Rätsel<br />

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