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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

verständlich. Wir wissen bereits aus dem vorangehenden Artikel, daß er damals nicht für den<br />

Dialektiker Hegel eingenommen war, sondern für Hegel als den Verkünder der absoluten<br />

Wahrheit. Dieser im höchsten Grade wichtige Umstand drückte seiner ganzen damaligen literarischen<br />

Tätigkeit seinen Stempel auf. In der Rezension der „Kurzen Geschichte Frankreichs“<br />

von Michelet griff er Lerminier leidenschaftlich an, weil der „erklärt hatte, daß die<br />

Franzosen wie jedes andere Volk ihre eigene Philosophie haben müßten“. Dieser Gedanke<br />

erscheint ihm als schrecklicher Irrtum. „Nach seiner (Lerminiers) Theorie gibt es soviel Sinne<br />

wie Köpfe“, sagt er, „und alle diese Sinne sind verschiedenfarbige Brillen, durch die die Welt<br />

und die Wahrheit in verschiedenen Farben erscheinen; eine absolute Wahrheit gibt es nicht,<br />

sondern alle Wahrheiten sind relativ, wenn sie auch zu nichts in Relation stehen.“ Die Wahrheit<br />

ist einmalig, die Wahrheit ist absolut – das ist der Gesichtspunkt, von dem aus Belinski<br />

jetzt die Literatur betrachtet. „Die Aufgabe der wahren Kritik ist es“, sagt er in seiner Besprechung<br />

der „Skizzen der russischen Literatur“ von N. Polewoi, „in den Gedanken des Dichters<br />

das Allgemeine und nicht das Besondere, das Menschliche und nicht das Persönliche, das<br />

Ewige und nicht das vorübergehend Zeitliche, das Notwendige und nicht das Zufällige zu<br />

entdecken und auf Grund des Allgemeinen, d. h. der Idee, den Wert, die Vorzüge, die Stellung<br />

und die Bedeutung des Dichters zu bestimmen.“ Also hat die wahre Kritik mit dem<br />

„Zeitlichen“ nichts zu tun. Indem sich die Kritik vom „Zeitlichen“ abwendet, wendet sie sich<br />

von allem Historischen ab.<br />

Vom Standpunkt der „absoluten Wahrheit“ <strong>erschien</strong> selbst die Geschichte, entgegen dem<br />

wahren Sinn des absoluten Idealismus, mitunter als eine einfache Verflechtung sinnloser Zufälligkeiten.<br />

Die französische romantische Schule erscheint Belinski als eine „völlig zufällige“,<br />

will-[404]kürliche und daher gänzlich bedeutungslose Erscheinung. Ebenso hat die ganze<br />

Geschichte der französischen Literatur überhaupt in seinen Augen keinen besonderen<br />

Sinn. „Die vier Hauptmomente in der Geschichte der französischen Kunst und Literatur“‚<br />

sagt er, „waren: das Jahrhundert der Verse von Ronsard und der sentimental-allegorischen<br />

Romane von Mademoiselle Scudéry, hierauf das glanzvolle Jahrhundert Ludwigs XIV., ferner<br />

das 18. Jahrhundert und danach das Jahrhundert der Idealität und Unbändigkeit (so nennt<br />

er das Jahrhundert der Romantik). Ja, und? Trotz des äußeren Unterschiedes dieser vier Perioden<br />

der Literatur sind sie durch eine innere Einheit eng miteinander verbunden, sind sie<br />

ausgezeichnet durch die Gemeinsamkeit der Grundidee, die man so definieren kann: Schwülstigkeit<br />

und Süßlichkeit in der idealistischen Haltung und Aufrichtigkeit im Unglauben als<br />

Ausdruck des letzten Vernunftgrundes, der das eigentliche Wesen der Franzosen ausmacht<br />

und dessen sie sich so überschwenglich rühmen und wofür sie den Ausdruck bon sens [gesunder<br />

Menschenverstand] geprägt haben.“ Eine andere Idee, außer dieser Idee der Süßlichkeit<br />

in der idealen Haltung und der Aufrichtigkeit im Unglauben, sieht Belinski in der Geschichte<br />

der französischen Literatur nicht. Hegel lag eine solche Ansicht von der französischen<br />

Literatur durchaus fern. Er sympathisierte sehr mit der gesellschaftlichen Bewegung im<br />

Frankreich des vergangenen Jahrhunderts. „Das war ein prachtvollen Sonnenaufgang“, sagte<br />

er. „Alle denkenden Wesen begrüßten freudig das Heraufkommen einer neuen Epoche. Eine<br />

feierliche Stimmung beherrschte diese Zeit, und die ganze Welt war durchdrungen von dem<br />

Enthusiasmus des Geistes, als ob zum ersten Male ihre Versöhnung mit dem Göttlichen sich<br />

vollzogen habe.“ Vergleicht damit folgende Äußerung Belinskis über die literarische Tätigkeit<br />

Voltaires: „Voltaire in seiner satanischen Kraft, unter dem Banner des sieghaften Menschenverstandes,<br />

rebellierte gegen die ewige Vernunft voll bitteren Grolls über seine Ohnmacht,<br />

mit dem Verstande zu begreifen, was nur den Vernunft faßbar ist, die zugleich Liebe,<br />

Güte und Offenbarung ist.“ Welch kolossaler Unterschied! Im Hinblick darauf kann man mit<br />

Fug und Recht annehmen, Belinski habe Hegel überhaupt nicht verstanden. Aber der Leser<br />

weiß bereits, daß der Dialektiker Hegel ganz und gar nicht dem Hegel als Verkünder der absoluten<br />

Wahrheit glich. Die mit der französischen gesellschaftlichen Bewegung sympathisie-<br />

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