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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 18.07.2013<br />

Vielen von uns ist wohl die Theorie des sogenannten Animismus bekannt. Der Mensch auf primitiver<br />

Entwicklungsstufe, so sag[en] die heut[igen] Anthropologen, zum Beispiel der englische<br />

Anthropologe Tylor, bevölkert die ihn umgebende Natur mit Geistern. Alles, wovon er die<br />

Ursache nicht kennt, erklärt er mit dem Wirken von Geistern. Weshalb? Sehr einfach, er erklärt<br />

sich die Sache analog mit sich selbst. Die ganze Geschichte der Wissenschaft in ihrem Kampf<br />

mit der Religion ist eine Geschichte des Kampfes der mechanistischen mit der anthropomorphischen<br />

Erklärung. Das ist unbestreitbar. Aber welche Beziehung hat das zu der uns beschäftigenden<br />

Frage? Folgende. Der primitive Mensch erklärt die für ihn unverständlichen Erscheinungen<br />

der Natur mit dem Wirken von Geistern, aber – wohlgemerkt, meine Herren! – ihm ist<br />

der Gedanke völlig fremd, daß ein bestimmter Geist oder bestimmte Geister eine bestimmte<br />

Erscheinung zu dem Zwecke hervorrufen kann oder können, den Menschen für seine gesellschaftlichen<br />

Handlungen zu belohnen oder zu bestrafen. Der Tod. Ein Geist kann töten. Aber er<br />

tötet durchaus nicht, um den Menschen für diese oder jene seiner gesellschaftlichen Handlungen<br />

– sagen wir für einen Mord, für den Verrat am Stamm, für Unehrerbietigkeit gegenüber<br />

den Elt[ern] oder für irgend etwas dergleichen – zu bestrafen. Nein, solche Handlungen bestraft<br />

die Gesellschaft, nicht aber der Geist, nicht die Geister. Folglich hat die Religion – wenn man<br />

diese Vorstellungen Rel[igion] <strong>nennen</strong> kann – keinen Einfluß auf das gesellschaftliche Verhalten<br />

des ges[ellschaftlichen] Menschen. Die primit[ive] Religion ist nicht, wie man bei uns sagt,<br />

ein Faktor des Fortschritts. Erst später wird sie es. Und daraus folgt, daß nicht sie die<br />

ges[ellschaftlichen] Beziehungen der Menschen bestimmt. Diese Beziehungen mußten aus irgendeiner<br />

anderen Ursache entstehen, und dann werden sie in einem höheren Stadium von ihr<br />

geheiligt. Also spiegeln die religiösen Vorstellungen als Gebot selbst die gegebenen Beziehungen<br />

wider. Beispiel: die Religion der Brahmanen mit ihrer Heiligung der Kasten. Was hat vor<br />

dem anderen existiert? Die Religion der Brahmanen vor den Kasten, oder umgekehrt? Nach<br />

unserer Ansicht ist das Umgekehrte der Fall; [354] woher kamen aber in diesem Fall die gesellschaftlichen<br />

Beziehungen? Nehmen wir an, daß sie das Ergebnis der gesellschaftlichen Begriffe<br />

waren, und wir wollen sehen, ob diese Vorstellung: eben diese ges[ellschaftliche] Ordnung<br />

Indiens mit ihren Kasten, der Kritik standhält. Die Menschen dachten, diese Ordnung sei besser<br />

als alle anderen, und deshalb schufen sie sie. Woher hatten sie aber die Vorstellung von einer<br />

auf Kasten gegründeten Gesellschaftsordnung? Woher hatten sie die Vorstellung von anderen<br />

gesellschaftl[ichen] Ordnungen? Wüßten wir nicht, daß es eine solche Ordnung gegeben habe,<br />

würden wir sie uns wahrscheinlich gar nicht ausdenken können. Die Anschauungen der Menschen<br />

werden geschaffen auf der Grundlage der Erscheinungen, die ges[ellschaftlichen] Anschauungen<br />

– auf der Grundlage der ges[ellschaftlichen] Erscheinungen. Freilich kann es bei<br />

den Menschen ein Streben nach einer solchen Ordnung geben, die noch nicht da war: Liberté,<br />

Egalité, Fraternité [Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit]. Aber auch dieses Streben wird durch<br />

die gegebenen Beziehungen als deren Verneinung erzeugt, das heißt, es ist trotzdem durch sie<br />

gegeben, durch sie bestimmt.<br />

Die Worte von Marx: nicht das Bewußtsein der Menschen bestimmt ihr Sein, sondern ihr Sein<br />

bestimmt ihr Bewußtsein. Locke: es gibt keine angeborenen Ideen. Richtigstellung: keine<br />

Ideen, die sich aus sich selbst heraus entwickeln.<br />

Nachdem wir dies festgestellt haben, gehen wir weiter. Woher nun kam das „Sein“? D. h.,<br />

wodurch wurden seine Formen bestimmt?<br />

Nehmen wir an, hier habe eine politische Kraft, sagen wir: die Eroberung, eine Rolle gespielt.<br />

Die alte Ordnung in Frankreich war auf Eroberung gegründet. Nun, wird damit irgend<br />

etwas erklärt? Die Resultate der Eroberung sind andere, 1. je nach den ges[ellschaftlichen]<br />

Verhältnissen des Eroberervolkes; 2. je nach den ges[ellschaftlichen] Verhältnissen des eroberten<br />

Volkes. Beispiel: das von den Römern eroberte Gallien und das von den Franken<br />

G. W. Plechanow: Kunst und Literatur, Dietz Verlag Berlin 1955 – 17

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