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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 16.07.2013<br />

schaftlichen Leben abzuwenden, wenn darin Stillstand und Plattheit herrscht. Wenn aber nicht? Dann ist es,<br />

umgekehrt, für den Künstler von Vorteil, wenn er sich dem Leben zuwendet, sich ihm anschließt.<br />

Man sagt: „Der Zweck der Kunst ist das Schöne.“ Aber das ist überhaupt nicht richtig. Nehmen wir den „Morgen“<br />

von Michelangelo. Es ist eine wunderbare Statue. Aber es ist klar, daß nicht das Schöne der Zweck des<br />

Künstlers war. Man kann diese Frau, ebenso wie die „Nacht“, eigentlich nicht als Schönheit bezeichnen.<br />

Weshalb aber macht sie auf alle den Eindruck eines großen Kunstwerkes? Weil sie so schön die Idee des grenzenlosen<br />

Schmerzes zum Ausdruck bringt. Das ist aber kein persönlicher Schmerz. Dilettanten reden von den<br />

Madonnenbildern Raffaels und glauben, daß sie nur zum Schönen eine Beziehung haben. Das ist wiederum<br />

nicht richtig. Wesen der Geschichte der italien[ischen] Kunst von Cimabue (Ende des 13. Jahrh.) bis Raffael.<br />

Und beachten Sie, daß die italienische Kunst groß geworden ist auf der Einheit der Einstellung zwischen der<br />

Masse und den Künstlern. Die Geschichte der Madonna von Cimabue in der Kirche Santa Maria Novella. 1* Die<br />

Zeit Raffaels ist bereits die Zeit des Bruchs. Aber nach Raffael, nach Leonardo, Michelangelo – Verfall.<br />

In der Zeit des Bruchs kann sich die Kunst vor der Plattheit bewahren. Aber sie wird bald eine blutleere Kunst.<br />

Das haben viele Romantiker instinktiv empfunden, als sie sich der revolutionären Bewegung des Jahres 1848<br />

anschlossen. Baudelaire. Außerdem ist noch folgendes zu bedenken: Für die Kunst ist es von Vorteil, wenn sie<br />

sich von der Plattheit abwendet. Wenn sie sich aber von den großen historischen Bewegungen abwendet, dann<br />

wird sie selbst vom Element der Plattheit durchdrungen. Beispiel – die Betrachtungen Gautiers. Gegen wen ist<br />

er aufgetreten? Gegen [333] die Sozialisten. Die Romantiker haßten den Bourgeois, aber sie standen auf dem<br />

Standpunkt der bürgerlichen Ordnung. Und je weiter, desto mehr. Bei den Parnassiens ist das noch auffälliger<br />

als bei den Romantikern. Baudelaire. Er ist kein Freund der Bourgeoisie. Da er aber mit der Arbeiterklasse nicht<br />

sympathisieren kann, wird er von aristokratischen Neigungen durchdrungen. Seine Äußerungen über die Aristokratie:<br />

siehe Auszug Nr. 2. Baudelaire ist reaktionär eingestellt. Folglich hat seine Kunst, sein künstlerisches<br />

Stutzertum, ebenfalls ihre Idee, aber nur eine aristokratische. Renan. Auszug Nr. 3. Flaubert. Er ist gegen das<br />

allgemeine Wahlrecht. Sein Brief an George Sand. Auszug Nr. 5.<br />

Wie Sie sehen, haben auch sie eine Tendenz, nur ist es bei ihnen eine konservative oder reaktionäre Tendenz. Das<br />

kann man auch heute noch beobachten. Hamsun, „An des Reiches Pforten“. François de Curel. Der Kapitalist ist<br />

der Löwe, sagt Jean de Sancy, die Arbeiter sind die Schakale. Äußerung Landsbergs über die jetzige Kunst (Nietzsche,<br />

Ibsen, Böcklin): Sie ist herrisch, aristokratisch, voll Rasse, Kampfeslust und Leidenschaft (9). 2<br />

Aber ein überzeugter Reaktionär sein heißt die gesellschaftliche Idee trotzdem lieben. Es ist schwer, sie zu lieben,<br />

wenn man sich vom ges[ellschaftlichen] Leben abgewendet hat. Extremer Individualismus. Diesen extremen<br />

Individualismus sehen wir zum Beispiel bei Maurice Barrès: „Le culte du Moi.“ Auszug Nr. 6. Siehe dessen<br />

Broschüre. Wohin führt ein solcher extremer Individualismus? Zum Verfall. Hippius. Vorurteil: wenn etwas<br />

nur zeitgemäß ist, dann ist es schon gut. Cela dépend. [Das kommt drauf an.] In der Gesellschaft gibt es immer<br />

mehrere Klassen. Die zeitgenössische Kunst ist oft der Ausdruck der im Niedergang befindlichen Klasse. Bei<br />

Sergejew-Zenski sagt der Leutnant Babajew: „die Bleichsucht hat die Kunst erdacht“ (Erzählungen, II, S. 128.).<br />

Daher – „la crise de la laideur“ [die Krise des Häßlichen]. Landsberg – in jedem Kunstwerk ist die Hauptsache<br />

das irrationelle, das Unbegreifliche, 8.<br />

kann der Künstler nicht schaffen, ohne irgendeine Beziehung zu den Menschen zu haben. Nehmen wir den ‚Othello‘<br />

von Shakespeare. Die Idee der Eifersucht. Aber die Eifersucht ist doch ein allgemeinmenschliches Empfinden.<br />

„Der steinerne Gast“ von Puschkin. Die Idee des Geizes.<br />

Die Worte Turgenews: „Die Venus von Milo ist unbezweifelbarer als die Prinzipien des Jahres 1789.“ Selbstverständlich,<br />

aber warum? Ist dem so, dann sind die Theoretiker der Kunst für die Kunst im Irrtum, wenn sie annehmen,<br />

die Idee habe keine Bedeutung.<br />

Dies berücksichtigend, wollen wir umgekehrt annehmen, daß Puschkin zu der Einstellung zurückgekehrt sei, da er<br />

für das Ideelle schwärmte...“ Red. L. N.<br />

1* Offenbar meint hier G. W. Plechanow die Schilderung des bekannten Historikers der italienischen Kunst, Vasari,<br />

über die Begeisterung, welche dieses Bild ausgelöst hat. Wie Vasari sagt, trug das Volk in feierlichem Zug, unter<br />

Trompetenklang, die Madonna aus dem Hause Cimabues in die Kirche, wo sie ihren Platz finden sollte. Diese<br />

Stelle hat G. W. Plechanow in dem in seiner Bibliothek befindlichen französischen Exemplar des Buches von<br />

Vasari, „Les vies des plus excellents peintres, sculpteurs et architectes“, Paris, A. Foulard, p. 127, angestrichen.<br />

2 Nach Angabe der Redaktion des „Literarischen Nachlasses“ (III. Ausg., S. 228.) sind diese Worte Landsbergs<br />

Broschüre „Los von Hauptmann!“ (S. 9.) entnommen. Wir bringen den ganzen Absatz, der am Rande mit einer<br />

doppelten Linie, mit Blaustift und mit Rotstift, versehen ist: „Nietzsche, Ibsen, Böcklin haben diese moderne<br />

künstlerische Weltanschauung geschaffen, wie Darwin und die Seinen die naturwissenschaftliche. Sie ist<br />

herrisch, aristokratisch, voll Rasse, Kampfeslust und Leidenschaft. Sie ist zugleich zart und innig, liebeatmend<br />

und schönheitsdurstig.“ Red. L. N.<br />

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