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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 16.07.2013<br />

ze unter dem Baum, den aufflatternden Vogel, das Pferd an der Tränke, den sonnverbrannten<br />

Betteljungen hinaufhebt bis zur Erhabenheit der Madonnen und Halbgötter. Von der wilden,<br />

schrecklichen Höllenphantasie und dem Jüngsten Gericht bis zur flämischen Schenke mit der<br />

Rückenansicht eines Bauern, vom Faust bis Faublas, vom Requiem bis zum Kamarinski-<br />

Lied, alles wird von der Kunst erfaßt ... Aber auch die Kunst hat ihre Grenze. Es gibt einen<br />

Stein des Anstoßes, dem man weder mit dem Violinbogen noch mit dem Pinsel noch mit dem<br />

Stichel beikommen kann: die Kunst macht sich, um ihr Unvermögen zu verbergen, darüber<br />

lustig, sie schafft Zerrbilder. Dieser Stein des Anstoßes ist das Kleinbürgertum...“<br />

Weiterhin erläutert Herzen, warum das Kleinbürgertum für die Kunst ein Stein des Anstoßes ist.<br />

„Es liegt daran, daß der ganze Charakter des Kleinbürgertums mit allem, was gut und was<br />

schlecht daran ist, der Kunst widerstrebt, zu kleinlich ist; die Kunst verwelkt darin wie ein grünes<br />

Blatt im Chlor, und nur die allem Menschlichen eigenen Leidenschaften, wenn sie ab und zu<br />

hineinbrechen ins kleinbürgerliche Leben, oder besser, wenn sie heraus-[327]brechen aus ihrer<br />

Atmosphäre der Wohlanständigkeit, können es zu künstlerischer Bedeutung emporheben.“ 1<br />

Es versteht sich von selbst, daß es sich hier bei Herzen um das Kleinbürgertum handelt, das<br />

zur Herrschaft gelangt und dann darin zur Ruhe gekommen ist. Solange die westeuropäische<br />

Bourgeoisie eine aufsteigende Klasse war, solange sie um ihre Befreiung kämpfte, widerstrebte<br />

ihr Charakter nicht der Kunst und war nicht kleinlich, und damals drückte die Kunst<br />

den unaustilgbaren Stempel ihres Geistes auch den prosaischsten Seiten des bürgerlichen<br />

Lebens auf, wie wir es an den Bildern der holländischen und flämischen Schule sehen und<br />

auch an einigen Gemälden der Brüder LeNain oder Chardins. Als aber die Bourgeoisie die<br />

herrschende Stellung in der Gesellschaft eingenommen und als die Prosa ihres Lebens aufgehört<br />

hatte, sich an dem Feuer der großen politischen Leidenschaft zu erwärmen, blieb der<br />

Kunst nur eines übrig: die Idealisierung der Verneinung dieser Prosa. Die romantische Kunst<br />

war denn auch die Idealisierung einer solchen Vern[einung]...<br />

*<br />

Die Welt der russischen Adligen, die als Lakaien dienten, unterschied sich sehr wesentlich von<br />

der französischen kleinbürgerlichen Welt. Und wenn es der Künstler in jeder dieser beiden<br />

Welten gleich schlecht hatte, wenn der Künstler in jeder von ihnen infolge der unvermeidlichen<br />

psychologischen Reaktion zur Kunst für die Kunst hinstreben mußte, so mußte dieses Hinstreben<br />

doch in jeder von ihnen eine Form eigener Art annehmen. Und so war es auch.<br />

In Puschkins „Der Dichter und die Menge“ lehnt es der Dichter entschieden ab, seine Muse<br />

für den Dienst an der Verbesserung der gesellschaftlichen Sitten herzugeben. Auch Théophile<br />

Gautier will von einem solchen Dienst nichts wissen. Er fordert nicht das Nützliche, sondern<br />

das Überflüssige. Wenn sich jedoch Gautier gegen die nützliche Kunst ausspricht, vernehmen<br />

wir bei ihm Töne, wie sie bei Puschkin nicht zu finden sind...<br />

*<br />

... findet ihre Bestätigung am Beispiel der Romantiker und ihrer Nachfolger auf dem Gebiete<br />

der Ideologie der Kunst. Je weiter die gesellschaftliche Entwicklung Frankreichs voranschreitet,<br />

desto vernehmlicher klingt [328] in ihrer ästhetischen Theorie jene konservative Note an,<br />

welche diese Theorie aus einem Protest gegen die kleinbürgerliche Plattheit immer mehr in<br />

einen Protest gegen die Freiheitsbestrebungen des Proletariats verwandelt. Indes, wir wollen<br />

in unserer Stellungnahme nicht vorauseilen; wir werden uns die Tatsachen etwas genauer<br />

ansehen.<br />

1 A. I. Herzen, „Zuletzt und zuerst“; Ges. Ausg. der Schriften von A. I. Herzen unter der Redaktion von M. K.<br />

Lemke, Bd. XV, S. 246/247. Die Red.<br />

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