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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 16.07.2013<br />

In einem Brief an P. A. Wjasemski (1825) sagt Puschkin: „Die Menge liest gierig Bekenntnisse,<br />

Memoiren etc., weil sie sich in ihrer Gemeinheit über die Erniedrigung des Hohen und<br />

über die Schwächen des Starken freut. Bei der Entdeckung jeder Gemeinheit gerät sie in Entzücken:<br />

er ist genauso klein wie wir, genauso gemein wie wir! Ihr lügt, ihr gemeinen Seelen,<br />

er ist nicht klein und gemein wie ihr – sondern anders!“<br />

„Die Menge“, der Puschkin hier ein so wenig schmeichelhaftes Zeugnis aussteilt, ist der gleiche<br />

„Pöbel“, zu dem sein Dichter verächtlich sagt:<br />

Für eure Dummheit, eure Tücke<br />

habt ihr bis heute nicht entbehrt<br />

Gefängnis, Knute, Strang und Schwert –<br />

Und das ist schon ein großer Segen! (A)<br />

In einer Gesellschaft, in der sich bei den Besten eine solche Ansicht von der „Menge“ herausbildet,<br />

kann sich der Dichter zum „Pöbel“ nicht [324] anders verhalten, als er sich bei<br />

Puschkin verhält. Die Frage kann nur sein, ob Puschkin berechtigt war, auf die ihn umgebende<br />

Menge mit Verachtung herabzublicken. Und wir wissen bereits, daß er ein Recht dazu<br />

hatte. Ja, mehr noch. Wir können behaupten, daß seine verächtliche Meinung von der „Menge“<br />

ein Beweis seines eigenen sittlichen Wertes ist.<br />

Es steht außer allem Zweifel, daß sich in der damaligen russischen Gesellschaft bereits Elemente<br />

bildeten, die keineswegs Verachtung verdienten. Damals wuchsen gerade Belinski,<br />

Herzen, Granowski u. a. heran. Aber, erstens: sie wuchsen eben erst heran; zweitens: ihre<br />

Zahl war recht gering, und deshalb, drittens, hätten sie selbst leicht der verachteten Menge<br />

gegenübergestellt werden können. Schließlich wurde Puschkin von der durch diese Elemente<br />

erzeugten geistigen Strömung nur sehr wenig berührt, und sie konnte durch ihren positiven<br />

Einfluß durchaus nicht den unvergleichlich stärkeren negativen Einfluß der in der ihn umgebenden<br />

Gesellschaft herrschenden Dummheit und Plattheit verdrängen.<br />

Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich noch folgendes hinzufügen: der von mir zitierte<br />

Brief an Wjasemski ist im September des Jahres 1825, d. h. vor dem 14. Dezember, geschrieben.<br />

Natürlich muß man daraus entnehmen, daß die darin sich zeigende Einstellung zur Menge<br />

nicht auf das Konto der Reaktion gesetzt werden kann, die von der Gesellschaft nach dem<br />

mißlungenen Versuch der Dekabristen Besitz ergriff. Die Sache ist die, daß die Reaktion<br />

durch diesen mißglückten Versuch nur verstärkt, nicht aber hervorgerufen wurde: es ist allen<br />

bekannt, welch finsteren Charakter die letzten Jahre der Regierung Alexanders I. trugen. Indes,<br />

in diesen Jahren kam es zur Dekabristenbewegung, die in den fortschrittlichen Menschen<br />

Rußlands die Hoffnung auf eine bessere Zukunft erweckte, und soweit Puschkin den Dekabristen<br />

nahestand, neigte er durchaus nicht zur Kunst für die Kunst. Im Gegenteil, damals<br />

pries er im Liede die „Freiheit“ und sogar den „Dolch“. 1 Als aber der Einfluß der Dekabristen<br />

auf ihn nachließ, schwand ihm jegliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und er schrieb<br />

damals [1823]:<br />

„Siehe, es ging ein Säemann aus, zu säen.“<br />

Früh war ich einsam ausgegangen,<br />

Eh noch verblich der Sterne Schein,<br />

Mit reinen Händen, unbefangen<br />

Die Saat der Freiheit auszustreun.<br />

Doch nirgends Spuren jungen Lebens!<br />

Stelle des Vortrages bringen. Hier veröffentlichen wir den ganzen zur ursprünglichen Fassung gehörenden Text.<br />

Red. L. N.<br />

1 [Die Ode „Freiheit“ ist 1819, das Gedicht „Der Dolch“ 1821 entstanden.]<br />

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