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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 16.07.2013<br />

zu dienen habe oder nicht, ist seiner theoretischen Natur nach ganz nahe verwandt mit dem<br />

noch vor kurzem die russische Intelligenz bewegenden und [auch] jetzt noch nicht vollständig<br />

abgeschlossenen Streit darüber, ob Rußland den Weg des Kapitalismus beschreiten solle oder<br />

nicht. In diesem Streit hatten nur die recht, welche behaupteten, Fragen dieser Art lassen sich<br />

vom Standpunkt der „Pflicht“ nicht lösen. In der Tat, dieses oder jenes Land beschreitet den<br />

Weg des Kapitalismus nicht, weil es dadurch irgendeine „Pflicht“ erfüllt, sondern weil in ihm<br />

unter gegebenen Bedingungen kapitalistische Verhältnisse entstehen müssen. Genauso halten<br />

sich die Künstler eines bestimmten Landes und einer bestimmten Zeit vom „Weltgewühl“<br />

nicht deshalb fern oder suchen es gierig, weil sie so oder anders handeln „müssen“, sondern<br />

weil unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen diese oder jene Einstellung unvermeidlich<br />

von ihnen Besitz ergreift. Somit läßt eine wissenschaftlich richtige Beziehung<br />

zum Gegenstand hier nur die eine Frage zu: die Frage, welche gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

die Haltung der Kunstschaffenden hervorrufen. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern<br />

sich im Prozeß der historischen Entwicklung jedes Landes. So [321] ändert sich auch die<br />

Haltung der Künstler. Und im Hinblick darauf ist es durchaus nicht verwunderlich, daß sie in<br />

der einen Epoche das „Weltgewühl“ suchen, in einer anderen Epoche es aber meiden: in der<br />

einen begeistern sie sich für die Theorie der Kunst für die Kunst, in der anderen glauben sie –<br />

wie zum Beispiel unsere jetzt so oft und so scharf angegriffenen „Peredwishniki-Maler“ –‚<br />

die höchste Aufgabe der Kunst bestehe im Dienst am gesellschaftlichen Leben. In jeder dieser<br />

Epochen haben sie recht. Es kommt ganz auf die Umstände der Zeit und des Ortes an,<br />

aber gerade, weil diese Umstände nicht immer die gleichen sind, wollen wir, nachdem wir<br />

gesagt haben, daß sowohl die Künstler recht haben, die das „Weltgewühl“ meiden, wie auch<br />

die, die es suchen, noch hinzufügen: „aber die einen sowohl wie die andern haben recht auf<br />

ihre besondere Art“. Dieser Zusatz ist für [uns] von nicht geringer Bedeutung. Er nimmt den<br />

Gegnern unserer Anschauung die logische Möglichkeit, uns den Vorwurf zu machen, unsere<br />

Einstellung zu den verschiedensten Richtungen in der Kunst sei ein und dieselbe. Wenn wir<br />

sagen, die Künstler der entgegengesetztesten Richtungen haben auf ihre besondere Art in<br />

gleicher Weise recht, erklären wir keineswegs, daß uns persönlich jede besondere Art gleichermaßen<br />

angenehm sei. Wir lehnen es nur ab, unsere ästhetische Geschmacksrichtung für die<br />

Künstler aller Zeiten und Völker als verpflichtend zu erklären. Das ist uns schon kraft unserer<br />

allgemeinen theoretischen Anschauung über den Entwicklungsgang der Ideologien unmöglich.<br />

Wir wissen, diese Entwicklung wird durchaus nicht durch unsere Betrachtungen darüber<br />

bestimmt, nach welcher Richtung sie eigentlich vor sich gehen „müßte“. Zugleich haben wir<br />

jedoch keinerlei Veranlassung, unsere ästhetischen Sympathien zu verheimlichen. Bei Gelegenheit<br />

sprechen wir [sie] restlos aus. Insofern wir aber der Kunstrichtung zum Siege verhelfen<br />

wollen, die unsere Sympathie genießt, beschränken wir uns nicht mehr auf Erwägungen<br />

über das Thema, wohin die Künstler streben „müssen“: wir wollen dafür sorgen, daß die gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse gegeben sind, unter denen sich die uns sympathische Einstellung<br />

auch der Künstler bemächtigen wird. Wie Sie sehen, sieht das gar nicht nach einem passiven<br />

Verhalten zum Gegenstande aus.<br />

Alles hängt also von den Umständen der Zeit und des Ortes ab. Daraus erklärt sich auch die<br />

Tatsache, daß es kein kultiviertes Land gibt, in dem die Theorie der Kunst für die Kunst nicht<br />

abwechselnd bald zur einzig richtigen, bald für gänzlich unzutreffend erklärt würde. So waren<br />

zum Beispiel die Kunstinteressenten in Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. und zu<br />

Beginn des 19. Jahrhunderts überzeugt, daß sich die Kunst gesellschaftlich-erzieherische Ziele<br />

zu stecken habe: die Revolutionäre forderten, daß sie „der Tugend und der Freiheit“ diene;<br />

die Reaktionäre [322] wollten sie in den Dienst der monarchischen Ideen und des religiösen<br />

Glaubens stellen. Dann taucht die Bestrebung auf, die Kunst „uneigennützig“ (désintéressé)<br />

zu machen. Ein Teil der Romantiker und die sogenannten Parnassiens setzen sich leidenschaftlich<br />

für die Theorie der Kunst für die Kunst ein. Théophile Gautier glaubte, die Dicht-<br />

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