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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 16.07.2013<br />

[319]<br />

Die Kunst und das Leben *, 1<br />

Bruchstücke aus der ursprünglichen Fassung<br />

Die Frage nach der Beziehung der Kunst zum Leben nimmt in der Reihe der Fragen, mit denen<br />

sich die Theorie der Kunst beschäftigt, einen der vordersten Plätze ein. Sie spielt schon<br />

lange eine große Rolle in der Geschichte der Entwicklung unserer literarischen Begriffe. Um<br />

nicht zu weit auszuholen, will ich auf Puschkin verweisen, der in seinen Gedichten „Der<br />

Dichter und die Menge“ (1828) und „Einem Dichter“ (1830) eine ganz bestimmte Ansicht<br />

über die Beziehung der Kunst zum Leben zum Ausdruck gebracht hat. Schewyrew behauptete,<br />

das erste dieser beiden Gedichte sei unter dem Einfluß der ästhetischen Theorie Schellings<br />

geschrieben worden, die volle Freiheit des künstlerischen Schaffens predigte und die sich<br />

Puschkin im Zirkel Wenewitinows angeeignet habe. Später hat man diese Behauptung Schewyrews<br />

angezweifelt. Man sagte, das erwähnte Gedicht von Puschkin sei nicht sosehr unter<br />

dem Einfluß Schellings als vielmehr unter dem Einfluß von André Chénier geschrieben worden.<br />

Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, wer recht hat: Schewyrew oder die Forscher,<br />

die seine Ansicht angefochten haben. Für uns genügt es, daß das Gedicht „Der Dichter und<br />

die Menge“ keinerlei Anteilnahme am gesellschaftlichen Leben bei Puschkin verrät. Der<br />

Dichter sagt bei ihm zum Pöbel:<br />

Hinweg! Nie dient des Pöbels Zwecken<br />

Des Dichters friedereiches Lied!<br />

Nie wird der Leier Ton euch wecken! (A) 2<br />

... Theorie. Er wollte, daß sich der Dichter nicht von den Aufregungen des Lebens fernhalte,<br />

daß er dem gesellschaftlichen Leben diene. Und diese Ansicht Pissarews über die Aufgabe<br />

der Dichtkunst und der Kunst überhaupt teilten bei uns die fortschrittlichsten Männer der<br />

sechziger und [320] siebziger Jahre. In den achtziger Jahren kommt es zu einer Reaktion dagegen.<br />

In unserer Literatur vollzieht sich eine mehr oder weniger vollständige, mehr oder<br />

weniger entschiedene Rückkehr zur Theorie der Kunst für die Kunst. Gegenwärtig kann diese<br />

Theorie als die herrschende gelten. Jetzt zucken die Menschen, die einen entwickelten ästhetischen<br />

Geschmack für sich in Anspruch nehmen, bei der Erinnerung an die ästhetischen<br />

Theorien der sechziger und siebziger Jahre verächtlich die Schulter. Es fragt sich, in welchem<br />

Maße diese Haltung begründet ist.<br />

Um die Antwort auf diese Frage zu finden, wird es besser sein, sie allgemeiner zu fassen, d.<br />

h. sich zu fragen, welche der beiden Theorien richtig ist: die behauptet, daß die Dichter nicht<br />

für das Weltgewühl geboren werden, oder die, nach der das gesellschaftliche Leben für die<br />

Dichter als stärkste und reichste Quelle der Inspiration zu dienen hat. Und diese Frage läßt<br />

sich vom Standpunkt der heutigen Gesellschaftswissenschaft nur in dem auf den ersten Blick<br />

seltsam erscheinenden Sinne lösen, daß sowohl die eine als auch die andere Theorie richtig<br />

ist. Wieso denn nun? Das verhält sich so.<br />

Sich fragen, ob der Dichter den Stoff zu seinen Ideen im gesellschaftlichen Leben suchen<br />

muß oder nicht, heißt die Kunst vom abstrakten, idealistischen Standpunkt aus betrachten.<br />

Diese Frage setzt die feste Überzeugung voraus, daß wir dem künstlerischen Schaffen diese<br />

oder jene Richtung vorschreiben können, daß wir es verpflichten können, sich diesen oder<br />

jenen Charakter anzueignen. Der Streit darüber, ob die Kunst dem gesellschaftlichen Leben<br />

* Anmerkungen zu: Die Kunst und das Leben (S. 319-333) am Ende des Kapitels.<br />

1 Titel und Untertitel stammen von G. W. Plechanow. Die Red.<br />

2 Im Folgenden ist im Text auf S. 3 und 4 eine Lücke. Die Red.<br />

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