erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

max.stirner.archiv.leipzig.de
from max.stirner.archiv.leipzig.de More from this publisher
18.09.2015 Views

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 15.07.2013 Wer hatte von der Selbstvervollkommnungsfähigkeit des Menschengeschlechts gespr[och]en? Die Sozialisten, und namentlich die Saint-Simonisten. Folglich müssen wir feststellen, daß Gautier, indem er die Anhänger der utilitaristischen Kunstauffassung widerlegt, nicht die Gesellschaft angreift, deren Plattheit die Neigung der Romantiker zur Kunst für die Kunst erzeugt hatte, sondern [die] Sozialisten, d. h. Menschen, die bestrebt waren, diese Gesellschaft, wenn auch mit friedlichen Mitteln, umzubilden. Wie tritt ihnen Gautier entgegen? [307] Mit dem Hinweis auf den Marschall Bassompierre, der einen ganzen Stiefel Wein austrinken konnte, und auf Milon von Kroton, w[elch]er einen ganzen Ochsen auf einen Sitz verzehrte, fragt er: Werden wir es je zu einer solchen Vervollkommnung bringen, daß wir diese erstaunl[ichen] Menschen übertreffen? Selbstverständlich haben die Saint-Simonisten nicht von einer solchen Vervollkommnung des Menschengeschlechts gespr[och]en: bei ihnen handelte es sich um die Vervollkommnung der gesellsch[aftlichen] Verhältnisse. Aber Gautier wollte sie nicht verstehen. Die Romantiker wandten sich gegen die Bourgeois, aber – wiederum wie die Parnassiens – sie standen selbst, mit wenigen Ausnahmen, auf dem Boden der bürgerlichen Ordnung. Sie hielten sich für große Revolutionäre; aber die Revolution, w[elch]e sie vollführten, war eine rein literarische. Auf dem Gebiete der ges[ellschaftlichen] Verhältnisse waren sie konservativ. Bei den Parnassiens tritt das noch deutlicher hervor als bei den Romantikern. Baudelaire haßte den Bourgeois. Unfähig jedoch, sich von einem dauernden Mitgefühl für die Proletarier durchdringen zu lassen, wird er von aristokrat[ischen] Neigungen angesteckt. Seine Äußerungen über die Aristokratie: Auszug Nr. 2. 1 Renan, Auszug Nr. 3. 2 Flaubert, Auszug Nr. 4 3 Flaubert, der große Künstler Flaubert, ist ebenfalls Reaktionär – wie Baudelaire. Barbey d’Aurevilly. In seinem Buche „Les poètes“ können Sie folgendes Urteil über Laurent Pichat finden. Siehe Auszug Nr. 5. 4 der man Verbesserungen anbringen kann, bei der man nur ein Räderwerk besser einsetzen und ein Gegengewicht passender anbringen muß, damit sie bequemer und leichter funktioniert.“ Red. L. N. 1 Wir bringen den Auszug mit der Überschrift: Nr. 2 (Baudelaire) „Chez un peuple sans aristocratie le culte du beau ne peut que se corrompre, s’amoindrir et disparaître... Il n’y a que trois tres respectables: le prêtre, le guerrier, le poète.“ [Unter einem Volk ohne Aristokratie kann die Verehrung der Schönen nur verderben, schrumpfen und verschwinden... Es gibt nur drei respektable Wesen: den Priester, den Krieger, den Dichter.“] Unter dem Auszug steht der Satz: „Baudelaire ist ein Reaktionär.“ Red. L. N. 2 Wir bringen den Auszug mit der Überschrift: Nr. 3 (Renan) „... in ‚De’la réforme intellectuelle‘ fordert er eine starke Regierung, ‚qui force de bons rustiques de faire notre part de travail pendant que nous spéculons‘“ [„die die guten Bauernburschen zwingt, unsere Arbeit mitzuverrichten, während wir grübeln.“]‚ Cassagne, 195. Red. L. N. 3 Wir bringen den Auszug mit der Überschrift: Nr. 4 (Flaubert, Brief an George Sand), Cassagne, 195 „Le premier remède serait d’en finir avec le suffrage universel, la honte de l’esprit humain ... le nombre domine l’esprit, l’instruction, la race et même l’argent, qui vaut mieux que le nombre.“ [„Das erste Heilmittel wäre, mit dem allgemeinen Wahlrecht Schluß zu machen, dieser Schande des menschlichen Geistes... die Zahl beherrscht den Geist, die Bildung, die Rasse und sogar das Geld, das mehr gilt als die Zahl.“ (Diese Stelle entnehmen wir dem im Text schon zitierten Buche „Gustave Flaubert, Briefe an George Sand“, Potsdam 1919, S. 130.] Red. L. N. 4 Wir bringen den Auszug mit der Überschrift: Barbey d’Aurevilly über Laurent Pichat 8

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 15.07.2013 [308] Und das ist bis heute noch so. Die heutige Kunst steht der Freih[eits]bewegung des Proletariats bestenfalls indifferent gegenüber. Aber meistens ist sie ihr feind. Das wird durch die jetzt bei den Ästheten sehr verbreitete Ansicht bewiesen, der Sozialismus sei der Ausdruck kleinbürgerlicher Tendenzen. Diese an sich grundfalsche Ansicht ist eine der verschiedenen Arten des geistigen Kampfes – des Kampfes mit geistigen Waffen – der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Beispiele. Hamsun mit seinem Drama „An des Reiches Pforten“. Der Held des Stückes, der junge Schriftsteller Iwar Kareno, bezeichnet sich als Menschen „mit Gedanken, die frei sind wie der Vogel“. Worüber schreibt nun dieser Mensch, der frei ist wie „der Vogel“? Über den Widerstand. Über den Haß. Gegen wen? Gegen das Proletariat. Nicht wahr, ein charaktervoller Held. Aber der Schriftsteller, der den Widerstand gegen die Arbeiterklasse predigt, ist ein Ideologe der Bourgeoisie. Sehen Sie mal, welche Wendung sich hier vollzogen hat: die Menschen wähnten, sie seien Feinde der Bourgeoisie, und in Wirklichkeit waren sie ihre geistigen Verteidiger. Und was für welche dazu! Es gibt jetzt schöngeistige Werke, die von durchaus nicht unbegabten Autoren stammen und ganze Abhandlungen zur Verteidigung des Kapitalismus enthalten, Abhandlungen, um w[elch]e sie selbst ein Bastiat beneiden würde. François de Curel. „Le repas du lion“. In der Tat, die Arbeiter sind die Antilope, und die Schakale sind die Ideologen – mit und ohne künstlerischen Sinn – der Bourgeoisie. Bourget mit seinem Stück „La barricade“. Sein Widerspruch. Was bedeutet all das? Nun, folgendes: Diese Leute waren zuerst Ankläger gegen die Bourgeois, und schließlich werden sie zu Apologeten des Kapitalismus. Zuerst haben sie sich gegen den Ideengehalt in der Kunst gewandt, haben sie laut verkündet, sie halten sich fern von dem erregten Treiben des Lebens und von den Kämpfen, und dann sind sie dahin gelangt, in ihre Werke eine Idee hineinzutragen, sich an den Kämpfen beteiligen zu wollen. Was für eine Idee? Eine konservative. An welchen Kämpfen? An den Kämpfen gegen das nach seiner Befreiung strebende Proletariat. Woher kam dieser Widerspruch? Sehr einfach. Es ist unmöglich, den Ideengehalt aus einem K[unst]werk zu verbannen. Das K[unst]werk bringt immer etwas zum Ausdruck, und was es zum Ausdruck bringt, ist eben seine Idee. Turgenew hat einmal zur Verteidigung der Theorie der Kunst für die Kunst gesagt: „Die Venus von Milo ist unbezweifelbarer als die Prinzipien des Jahres 1789.“ Das stimmt natürlich. Aber man darf doch fragen: für wen unbezweifelbarer? Für einen Hottentotten sind die Prinzipien des Jahres 1789 nicht eben etwas Unbezweifelbares: er hat [309] nicht die geringste Vorstellung von ihnen. Aber auch die Venus von Milo ist für ihn durchaus nichts Unbezweifelbares. Er hat seine eigenen Schönheitsbegriffe, er hat sein eigenes Schönheitsideal, dessen Darstellungen häufig in Lehrbüchern der Anthropologie unter der Bezeichnung „Hottentottische Venus“ anzutreffen sind. Die Venus von Milo ist nur „unbezweifelbar“ für die weiße Rasse. Für diese Rasse ist sie in der Tat „unbezweifelbarer“ als die Prinzipien des Jahres 1789. Aber weshalb? Nur deshalb, weil diese Prinzipien solche Beziehungen zum Ausdruck bringen, die nur einer bestimmten Phase in der Entwicklung der weißen Rasse entsprechen, während die Venus von Milo ein solches Ideal der äußeren Erscheinung des Menschen – und namentlich der Frau – zum Ausdruck bringt, das vielen Phasen dieser Entwicklung entspricht. Vielen, aber nicht allen. Die Christen hatten ein anderes Ideal der äußeren Erscheinung der Frau. Man kann es auf unseren Heiligenbildern mit den Darstellungen der Mutter Gottes und der großen Märtyrerinnen sehen. Für die Künstler, die diese Märtyrerinnen- und Muttergottes-Bilder gemalt haben, wäre die Venus „Wäre er willens gewesen, den Atheismus und die Demokratie, diese zwei Schandflecke (ces deux déshonneurs) seines Denkens zu zertreten... so wäre er vielleicht ein großer Dichter geworden, aber jetzt ist er nur ein Bruchstück eines großen Dichters.“ („Les poètes“, d. MDCCCXCIII, p. 260,) Red. L. N. 9

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 15.07.2013<br />

[308] Und das ist bis heute noch so. Die heutige Kunst steht der Freih[eits]bewegung des<br />

Proletariats bestenfalls indifferent gegenüber. Aber meistens ist sie ihr feind. Das wird durch<br />

die jetzt bei den Ästheten sehr verbreitete Ansicht bewiesen, der Sozialismus sei der Ausdruck<br />

kleinbürgerlicher Tendenzen.<br />

Diese an sich grundfalsche Ansicht ist eine der verschiedenen Arten des geistigen Kampfes –<br />

des Kampfes mit geistigen Waffen – der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Beispiele.<br />

Hamsun mit seinem Drama „An des Reiches Pforten“. Der Held des Stückes, der junge<br />

Schriftsteller Iwar Kareno, bezeichnet sich als Menschen „mit Gedanken, die frei sind wie der<br />

Vogel“. Worüber schreibt nun dieser Mensch, der frei ist wie „der Vogel“? Über den Widerstand.<br />

Über den Haß. Gegen wen? Gegen das Proletariat. Nicht wahr, ein charaktervoller<br />

Held. Aber der Schriftsteller, der den Widerstand gegen die Arbeiterklasse predigt, ist ein<br />

Ideologe der Bourgeoisie. Sehen Sie mal, welche Wendung sich hier vollzogen hat: die Menschen<br />

wähnten, sie seien Feinde der Bourgeoisie, und in Wirklichkeit waren sie ihre geistigen<br />

Verteidiger. Und was für welche dazu! Es gibt jetzt schöngeistige Werke, die von durchaus<br />

nicht unbegabten Autoren stammen und ganze Abhandlungen zur Verteidigung des Kapitalismus<br />

enthalten, Abhandlungen, um w[elch]e sie selbst ein Bastiat beneiden würde. François<br />

de Curel. „Le repas du lion“. In der Tat, die Arbeiter sind die Antilope, und die Schakale sind<br />

die Ideologen – mit und ohne künstlerischen Sinn – der Bourgeoisie. Bourget mit seinem<br />

Stück „La barricade“. Sein Widerspruch.<br />

Was bedeutet all das? Nun, folgendes: Diese Leute waren zuerst Ankläger gegen die Bourgeois,<br />

und schließlich werden sie zu Apologeten des Kapitalismus. Zuerst haben sie sich gegen<br />

den Ideengehalt in der Kunst gewandt, haben sie laut verkündet, sie halten sich fern von<br />

dem erregten Treiben des Lebens und von den Kämpfen, und dann sind sie dahin gelangt, in<br />

ihre Werke eine Idee hineinzutragen, sich an den Kämpfen beteiligen zu wollen. Was für eine<br />

Idee? Eine konservative. An welchen Kämpfen? An den Kämpfen gegen das nach seiner Befreiung<br />

strebende Proletariat.<br />

Woher kam dieser Widerspruch? Sehr einfach. Es ist unmöglich, den Ideengehalt aus einem<br />

K[unst]werk zu verbannen. Das K[unst]werk bringt immer etwas zum Ausdruck, und was es<br />

zum Ausdruck bringt, ist eben seine Idee. Turgenew hat einmal zur Verteidigung der Theorie<br />

der Kunst für die Kunst gesagt: „Die Venus von Milo ist unbezweifelbarer als die Prinzipien<br />

des Jahres 1789.“ Das stimmt natürlich. Aber man darf doch fragen: für wen unbezweifelbarer?<br />

Für einen Hottentotten sind die Prinzipien des Jahres 1789 nicht eben etwas Unbezweifelbares:<br />

er hat [309] nicht die geringste Vorstellung von ihnen. Aber auch die Venus von<br />

Milo ist für ihn durchaus nichts Unbezweifelbares. Er hat seine eigenen Schönheitsbegriffe,<br />

er hat sein eigenes Schönheitsideal, dessen Darstellungen häufig in Lehrbüchern der Anthropologie<br />

unter der Bezeichnung „Hottentottische Venus“ anzutreffen sind. Die Venus von Milo<br />

ist nur „unbezweifelbar“ für die weiße Rasse. Für diese Rasse ist sie in der Tat „unbezweifelbarer“<br />

als die Prinzipien des Jahres 1789. Aber weshalb? Nur deshalb, weil diese Prinzipien<br />

solche Beziehungen zum Ausdruck bringen, die nur einer bestimmten Phase in der Entwicklung<br />

der weißen Rasse entsprechen, während die Venus von Milo ein solches Ideal der<br />

äußeren Erscheinung des Menschen – und namentlich der Frau – zum Ausdruck bringt, das<br />

vielen Phasen dieser Entwicklung entspricht. Vielen, aber nicht allen. Die Christen hatten ein<br />

anderes Ideal der äußeren Erscheinung der Frau. Man kann es auf unseren Heiligenbildern<br />

mit den Darstellungen der Mutter Gottes und der großen Märtyrerinnen sehen. Für die<br />

Künstler, die diese Märtyrerinnen- und Muttergottes-Bilder gemalt haben, wäre die Venus<br />

„Wäre er willens gewesen, den Atheismus und die Demokratie, diese zwei Schandflecke (ces deux déshonneurs)<br />

seines Denkens zu zertreten... so wäre er vielleicht ein großer Dichter geworden, aber jetzt ist er nur ein Bruchstück<br />

eines großen Dichters.“ („Les poètes“, d. MDCCCXCIII, p. 260,) Red. L. N.<br />

9

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!