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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

solche mit schwankender Haltung gebe und daß man diese überzeugen und nicht der elementaren<br />

Kraft der bürgerlichen Einflüsse überlassen müsse.<br />

Ich gestehe, diesen Vorwurf halte ich für noch weniger begreiflich als den ersten. In meinem<br />

„Referat“ sagte ich und – ich möchte es gern glauben – zeigte ich, daß die moderne Kunst im<br />

Verfall begriffen ist. 1 [295] Ich habe als Ursache dieser Erscheinung, gegen die niemand, der<br />

die Kunst aufrichtig liebt, gleichgültig bleiben kann, den Umstand angegeben, daß die Mehrzahl<br />

der jetzigen Künstler auf dem bürgerlichen Standpunkt steht und völlig unzugänglich ist<br />

für die großen Freiheitsideen unserer Zeit. Es fragt sich, wie dieser Hinweis auf die Schwankenden<br />

einen Einfluß haben kann. Ist er erzeugend, dann muß er die Schwankenden zum<br />

Übergang auf den Standpunkt des Proletariats bewegen. Das ist alles, was man von einem<br />

Referat verlangen kann, das der Erörterung der Frage der Kunst gewidmet ist und nicht der<br />

Darstellung und Verteidigung der Grundsätze des Sozialismus.<br />

Last not least [nicht zuletzt] findet Herr Lunatscharski, der es für unmöglich hält, den Verfall<br />

der bürgerlichen Kunst zu beweisen, daß ich rationeller verfahren wäre, wenn ich den bürgerlichen<br />

Idealen ein wohlgeordnetes System – so drückte er sich, wie mir erinnerlich ist, aus –<br />

ihnen entgegengesetzter Begriffe gegenübergestellt hätte. Und er teilte dem Auditorium mit,<br />

ein solches System würde mit der Zeit ausgearbeitet. Ein solcher Einwand geht schon vollends<br />

über meine Begriffe. Wenn ein solches System eben erst ausgearbeitet werden soll, so<br />

ist klar, daß es noch keines gibt. Und wenn es keines gibt, wie konnte ich es dann den bürgerlichen<br />

Ansichten gegenüberstellen? Und was ist das für ein wohlgeordnetes Begriffssystem?<br />

Der moderne wissenschaftliche Sozialismus stellt ohne Zweifel eine völlig logische Theorie<br />

dar. Und er hat den Vorzug, daß er schon existiert. Aber, wie ich bereits sagte, es wäre sehr<br />

seltsam, wenn ich, nachdem ich mir vorgenommen hatte, ein „Referat“ über das Thema „Die<br />

Kunst und das gesellschaftliche Leben“ zu halten, die Lehre des modernen wissenschaftlichen<br />

Sozialismus, zum Beispiel die Theorie des Mehrwerts dargelegt hätte. Gut ist nur, was<br />

zur rechten Zeit am rechten Platze ist.<br />

Es ist indes möglich, daß Herr Lunatscharski unter einem logischen Begriffssystem jene Betrachtungen<br />

über die proletarische Kultur verstand, die sein nächster Gesinnungsgenosse,<br />

Herr Bogdanow, vor gar nicht langer Zeit in der Presse vortrug. In diesem Falle liefe sein<br />

letzter Einwand darauf hinaus, daß ich meine Sache noch geschickter angepackt hätte, [296]<br />

wenn ich bei Herrn Bogdanow ein bißchen was gelernt hätte. Ich danke für den Rat. Allein,<br />

ich habe nicht die Absicht, davon Gebrauch zu machen. Und sollte sich einer, weil er in diesen<br />

Dingen nicht Bescheid weiß, für Herrn Bogdanows Broschüre „Über die proletarische<br />

Kultur“ interessieren, so möchte ich ihn daran erinnern, daß diese Broschüre von einem anderen<br />

nächsten Gesinnungsgenossen des Herrn Lunatscharski, von Herrn Alexinski, in<br />

„Sowremenni Mir“, in recht gelungener Weise verspottet worden ist.#<br />

1 Ich fürchte, es kann auch hier ein Mißverständnis geben. Der Ausdruck „im Verfall begriffen“ bedeutet bei mir<br />

comme de raison [wie recht und billig] einen ganzen Prozeß und nicht eine einzelne Erscheinung. Dieser Prozeß<br />

ist noch nicht abgeschlossen, wie auch der soziale Prozeß des Verfalls der bürgerlichen Ordnung noch nicht<br />

beendet ist. Es wäre deshalb seltsam zu denken, die jetzigen bürgerlichen Ideologen seien endgültig außerstande,<br />

irgendwelche hervorragenden Werke zu liefern. Solche Werke sind [295] natürlich auch jetzt möglich. Aber<br />

die Aussichten, daß solche erscheinen, werden in verhängnisvoller Weise verringert. Überdies tragen auch die<br />

hervorragenden Werke das Gepräge der Verfallsepoche an sich. Nehmen wir meinetwegen den oben angeführten<br />

russischen Dreistern: wenn Herrn Philosophoff jegliches Talent auf allen Gebieten abgeht, so besitzt Frau<br />

Hippius ein gewisses künstlerisches Talent, und Herr Mereschkowsky ist sogar ein sehr talentvoller Künstler.<br />

Aber es ist leicht einzusehen, daß zum Beispiel sein letzter Roman (Alexander I.) heillos verpfuscht ist durch<br />

seinen religiösen Wahn, der seinerseits eine der Verfallsepoche eigentümliche Erscheinung ist. In solchen Epochen<br />

können auch sehr große Talente bei weitem nicht das leisten, was sie unter günstigeren gesellschaftlichen<br />

Bedingungen leisten würden.<br />

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