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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

so grellen Charakter an, daß ein kleiner Teil der herrschenden Klasse sich von ihr lossagt und<br />

sich der revolutionären Klasse anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen<br />

trägt. Wie daher früher ein Teil des Adels zur Bourgeoisie überging, geht jetzt ein Teil der<br />

Bourgeoisie zum Proletariat über, und namentlich ein Teil der Bourgeoisideologen, welche<br />

zum theoretischen [292] Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet<br />

haben.“ 1<br />

Unter den Bourgeoisideologen, die auf die Seite des Proletariats übergehen, sehen wir sehr<br />

wenige Künstler. Das erklärt sich wahrscheinlich damit, daß sich zum „theoretischen Verständnis<br />

der ganzen geschichtlichen Bewegung“ nur Denkende „hinaufarbeiten“ können, und die<br />

Künstler unserer Zeit – zum Unterschiede beispielsweise von den großen Meistern der Renaissancezeit<br />

– denken außergewöhnlich wenig. 2 Wie dem aber auch sei, man kann mit Sicherheit<br />

sagen, daß jedes irgendwie bedeutsame künstlerische Talent seine Schaffenskraft in sehr hohem<br />

Grade steigert, wenn es sich von den großen Freiheitsideen unserer Zeit durchdringen läßt. Es<br />

ist nur nötig, daß diese Ideen ihm in Fleisch und Blut übergehen, daß er sie eben als Künstler<br />

zum Ausdruck bringt. 3 Ebenfalls nötig ist es, daß er den Modernismus in der Kunst bei den<br />

heutigen Ideologen der Bourgeoisie nach ihrem Werte würdigen kann. Die herrschende Klasse<br />

befindet sich jetzt in einer Lage, in der Fortschreiten gleichbedeutend ist mit Herunterkommen.<br />

Und dieses ihr klägliches Schicksal teilen mit ihr alle ihre Ideologen. Am fortschrittlichsten<br />

unter ihnen sind gerade die, die tiefer als alle ihre Vorgänger gesunken sind.<br />

Als ich die hier dargelegten Ansichten äußerte, erhob Herr Lunatscharski einige Einwände<br />

gegen mich, von denen ich die wichtigsten hier untersuchen will.<br />

Erstens wunderte er sich darüber, daß ich, wie er meinte, das Vorhandensein eines absoluten<br />

Kriteriums des Schönen annehme. Ein solches Kriterium gebe es aber nicht. Alles fließe, alles<br />

verändere sich. Es ändern sich unter anderem auch die Schönheitsbegriffe der Menschen.<br />

Deshalb können wir nicht beweisen, daß die moderne Kunst tatsächlich eine Krisis des Häßlichen<br />

durchmache.<br />

[293] Hierauf erwiderte ich und erwidere ich, daß es, meiner Ansicht nach, kein absolutes<br />

Kriterium des Schönen gibt und auch nicht geben kann. 4 Die Begriffe der Menschen vom<br />

1 [Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1952, S. 35.]<br />

2 „Nous touchons ici au défaut de culture générale qui caractérise la plupart des artistes jeunes. Une fréquentation<br />

assidue vous démontrera vite qu’ils sont en général très ignorants... incapables ou indifférents devant les<br />

antagonismes d’idées et les situations dramatiques actuelles, ils œuvrent péniblement à l’écart de toute<br />

l’agitation intellectuelle et sociale, confinés dans les conflits de technique, absorbés par l’apparence matérielle<br />

de la peinture plus que par sa signification générale et son influence intellectuelle.“ [„Wir haben es hier mit dem<br />

Mangel an allgemeiner Bildung zu tun, der für die meisten jungen Künstler kennzeichnend ist. Beim häufigen<br />

Umgang mit ihnen wird man schnell gewahr, daß sie im allgemeinen sehr unwissend sind... Verständnislos oder<br />

gleichgültig gegenüber den Ideenkämpfen und den dramatischen Situationen der Gegenwart, werkeln sie mühselig,<br />

abseits von der geistigen und sozialen Bewegung, beschränkt auf technische Probleme, mehr mit den materiellen<br />

Erscheinungsformen der Malerei beschäftigt als mit ihrer allgemeinen Bedeutung und ihrem geistigen<br />

Einfluß.“] Holl, „La jeune peinture contemporaine“, pp. 14/15, Paris 1912.<br />

3 Hier berufe ich mich mit Vergnügen auf Flaubert. Er schrieb an George Sand: „Je crois la forme et le fond...<br />

deux entités qui n’existent jamais l’une sans l’autre“ („Ich halte Form und Inhalt... für zwei Wesenheiten, die<br />

niemals getrennt voneinander vorkommen“; „Correspondance“, quatrième serie, p. 225). Wer es für möglich<br />

hält, die Form „der Idee“ zu opfern, der ist kein Künstler mehr, wenn er auch vorher einer war.<br />

4 „Nicht die unbewußte Laune eines wählerischen Geschmacks legt uns den Wunsch nahe, für sich bestehende<br />

ästhetische Werte zu finden, die nicht der Herrschaft der Modeeitelkeit, der herdenmäßigen Nachäfferei unterworfen<br />

sind. Der schöpferische Traum von der einen unvergänglichen Schönheit, die Lebensform, welche ‚die<br />

Welt retten‘ wird, die Verirrten und Gefallenen erleuchtet und zu neuem Leben erweckt, wird genährt durch das<br />

unausrottbare Bedürfnis des menschlichen Geistes, in die Schöpfergeheimnisse des Absoluten einzudringen“<br />

(W. N. Speranski, „Die gesellschaftliche Rolle der Philosophie, Einführung“, S. XI, 1. Aufl., St. Petersburg,<br />

Verlag „Schipownik“, 1913). Menschen, die so urteilen, zwingt die Logik, ein absolutes Kriterium des Schönen<br />

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